Geschichte der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) und ihrer Partnerorganisationen

Teilprojekte

Skizze des Projektansatzes

Nach dem vor kurzem erfolgten Abschluss der Tätigkeit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und ihrer Partnerorganisationen stellt sich die Frage einer zeithistorischen Einordnung dieses Unternehmens, die weit über eine festschriftartige Selbstdarstellung hinausgehen muss. Mit der Arbeit dieser Institutionen wurden neue Formen der internationalen Zusammenarbeit beim Umgang mit historischem Unrecht geschaffen. So steht dieses nunmehr beendete Unterfangen einerseits im größeren Zusammenhang der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um die Entschädigung der ehe¬maligen Zwangsarbeiter der deutschen Kriegswirtschaft. Andererseits gehört es aber auch in den Zusammenhang eines in den letzten Jahren weltweit sprunghaft angestiegenen Interesses an transitional justice beziehungsweise an der rechtlichen Bewältigung historischen Unrechts. Die zeithistorische Erforschung der Stiftung EVZ und ihrer Partnerorganisationen bietet somit die große Chance, mehr darüber zu lernen, wie derartige oftmals eingeforderte Bemühungen um historische Gerechtigkeit in der Praxis funktionieren und was dies konkret für die davon betroffenen Individuen und Gesellschaften bedeutet – und dies gleichermaßen im internationalen wie transnationalen Rahmen. Über die zeithistorische Bedeutung dieser Fragen hinaus besitzen diese aber auch erhebliche öffentliche und politische Relevanz.
Für die historische Erforschung der Tätigkeit der Stiftung EVZ und ihrer Partnerorganisationen ergeben sich drei thematische Hauptperspektiven, bei denen sich institutionen-, gesellschafts- und erfahrungsgeschichtliche Interessen überlagern. Kurz gesprochen geht es dabei um die Entschädigungspraxis (1.), um die Ergebnisse (2.) und schließlich um die Folgewirkungen (3.) der Zwangsarbeiterentschädigung.

1. Die Praxis der Zwangsarbeiterentschädigung als Begegnungsgeschichte und Lernprozess

Eine erste Untersuchungsperspektive zielt auf die Entschädigungspraxis als Begegnungsgeschichte und Lernprozess. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, wie die Kommunikation zwischen den Antragstellern einerseits und der Stiftung EVZ und ihren Partnerorganisationen andererseits verlief. Welche Konflikte zwischen Antragstellern und Entschädigungsbürokratie traten dabei auf und wie ging man mit diesen um? Und inwieweit kann man hinsichtlich der Struktur und Praxis der Zwangsarbeiterentschädigung durch die Stiftung EVZ und ihre Partnerorganisationen von einem Lernprozess aus den Erfahrungen mit der früheren bundesdeutschen Entschädigungsgesetzgebung sprechen? Diese Fragen sind um so wichtiger, als die Auszahlungspraxis keinesfalls nur als bürokratischer Appendix der vorangegangenen politischen Vereinbarungen begriffen werden darf. Vielmehr bildete die Art und Weise, wie in den Antragsverfahren mit den ehemaligen Zwangsarbeitern umgegangen wurde, selbst einen wesentlichen Bestandteil der angestrebten Versöhnungsgeste.

2. Die Ergebnisse der Zwangsarbeiterentschädigung

Eine zweite Untersuchungsebene zielt auf die Frage nach den Ergebnissen der Tätigkeit der Stiftung EVZ und ihrer Partnerorganisationen. Auch diese Frage muss im Dreieck zwischen Antragstellern, bearbeitenden Institutionen sowie deren gesellschaftlichem und politischem Umfeld im internationalen Kontext erforscht werden. So geht es hier zum einen zunächst um eine Analyse der quantitativen Gesamtbilanz der Auszahlungstätigkeit. Dazu gehört auch die Frage nach der Verteilung der Mittel auf die verschiedenen Gruppen von Antragstellern. Inwieweit gelang es also im Rahmen der Entschädigungspraxis, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen? Zum anderen geht es aber auch um die Bedeutung der Entschädigungsprozedur sowie der ausbezahlten individuellen Leistungen sowie der damit einhergehenden Entschuldigungsgeste für die einzelnen Antragsteller. Inwieweit gelang es also, den beabsichtigten Versöhnungseffekt auf dem Wege eines bürokratisch geregelten finanziellen Auszahlungsprogramms zu erreichen? Dabei kann es natürlich nicht um die philosophische Frage der Gerechtigkeit gehen. Vielmehr geht es hier neben der objektiven Bedeutung der individuellen Leistungen für deren aktuelle Lebensumstände vor allem auch um den subjektiven Sinn, den die ehemaligen Zwangsarbeiter der Entschädigung durch die Stiftung EVZ und ihre Partnerorganisationen verliehen.

3. Politische und kulturelle Folgewirkungen der Zwangsarbeiterentschädigung

Dies leitet über zur dritten Untersuchungsebene, auf der es um die politischen und kulturellen Folgewirkungen der Arbeit der Stiftung EVZ und ihrer Partnerorganisationen geht. Dazu muss zunächst vor allem die Frage der öffentlichen Wahrnehmung und Bewertung der Ergebnisse der Arbeit dieser Institutionen in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit thematisiert werden: Welche Rolle spielte die Stiftung EVZ für die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik und denjenigen Ländern, die im Zweiten Weltkrieg zum Opfer des nationalsozialistischen Eroberungsfeldzuges wurden? Und wie wirkte sich dies auf die politischen und ökonomischen Erwartungen aus, welche mit der Gründung der Stiftung EVZ verbunden gewesen waren? Inwieweit erfüllte die Arbeit der Stiftung EVZ und ihrer Partnerorganisationen die politischen Erwartungen, zum symbolischen und materiellen Element einer Versöhnung zu werden? Und welche Auswirkungen besaß die Arbeit dieser Institutionen andererseits auf die Frage der Rechtssicherheit deutscher Unternehmen gegenüber Sammelklagen vor US-amerikanischen Gerichten? Kurz: Inwieweit wurden also die außerordentlich schwierigen politischen, moralischen und ökonomischen Konflikte, die beim Zustandekommen der Stiftung EVZ eine erhebliche Rolle gespielt hatten, durch das Auszahlungsprogramm einer Lösung näher gebracht? Und welche politischen und kulturellen Folgewirkungen entfalteten diese Leistungen sowohl innerhalb der Gesellschaften der Antragsteller als auch in der internationalen Öffentlichkeit? Schließlich ist auch zu untersuchen, inwieweit die Arbeit der Stiftung EVZ und ihrer Partnerorganisationen international als ein Modell zur Lösung anderer aus historischem Unrecht resultierenden Kon¬flikte rezipiert wurde oder wird.

Tagung des Forschungsprojekts vom 20. bis 22.6.2008 in Bochum

Vom 20.6 bis 22.6.2008 fand die erste Tagung des EVZ-Forschungsprojekts unter Leitung des Lehrstuhls für Zeitgeschichte der Ruhr-Universität Bochum am Institut für Soziale Bewegungen in Bochum statt. Ziel dieser nicht-öffentlichen Arbeitstagung war es, die künftigen Grundlinien der ins Auge gefassten Teilprojekte umfassend zu diskutieren sowie forschungspraktische Fragen zu erörtern.