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8. PD. Dr. Machura
c) Volksbeisitzer in Russland
Volksbeisitzer in Russland
Forschungsprojekt „Volksbeisitzer im Bezirk Rostow am Don. Zur Bedeutung von Partizipation, Gerechtigkeit und Fairness in einer Transformationsgesellschaft“
PD Dr. Stefan Machura (Ruhr-Universität Bochum) unter Mitarbeit von Dmitrij Donskow und Olga Litvinova
Zusammenfassung
D
ie Fairness der Behandlung vor Gericht ist mit ausschlaggebend dafür, wie die Gerichte bewertet werden. Eine Befragung russischer Volksbeisitzer zeigt, dass auch in einer osteuropäischen Transformationsgesellschaft ähnliche Werte für die Behandlung von Bürgern durch den Staat gelten, wie z.B. in Deutschland und den USA. Das empirische Forschungsprojekt wurde von PD Dr. Stefan Machura (Ruhr-Universität Bochum) unter Mitarbeit von Dmitrij Donskow und Olga Litvinova in Südrussland an Stadt- und Kreisgerichten durchgeführt. Für das Forschungsprojekt „Volksbeisitzer im Bezirk Rostow am Don. Zur Bedeutung von Partizipation, Gerechtigkeit und Fairness in einer Transformationsgesellschaft“ wurde erstmals überhaupt eine Befragung von russischen Volksrichtern vorgenommen. Ähnlich den deutschen Schöffen wirkten sie jeweils zu zweit unter Vorsitz eines Berufsrichters an Gerichtsverfahren mit, allerdings für einen Zeitraum von zwei Wochen und nicht nur bei Strafverfahren. Volksbeisitzer wurden in Russland in einem Zufallsverfahren aus der Bevölkerung ausgewählt. Doch wird beklagt, dass zu viele Bürger versuchen, sich dem Dienst als ehrenamtliche Richter (auch in Geschworenengerichten übrigens) zu entziehen. Die befragten 147 Volksbeisitzer jedoch waren weit überwiegend bereit, die Funktion noch einmal zu übernehmen. Das rührt wahrscheinlich auch daher, dass „gesellschaftlich nützliche“ Aktivitäten und Tätigkeiten in der Vergangenheit hoch bewertet wurden, eine Wertschätzung, die noch heute für viele in Russland gilt. Die Ergebnisse lassen sich auch im Sinne eines „Partizipationseffekts“ interpretieren. Lange wurde auf die Menschen in Russland (der Sowjetunion) keine Rücksicht genommen. Sie waren Objekt staatlicher Entscheidungen. Es gab keine Aufmerksamkeit für ihre Person. Wer als Volksbeisitzer an Gerichtsentscheidungen mitwirkte, hatte die Chance zur Teilnahme. Dies ist die erste Studie in Osteuropa, die detailliert dem Zusammenhang von Fairness und Legitimität für die Motivation der Beteiligten und die Legitimität von Institutionen nachgeht. Für die russischen Volksbeisitzer sind die Fairness der Richter und die Gerechtigkeit der Urteile von Bedeutung. Sie wollen nicht nur selbst in ihrer Arbeitsbeziehung mit dem Berufsrichter fair behandelt werden, sondern registrieren auch die Fairness der Behandlung der Parteien (da es sich häufig – aber nicht nur – um Strafprozesse geht, auch von Angeklagten). Das spricht für die Annahme, dass es in unterschiedlichsten (wenigstens den modernen) Gesellschaften gemeinsame, elementare Wertüberzeugungen gibt. Der Bezug zur Frage einer überkulturellen sozialen Fundierung von Menschenrechten und Demokratie bzw. Partizipation liegt auf der Hand. Das Forschungsprojekt wurde von der DFG mit einer Sachbeihilfe gefördert.
Der Projektbericht ist als Buch erschienen
Stefan Machura unter Mitarbeit von Dmitrij Donskow und Olga Litvinova, Ehrenamtliche Richter in Südrussland. Eine empirische Untersuchung zu Fairness und Legititmität. Münster: LIT 2003.