Bericht zum Workshop "Dynamische Prozesse in kristallinen Festkörpern"

in Bochum vom 02. - 03. April 1998

Dynamische Prozesse in kristallinen Festkörpern spiegeln sich in vielen makroskopischen Eigenschaften von Stoffen wider. Mit Hilfe der Festkörper NMR Spektroskopie lassen sich diese Bewegungsprozesse beobachten, wobei sich durch Anwendung verschiedener experimenteller Methoden dynamische Vorgänge in Zeitfenstern von 10-8 - 10-3 s untersuchen lassen.

12 Teilnehmer aus Bochum, Münster, Mainz, Kiel, Siegen und Hannover reisten an, um einen Einblick zu erhalten, wie man Informationen über Dynamik unter Anwendung von T1-Spin-Gitter-Relaxationsmessungen bzw. T2-Spin-Spin Relaxation bekommt.

Im zweistündigen theoretischen Teil vermittelte M. Fechtelkord (Hannover) die Zusammenhänge zwischen der Spin-Gitter-Relaxation und Aktivierungsenergien sowie Korrelationszeiten von Methylgruppenrotationen. Dieser Zusammenhang läßt sich nach der sogenannten BPP-Gleichung (Bloembergen, Purcell und Pound) herstellen. Als ein anschauliches Beispiel sollten nach der Mittagspause die Rotationsprozesse der Methylgruppen sowie des gesamten Tetramethylammonium-Tetraeders im Tetramethylammoniumjodid (CH3)4NI untersucht werden. Dies konnte auch nach guter Stärkung bei Speisen "aus Mutters Küche" und "aus deutschen Landen" geschehen. Auch die Pasta-Fans kamen voll auf ihre Kosten.

Nach dem Konzept "mit einfachen Mitteln versteht man die Theorie am besten" wurden statt Großrechneranlagen und diversen Auswertungsprogrammen vor dem Meßraum Tische und Stühle bereit gestellt. Mit Lineal, halblogarithmischem Millimeterpapier und "Klein-Laptops" bewaffnet wurde die Flut der Meßpunkte nun in Angriff genommen, die von der zweiköpfigen Meßcrew alle 10 Minuten durchgegeben wurde. Von Raumtemperatur bis 573 K hieß es von nun an in 10 K Schritten durch Anwendung der Inversion-Recovery Pulsfolge die T1-Zeiten zu erhalten. Gerade die intensive Diskussion der verschiedenen Teilnehmer untereinander trug viel zum Verständnis der Materie bei, so daß zum Schluß jeder die Aktivierungsenergien und Korrelationszeiten ohne große Probleme berechnen konnte.

Beim anschließenden zwanglosen Treffen im "Filou" nach getaner Arbeit, ergaben sich schnell neue Freundschaften über alle Stadtgrenzen hinaus.

Am nächsten Tag sollte nach der Theorie zur Spin-Spin Relaxation statt aufgeheizt, Kühlmessungen durchgeführt werden. Bei 100 K können alle Rotationsprozesse als eingefroren betrachtet werden und damit aus der mittleren quadratischen Linienbreite <w2> nach der Van Vleck'schen Formel der "mittlere" Abstand der Protonen bestimmt werden. Nun stellte sich bei vielen die Frage, wie berechne ich ein Integral ohne Computer, wenn ich nur das gaußförmige Signal auf einem Stück Papier habe und die Gesamtfläche auf eins normiert ist. Guter Rat war teuer und verschwommen tauchten Erinnerungen aus der gymnasialen Oberstufe auf, wo das Problem doch irgendwie etwas mit "Ober-" und "Untersummen" zu tun hatte, welche man auf dem Millimeterpapier in die Funktion einzeichnete.

Experimentelle Probleme taten sich noch in der T2-Bestimmung bei tiefen Temperaturen auf, weil sich die Spin-Gitterrelaxationszeiten ins Bodenlose verlängerten, was auch gleich von vielen Teilnehmern durch theoretische Berechnungen bestätigt werden konnte. Improvisation war nun angesagt, um zumindest die verschiedenen Linienbreiten bei den diversen Temperaturpunkten zu erhalten.

Fazit der Veranstaltung war, daß bei "Zu-Fuß-Auswertungen" von Meßdaten die dahinter steckende Mathematik oft viel besser verstanden und behalten wird.

Michael Fechtelkord,
Hannover