Bericht zum Workshop "Kernsonden mit ganzzahligem Spin (I = 1)"

in Bochum vom 09. - 10. September 1999

Strahlender Sonnenschein und Temperaturen von 30°C mitten im September empfingen die Teilnehmer des 5. NMR-Workshops in Bochum. Nachdem ein knappes halbes Jahr zuvor ein ausschließlich auf NMR-Software ausgerichtetes Programm erstmals die Gelegenheit geboten hatte, den Workshop an einem anderen Ort durchzuführen, standen diesmal unter dem Thema "Kernsonden mit ganzzahligem Spin (I = 1)" auch wieder "echte" NMR-Experimente auf der Tagesordnung. Daher kehrte die Veranstaltung an ihren angestammten Sitz, dem Institut für Mineralogie der Ruhr-Universität Bochum, zurück. Das ungewöhnlich sommerliche Klima gab sein Bestes, um die Arbeitsmoral von Mensch und Technik zu untergraben: Zu allem Übel war auch die Klimatisierung des normalerweise eher unterkühlten NMR-Labors ausgefallen, so daß die hohen Außentemperaturen hautnah am Spektrometer "nachempfunden" werden konnten. Diesen widrigen Umständen trotzten die 12 Teilnehmer, die aus Bochum, Hannover, Kiel, Bonn, Swisttal und Freiberg gekommen waren, und die an den zwei Tagen einige neue Aspekte der Festkörper-NMR-Spektroskopie kennenlernten, aber auch reichlich Gelegenheit hatten, ihre Kenntnisse der einschlägigen Computersoftware anzuwenden und zu vertiefen.

Der Donnerstag war dem Wasserstoffisotop 2H gewidmet. Zunächst gab Michael Fechtelkord eine etwa einstündige theoretische Einführung, in der die Grundlagen der Quadrupolwechselwirkung, des Einflusses intramolekularer Dynamik auf die Linienform von 2H NMR-Spektren, sowie das im weiteren Verlauf des Tages zu verwendende Programm MXQET besprochen wurden. Im Anschluss daran begann der experimentelle Teil, der in der Aufnahme von 2H NMR-Spektren von d4­Thioharnstoff bei verschiedenen Temperaturen bestand. Als Pulssequenz kam das sogenannte Quadrupolecho zum Einsatz. Dabei mußte leider festgestellt werden, daß die maximale Leistung des Hochfrequenzsenders keine ausreichend kurzen 90°-Impulse lieferte, so daß für die Aufnahme eines unverfälschten Spektrums mit verkürzten Impulsen gearbeitet wurde. Bis zur Mittagspause war das Gerät soweit vorbereitet, daß eine Messung bei der tiefsten Temperatur von 228 K gestartet werden konnte. Bei dieser Temperatur sind die internen Rotationen des Thioharnstoffs eingefroren, und das 2H NMR-Spektrum wird nicht mehr von der Moleküldynamik beeinflußt. An dieser Stelle ist ein freundliches Schreiben von Prof. Haeberlen vom MPI für medizinische Forschung in Heidelberg zu erwähnen, der im Vorfeld den Organisatoren des Workshops viel Erfolg wünschte. Seinem Hinweis, daß der eigentliche Tieftemperaturbereich für die Dynamik von Methylgruppen unterhalb von 30 K liegt, konnten wir leider nicht nachgehen, da das Bochumer Spektrometer nicht für Messungen bei Temperaturen < 90 K ausgerüstet ist.

Nach dem Mittagessen kam die Arbeit dann endlich richtig ins Rollen. Während weitere 2H NMR-Spektren bei Temperaturen bis 333 K aufgenommen wurden, standen für die Auswertung der Daten drei PCs bereit, an denen die Workshopteilnehmer in kleinen Gruppen arbeiten konnten. Zunächst wurde das 228 K-Spektrum mit der Simulationssoftware WINFIT von Bruker angepaßt, um die korrekten Quadrupolparameter zu gewinnen. Diese wurden als Startwerte für die Analyse der dynamisch beeinflußten Spektren bei höheren Temperaturen mit Hilfe des Programmes MXQET benötigt, von dem Dr. Carsten Paulmann vom Mineralogisch-Petrographischen Institut der Universität Hamburg freundlicherweise eine PC-Version erstellt hatte. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten, die vor allem in fehlerhaften Eingabeformatierungen begründet lagen, es handelte sich schließlich um einen FORTRAN programmierten Code, begannen die mit MXQET berechneten Linienformen, den gemessenen Spektren zunehmend ähnlicher zu werden. Als das letzte Spektrum gemessen war, wurde der erste Tag beendet. Nach alter Tradition hielten die Teilnehmer am Abend Einkehr zum Gesellschaftsabend im "Le Clochard".

Am Freitagmorgen wurde der Workshop mit einem zweiten etwa einstündigen Theorieteil fortgesetzt, in dem Ingo Wolf zunächst einige allgemeine Eigenschaften der Spin-1-Kerne 2H, 6Li und 14N im Vergleich zu deren jeweiligen Alternativisotopen 1H, 7Li und 15N besprach. Anschließend ging er etwas detaillierter auf die Besonderheiten der mit 6Li MAS NMR zu untersuchenden paramagnetischen Lithiummanganate ein, in denen ungepaarte Elektronen über die sogenannte Fermi-Kontaktwechselwirkung, sowie dipolare Elektronenspin-Kernspin-Kopplungen für große Verschiebungen der NMR-Signale sorgen. Der Rest des Vormittags war der Messung von 14N NMR-Spektren an Tetramethylammoniumjodid bei verschiedenen Temperaturen gewidmet. Bei dieser Substanz weist der Stickstoffkern eine moderate Quadrupolkopplung, sowie eine Relaxationszeit im Bereich von einigen Sekunden auf - Bedingungen, die gewöhnlich in der Festkörper-NMR-Spektroskopie des Isotops 14N selten zu finden sind. Aus den drei gemessenen Spektren ergaben sich keine Anzeichen für eine dynamisch beeinflußte Linienform, wie sie tags zuvor am Beispiel des d4­Thioharnstoffs mit 2H NMR zu beobachten war.

Nach der Mittagspause wurde mit der Aufnahme von 6Li MAS NMR-Spektren an LiMn2O4 im Temperaturbereich zwischen 25°C und 120°C begonnen. Parallel dazu standen wieder die Arbeitsplatzrechner zur Verfügung, um die Spektrensimulationen der 2H NMR-Experimente vom Vortag, sowie der 14N NMR-Experimente vom Vormittag fortzuführen. Schließlich wurde die Signalverschiebung aus den 6Li NMR-Spektren in Abhängigkeit von der Probentemperatur ausgewertet, woraus sich das für paramagnetische Verschiebungen geltende Curie-Gesetz ( µ1/T) ergab. Einen weiteren Beweis für die Echtheit des paramagnetischen Effektes lieferte die Lithiummanganatprobe am Ende der Messungen, indem sie sich hartnäckig weigerte, das starke Feld im Inneren des Magneten wieder zu verlassen und sich erst speziellem (=langstieligem) Greifwerkzeug fügte.

Als Fazit läßt sich festhalten, daß sich das Konzept, den zweitägigen Workshop durch zwei Verantwortliche zu organisieren, erneut bewährt hat. Das Programm bot Gelegenheit sowohl zur praktischen Durchführung von NMR-Experimenten, als auch zur Anwendung und Vertiefung von Kenntnissen in der Datenauswertung. Erfreulich ist die Resonanz, die der Workshop auch diesmal wieder über die Grenzen des Arbeitskreises hinaus gefunden hat.

Ingo Wolf,
Bochum