Globale Perspektiven

Stanislaw Przybyszewski


Um 1900 herrschte in der europäischen Künstlerkreisen Endzeitstimmung – im Zuge der so bezeichneten Epoche des „Fin-de-siecle“ entstanden von großer Sensibilität und Emotionalität geprägte Literatur und Kunst. Metropolen wie Paris, Wien und Berlin, in denen eine Neuausrichtung der Kunst diskutiert wurde, entwickelten sich zu Brennpunkten transnationalen Austauschs. Unter den Schlagworten „Naturalismus“ und „Symbolismus“ entstanden Ideen von radikaler gesellschaftlicher Erneuerung und individuellen psychischen Abgründen.
Der Schriftsteller Stanislaw Przybyszewski (1869-1927) gehörte einem einflussreichen zeitgenössischen Autorenkreis an, welcher sich in dieser Zeit regelmäßig um den skandinavischen Autor August Strindberg (1849-1912) im „schwarzen Ferkel“ in Berlin versammelte. 1868 als preußischer Staatsangehöriger polnischer Volkszugehörigkeit geboren, zog er 1889 nach Berlin. Er studierte Architektur und Medizin, wurde Chefredakteur der „Gazeta Robotnicza“ (zu dt. „Arbeiter-Zeitung“) und begann in diesen Jahren, Aufsätze und Gedichte zu veröffentlichen. Er schrieb in deutscher Sprache und knüpfte enge Kontakte in die künstlerische Szene Berlins - der deutsche Schriftsteller Richard Dehmel sowie der norwegische Maler Edward Munch zählten zu seinen Freunden.
Nach seiner Hochzeit mit der Norwegerin Dagny Juel lebte das Paar zunächst in Berlin und dann einige Zeit in Norwegen, bevor „Stachu“ mit seiner Frau 1898 in sein Geburtsland zurückkehrte – nun allerdings nach Krakau in Galizien. Hier wurde Przybyszewski enthusiastisch empfangen und entwickelte sich durch die Herausgabe der künstlerischen Zeitschrift „Zycie“ (Leben) zur Führerfigur einer neuen Künstlerbewegung.
Die Gruppe des „Jungen Polen“ trugen die transnationalen künstlerischen Entwicklungen der Jahrhundertwende in eine national-spezifische Kampagne. Die Kunst wurde für diesen Kreis zum Instrument, das die polnische Nation aus den Hoffnungen und Spekulationen der Nationalisten in eine Realität transferierte. Bis zum ersten Weltkrieg entwickelte sich so auf dem Gebiet des ehemaligen und zukünftigen Polen ein verstärkt nationales Profil in Literatur und Kunst, an dessen Gestaltung Przybyszewski maßgeblichen Anteil hatte.
Trotz seines Patriotismus wollte er ihn jedoch nicht seiner Kunst unterordnen. Diese blieb für ihn, wie er sie im Vorwort der ersten Ausgabe von "Zycie" beschrieb: „Was ewig, von allen Veränderungen oder Zufälligkeiten frei und unabhängig ist, sowohl von der Zeit als auch vom Raum“.
Stanislaw Przybyszewki, der erst ab Mitte der 1890er Jahre in Polen bekannt wurde, verstand sich während seines transnationalen Lebens stets als „Mit Leib und Seele Pole “. So bekannte er sich in seiner Schrift „Von der Seele der Polen“, die 1917 in der Reihe „Schriften zum Verständnis der Völker“ im Jenaer Diederich-Verlag erschien. In dieser Schrift kommt auch der Wunsch zum Ausdruck, einerseits den polnischen Nationalcharakter zu beschreiben, ihn andererseits jedoch anderen Nationalitäten zugänglich zu machen. Wiederum zeigt sich hier die Vielschichtigkeit von Przybyszewskis Identität. Er vereinte in sich sowohl den transnationalen Künstler als auch einen nationalen Charakter – und diese Dialektik der Identitäten macht den Künstler zu einem interessanten globalen Subjekt.
Nach dem ersten Weltkrieg arbeitete der Schriftsteller zunächst als Postbeamter: er übertrug die Bestimmungen und Terminologien des deutschen Postwesens ins Polnische, um so dem neu entstandenen polnischen Staat die begrifflichen Werkzeuge zur Verwaltung seiner Infrastruktur an die Hand zu geben. Er starb 1927 in Warschau.

Literatur:
Dedecius, Karl: Das Junge Polen. Literatur der Jahrhundertwende, Frankfur a. M. ²1990.
Klim, George: Stanislaw Przybyszewski. Leben, Werk und Weltanschauung im Rahmen der deutschen Literatur der Jahrhundertwende, Paderborn 1992.
Przybyszewski, Stanislaw: Von Polens Seele. Ein Versuch, Eugen Diederichs Verlag 1917.

von Anna Breidenbach