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Brückenbauwerke mit komplexer Geometrie durch facettierte Flächenelemente aus carbonbewehrtem Ultrahochleistungsbeton - Graphbasierte Zerlegung und trajektoriensensitive Fertigung

Antragsteller

Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau 

Prof. Dr.-Ing. André Borrmann Technische Universität München, Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation

Bearbeiter

Daniel Auer, M. Sc.Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau

Lothar Kolbeck, M.Sc.Technische Universität München, Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation

Projektbeschreibung

Die Grundidee des Forschungsvorhabens besteht darin, das Modularisierungsprinzip durch die Verwendung facettierter Strukturelemente aus carbonbewehrtem Ultrahochleistungsbeton [6] für den Massivbrückenbau konsequent weiterzuentwickeln. Dabei ist die Herangehensweise, vergleichbar mit der geometrischen Einteilung von Tragstrukturen in Finite-Elemente, durch systematische Zerlegung der Gesamtstruktur in einfach herzustellende Module gekennzeichnet. Die hierbei einzuhaltenden Randbedingungen ergeben sich einerseits aus strukturmechanischen Eigenschaften, andererseits aus den Anforderungen der Fertigung der Module. Das damit vorliegende komplexe Optimierungsproblem kann nur gelöst werden, indem computergestützte Methoden auf Basis der Konzeption geeigneter Module, deren Fügetechnik und Herstellung angewandt werden. Eine Konzeptskizze der Modulbauweise ist in Abbildung 1 gezeigt.

Abbildung 1: Konzeptskizze der adaptierbaren Modulbauweise am Beispiel von Trägern mit veränderlicher Höhe einer Balkenbrücke
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Abbildung 1: Konzeptskizze der adaptierbaren Modulbauweise am Beispiel von Trägern mit veränderlicher Höhe einer Balkenbrücke

Der Fokus im Forschungsprojekt liegt dabei auf scheibenartigen Modulen, die durch eine kontrollierte, aber hohe Adaptierbarkeit für eine Vielzahl an potentiell komplexen Bausituationen anwendbar sind. Durch eine graph-basierte Datenmodellierung im Hintergrund und einer prozeduralen Erzeugung der parametrischen Geometrie können diese Module schließlich als leistungsfähige Schnittstelle zwischen Entwurf und Fertigung in einer durchgängigen digitalen Prozesskette verwendet werden. Form und Anpassbarkeit des Moduls ist in Abbildung 2 gezeigt. 

Abbildung 2: An Vielzahl an Bausituationen adaptierbares, vierkantiges Modul als intelligente Schnittstelle von Entwurf und Fertigung, mit kontrollierter, parametrischer Erzeugung mit flexiblen Maßen, Fügemöglichkeiten und flexibler Spanngliedführung
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Abbildung 2: An Vielzahl an Bausituationen adaptierbares, vierkantiges Modul als intelligente Schnittstelle von Entwurf und Fertigung, mit kontrollierter, parametrischer Erzeugung mit flexiblen Maßen, Fügemöglichkeiten und flexibler Spanngliedführung

Auf Basis einer trajektoriensensitiven, iterativ optimierten und homogenisierten Ermittlung der Druckpfade kann schließlich die additive Fertigung im Rahmen der vorgegebenen Parametrik automatisiert mithilfe eines Roboters und speziell angepasster Düstentechnik erfolgen, s. Abbildung 3: 

Abbildung 3: Trajektoriensensitive Ermittlung des Betonextrusionsdruckpfad (li) und mehrlagiger Druck mit Kuka-Roboter (re.)
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Abbildung 3: Trajektoriensensitive Ermittlung des Betonextrusionsdruckpfad (li) und mehrlagiger Druck mit Kuka-Roboter (re.)

Vor der Segmentierung und Fertigung der Module steht immer eine durch den Ingenieur vorgegebene Brückengeometrie. Die Zerlegung der Ausgangsgeometrie in Module erfolgt dabei durch Anwendung eines Graphersetzungssystems. Ein Graphersetzungssystem ist eine Menge an Regeln, bei der jede Regel es erlaubt ein auftretendes Muster in der Produktmodellstruktur von Bauwerken zu erkennen und automatisiert zu entwickeln [2,4,7], beispielsweise eine rekursive Unterteilung eines Trägers bis hin in fertigungsgerechte Segmente. Die geometrische und die semantisch-topologische Entwicklung gehen dabei Hand in Hand, wie es Abbildung 3 exemplarisch zeigt. Neben der Automation von wissensintensiven Prozessen wie der Segmentierung ermöglichen die Graphstrukturen zudem eine intelligente Systematisierung und Strukturierung der Bauwerke, wie es eine rein geometrieorientierte Darstellung nicht leisten könnte.

Abbildung 4: Konzeptskizze zur Illustration der regelbasierten Unterteilung von Brückenträgern mithilfe von Graphersetzungssystemen bis in fertigungsgerechte Maße. Jede rekursive Unterteilung hat dabei eine geometrische (li.) und eine topologisch-semantische (re.) Implikation
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Abbildung 4: Konzeptskizze zur Illustration der regelbasierten Unterteilung von Brückenträgern mithilfe von Graphersetzungssystemen bis in fertigungsgerechte Maße. Jede rekursive Unterteilung hat dabei eine geometrische (li.) und eine topologisch-semantische (re.) Implikation

Als erste Validierung der Datenmodellierung und der konstruktiven Implikationen der Projektideen wurden bereits die Paulifurtbrücke und eine ebene Projektion des Trumpfstegs modelliert, wie es Abbildung 5 zeigt. Weitere Forschung umschließt eine Ausweitung und Verallgemeinerung für weitere und größere Brückenbauwerke.

Poster zu den Projektinhalten

Abbildung 5: Nachbildungen der Paulifurtbrücke (li.) und des Trumpfstegs zur Illustration der im Forschungsprojekt verfolgten Entwurfs- und Fertigungskonzepte.
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Abbildung 5: Nachbildungen der Paulifurtbrücke (li.) und des Trumpfstegs zur Illustration der im Forschungsprojekt verfolgten Entwurfs- und Fertigungskonzepte.

Erkenntnisse zur Systembauweisenentwicklung

Gemäß der in [1] vorgestellten Methodik wurde im Teilprojekt zur Systembauweisenentwicklung vorgegangen: Basierend auf Entwurfsanforderungen (wie bspw. Spannweiten, Anzahl an Fahrbahnen u.Ä.) wurden geeignete statische Systeme und Querschnitte erkundet. Hauptsächlich von strukturmechanischen Aspekten (Lagerbedingungen, Kopplungsbedingungen), schließlich aber auch gemäß des beabsichtigen Fließfertigungsprozesses und einfacher trockener Fügbarkeit wird das System schließlich in Subsysteme und diese schließlich in standardisierte Module mit standardisierten Schnittstellen unterteilt. Iterativ und im interdisziplinären Austausch mit anderen Teilprojekte (zum Thema Fügen und Bemessen) wurden im Teilprojekt zwei Systeme detaillierter modularisiert und ausgearbeitet. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist handelt es sich beim ersten um den Unterbau einer Bogenbrücke und beim zweiten um einen modularen Rahmenriegel. Bei der Systementwicklung stellten sich Details der trockenen Verbindungstechnik und das Abstimmen von Entwurfs- und Fertigungsmöglichkeiten als größte Herausforderungen dar.

 Abbildung 1: Zwei im Rahmen der ersten Forschungsphase entwickelte Baukastensysteme
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Abbildung 1: Zwei im Rahmen der ersten Forschungsphase entwickelte Baukastensysteme

Erkenntnisse und Entwicklungen mit Bezug zum algorithmischen Entwurf

Die Entwurfsautomatisierung im Sinne der mass customization in wurde erforscht, gegliedert in ein parametrisches Produktmodellierungskonzept und die Daten- und Algorithmenmodellierung zur Modularisierung und Assemblierung unterteilt. Bei der Produktmodellierung wurde dabei konsistent auf objektoriente Prinzipien zurückgegriffen. Konkret wurde dabei die topologisch-semantische Hierarchisierung in fünf Ebenen vorgenommen, bei denen die oberen Ebenen organisatorisch mithilfe von Hilfsgeometrien die Assemblierung steuern und die untersten drei Ebenen modulare Baugruppen, Bauteile und (schnittstellenrelevante) eingebettete Elemente enthalten.
Für die Automatisierung wurden Algorithmen entwickelt deren Rechenprozesse semantisch in Hilfsgeometrieverarbeitung, Topologieberechnungen, Teilemanipulationen und Produktmodellinteraktion unterteilt wurden. Der Algorithmus entwickelt dabei ein Graphmodell, das die essentiellen Entwurfsentitäten und deren Beziehungen speichert. Abbildung 2 veranschaulicht die inkrementelle Entwicklung des Produktmodells und die entsprechende Entwicklung des Graphen.

Abbildung 2: Illustration der algorithmischen mass customization mithilfe des Graphmodells
Abbildung 2: Illustration der algorithmischen mass customization mithilfe des Graphmodells

Erkenntnisse und Entwicklungen mit Bezug zur additiven Fertigungstechnik

Auf Basis eines detaillierten, modellbasierten 3D-Entwurfs wurden digitale Fertigungsmethoden entwickelt, im konreten auf Basis der additiven Fertigung mit carbonfaserbewehrtem UHPC. Die strukturmechanisch motivierte Idee bei der Druckpfadberechnung war dabei die trajektoriensensitive Optimierung zur Materialeinsparung für das gegebene, anisotrope Material.
Der entwickelte Druckpfadplanungsalgorithmus beeinhaltet dabei eine Homogenisierung für Düsen ohne veränderliche Breite und basiert auf NURBS-Kurven und Optimierungsrechnung. Zuerst wird hierbei eine Analysedomäne mit Auswertungspunkten der Hauptspannungsrichtungen gebildet. Eine initiale Menge der Kontrollpunkte der Ausgangskurve wird gebildet, Versatzkurven werden berechnet, bis die Analysedomäne abgedeckt ist. In einem engen Rasterabstand werden die Versatzkurven diskretisiert und dort die Tangente der der Kurve mit der Hauptspannungsrichtung verglichen. Der Optimierungsalgorithmus variiert die Kontrollpunkte der initialen NURBS-Kurve sodass die Summe der Abweichungen minimal wird. Abbildung 3 illustriert visuell die Funktionsweise der algorithmischen Druckpfadberechnung und einen zugehörigen Druck.

Abbildung 3: Illustration der Funktionsweise des Druckpfadplanungsalgorithmus auf Basis von NURBS (oben) mit zugehörigem Druck (unten)
Abbildung 3: Illustration der Funktionsweise des Druckpfadplanungsalgorithmus auf Basis von NURBS (oben) mit zugehörigem Druck (unten)

Veröffentlichungen

2023

[9] Kolbeck, L.; Kovaleva, D.; Manny, A.; Stieler, D.; Rettinger, M.; Renz, R.; Tošić, Z.; Teschemacher, T.; Stindt, J.; Forman, P.; Borrmann, A.; Blandini, L.; Stempniewski, L.; Stark, A.; Menges, A.; Schlaich, M.; Albers, A.; Lordick, D.; Bletzinger, K.-U.; Mark, P.
Modularisation Strategies for Individualised Precast Construction—Conceptual Fundamentals and Research Directions
Designs 2023, 7, 143. https://doi.org/10.3390/designs7060143

[8] Kolbeck, L.; Vilgertshofer, S.; Borrmann, A.
Graph-based mass customization of modular precast bridges
Proceedings of 30th EG-ICE, London, 2023

2022

[7] Kolbeck, L.; Vilgertshofer, S.; Abualdenien, S.; Borrmann, A.
Graph Rewriting Techniques for Engineering Design
Frontiers in Built Environment 7, Februar 2022, S. 1–19.

[6] Rutzen, M.; Lauff P., Niedermeier R., Fischer O., Raith M.; Grosse C.; Weiss U., Peter M.; Volkmer D.
Influence of fiber alignment on pseudoductility and microcracking in a cementitious carbon fiber composite material
Materials and Structures, 54:58, 2021. (doi:10.1617/s11527-021-01649-2)

2021

[5] Borrmann, A.; Bruckmann, T.; Dörfler, K.; Hartmann, T.; Smarsly, K.
Towards realizing the information backbone of robotized construction – Computational Methods and cyber-physical architectures for collaborative robotic fleets
In: Proceedings of the CIB W78 Conference, Luxembourg, 2021

[4] Abualdenien, J.; Borrmann, A.
PBG: A parametric building graph capturing and transferring detailing patterns of building models
In: Proceedings of the CIB W78 Conference, Luxembourg, 2021

[3] Slepicka, M.; Vilgertshofer, S.; Borrmann, A.
Fabrication Information Modeling: Closing the gap between Building Information Modeling and Digital Fabrication
In: Proceedings of the 38th International Symposium on Automation and Robotics in Construction (ISARC), Dubai, UAE, 2021

[2] Kolbeck, L.; Auer, D.; Fischer, O.; Vilgertshofer, S.; Borrmann, A.
Modulare Brückenbauwerke aus carbonfaserbewehrtem Ultrahochleistungsbeton – Graph-basierter Entwurf und trajektoriensensitive Fertigung
Beton- und Stahlbetonbau 116, Sonderheft Schneller bauen S2, September 2021, S. 24–33.
(https://doi.org/10.1002/best.202100053)

2020

[1] Fischer, O.; Auer, D.; Borrmann, A.; Afzal, M.:
Brückenbauwerke mit komplexer Geometrie durch facettierte Flächenelemente aus carbonbewehrtem Ultrahochleistungsbeton - Graphbasierte Zerlegung und trajektoriensensitive Fertigung.
In: BetonWerk International Nr. 5, 2020, S. 18
Link zum Artikel

Abschlussarbeiten

2023
[15] Liebl, F.
Konstruktive Entwicklung und Nachweiskonzept für einen modularen Rahmenriegel mit Trogquerschnitt
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Daniel Auer & Lothar Kolbeck

[14] Praveen, M.
Model-based structural proofing and analysis-informed design feedback for a modular bridge system
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation, Lothar Kolbeck, M.Sc.

[13] Bader, A.
Parametrisches Modellierungskonzept für eine seriell vorfertigbaren Bogenbrücke
Bachelor Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Lothar Kolbeck

[12] Wohofsky, H.
Parametrische Detaillierung einer seriell vorfertigbaren Bogenbrücke in hohem Detaillierungsgrad
Bachelor Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Lothar Kolbeck

[11] Exner, C.,
Vergleich mehrerer Gestaltgrammatikimplementierungen bezüglich ihrer geometrischen und semantischen Expressivität
Bachelor Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Lothar Kolbeck

2022
[10] Mucheng, X.
Bottom-up design of modular concrete structures utilizing formal grammars
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation, Lothar Kolbeck, M.Sc.

[9] Zhehong, Z.
Parametrische Entwurfsplanung von Brückenbauteilen in Modulbauweise mit statisch optimierter Segmentierung und einem Konzept der adaptiven Detaillierung
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Daniel Auer, M.Sc & Lothar Kolbeck, M.Sc.

2021
[8] Abaría, A.
Development and optimization of a nozzle system for the extrusion of ultra-high-strength concretes with carbon short fibers for use in the additive manufacturing process
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer, M. Sc.

[7] Fernández, B.
Optimization of the material composition of ultra-high-strength concrete formulations with carbon short fibers for application in the additive manufacturing process
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer M. Sc.

[6] Tappeiner, C.
Verbundverhalten der Zwischenschichten lagenweise extrudierter Betone
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer, M. Sc.

[5] Huber, S.
Entwicklung einer Formgrammatik für die statisch optimierte Segmentierung von Brückenbauteilen in Modulbauweise
Bachelor-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation, Lothar Kolbeck, M.Sc.

[4] Hammerschick, S.
Zum Tragverhalten von dehnungsverfestigenden zementgebundenen Hochleistungswerkstoffen
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer, M. Sc.

[3] Färber, A.
Numerische Simulation additiv gefertigter Bauteile aus Carbonkurzfaserbeton
Master-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer, M. Sc.

[2] Klöck, V.
Dokumentation des additiven Fertigungsprozesses hinsichtlich der Anwendung im Betonbau
Bachelor-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer, M. Sc.

[1] Vollherbst, A.
Pumpenförderung von Kurzfaserbetonen
Bachelor-Thesis, Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, Betreuer: Daniel Auer, M. Sc.