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4     Die Phylogenie der Pflanzen

4.1       Übersicht über das System
4.2       Die verwandtschaftlichen Beziehungen



4 Die Phylogenie der Pflanzen

 

4.1 Übersicht über das System

 

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen solchen Überblick zu versuchen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Eine linear angeordnete Systemübersicht, wie sie notwendigerweise einem Lehrbuch zugrunde liegen muß, hat im Vergleich zur Darstellung als Stammbaum oder als "Dahlgrenogramm"(Abb. 37 ) mit einigen formalen Schwierigkeiten zu kämpfen. Artenreiche und vielgestaltige Gruppen erfordern aus praktischen Gründen vielfach eine stärkere Aufgliederung als einförmige oder artenarme Gruppen. Die systematische Gliederung wird deshalb meist mehr oder weniger stark unsymmetrisch. Während die beiden Abteilungen Bryophyta und Pteridophyta direkt in Klassen unterteilt sind, werden die Spermatophyta zuerst in zwei Unterabteilungen und dann weiter in Klassen unterteilt.   Wenn nicht alle Hierarchiestufen benötigt werden, ist es von untergeordneter Bedeutung, welche ausgelassen werden und welche benutzt werden. Dies kann zu Verwirrungen führen, da einerseits die gleiche Bezeichnung für eine Rangstufe verschiedenes bezeichnen kann und andererseits die gleiche Gruppe verschieden bezeichnet sein kann. Wenn man sich einen Überblick über ein System verschaffen oder verschiedene Systeme vergleichen will, muß man daher im Einzelfall vergleichen, welche Einheiten niedrigeren taxonomischen Niveaus zu einer systematischen Gruppe gerechnet werden.

 

Um den Überblick wenigstens etwas zu erleichtern, gibt es für jede Rangstufe oberhalb der Gattung eindeutige Endungen. Diese sind für Rangstufen unterhalb der Familie verbindlich. Auf der Stufe der Familie und darunter werden die Endungen an den Namen einer namengebenden Gattung angehängt (z.B. Ranuculus    Ranuculaceae   Ranunculales). Oberhalb der Familie sind auch sog. beschreibende Namen möglich, denen ein bestimmtes, als wesentlich erachtetes Merkmal zugrunde liegt. Die Ordnung der Nelkenartigen kann so z.B. entweder nach der Familie der Nelkengewächse benannt werden und muß dann "Caryophyllales" heißen, oder man kann sie nach der für die Gruppe typischen zentrale Plazentation "Centrospermae" nennen. Von den in der folgenden Übersicht dargestellten Rangstufen sind die fettgedruckten sogenannten Hauptrangstufen von besonderer Bedeutung. Zusätzlich zu den hier dargestellten Rangstufen dürfen bei Bedarf noch zusätzliche Stufen eingeschoben werden. Glücklicherweise macht von dieser Möglichkeit (fast) niemand Gebrauch und es sind in den meisten Systementwürfen weniger Rangstufen verwendet als hier angegeben. Die Hauptrangstufen müssen aber zwangsläufig in jedem Fall vorkommen.

 

Abteilung (phylum, divisio): -phyta bei den Pilzen -mycota

     Unterabteilung (subphylum, subdivisio): -phytina bei den Pilzen -mycotina

               Klasse (classis): -opsida oder -atae

                                                           bei den Algen -phyceae

                                                           bei den Pilzen -mycetes

                                                           bei den Flechten -lichenes                                          

                         Unterklasse (subclassis): -idae (iflorae)

                                                                       bei den Algen -phycidae

                                                                       bei den Pilzen -mycetidae

                                    Überordnung (superordo, cohors): -anae

                                              Ordnung, Reihe (ordo): -ales

                                                       Unterordnung (subordo): -ineae

                                                               (Familiengruppe: -ineales)

                                                                       Familie (familia): -aceae

                                                                           Unterfamilie (subfamilia): -oideae

                                                                                 Tribus (tribus): -eae

                                                                                      Subtribus (subtribus): -inae

Ab hier sind die Endungen fest vorgeschrieben!

                                                                                            Gattung (genus)

                                                                                                  Untergattung (subgenus)

                                                                                                         Sektion (sectio)

                                                                                                              Untersektion (subsectio)

                                                                                                                     Serie (series)

                                                                                                                            Art (species)

                                                                                                                                  Unterart (subspecies)

                                                                                                                                        Varietät (varietas)

                                                                                                                                             Untervarietät (subvarietas)

                                                                                                                                                      Form (forma)

 

 

Abb. 36

 

Im Dahlgrenogramm ist die Übersicht durch die Anordnung in einzelnen Blasen gegeben, das hierarchische Niveau der Benennung der einzelnen Gruppen ist für das Verständnis der Verwandschaftsbeziehungen eher  von nachrangiger Bedeutung. Die eindimensionale Abfolge in einem Systematikbuch macht den Überblick hier viel schwieriger. Hier müssen die Bezeichnungen der hierarchischen Ebenen genauneingehalten werden. Man benötigt "leere" Rangstufen, d.h. Stufen auf denen nichts zusammengefaßt wird sondern nur die Bezeichnugn auf einer Anderen Rangstufe wiederholt wird, damit keine falschen Eindrücke entstehen (z.B. Welwitschia, Welwitschiaceae, Welwitschiales für die einzige Art Welwitschia mirabilis).

 

Bei der linearen Darstellung beginnt man in der Regel mit den als ursprünglich betrachteten Taxa und schließt die abgeleiten Taxa daran an. Da man heute die Monocotyledonen als von dicotylen Vorfahren abgeleitet betrachtet, schließen die Monocotyledonen in den Lehrbüchern an die Dicotyledonen an und kommen dann immer nach den Asteridae, welche die am stärksten abgeleiteten Dicotyledonen darstellen. Daß die ursprünglichen Dicotyledonen und die ursprünglichen Monocotyledonen im Bereich Laurales, Nymphaeales, Piperals und Alismatales, Dioscoreales und vielleicht auch Arales eine gemeinsame Wurzel haben, ist im Dahlgrenogramm viel leichter erkennbar. Eine Familie wie die Paeoniaceen ist in den Systemen anderer Systematiker bei den Magnoliidae, den Ranunculidae oder den Dilleniidae eingeordnet. Das erscheint in der linearen Anordnung ein durch viele Seiten Text unüberbrückbarer Gegensatz. Im Dahlgrenogramm sind die drei Positionen dagegen ganz dicht beieinander und die Pfingstrosen bilden in jeder Gruppe, zu der sie gestellt werden, ein ursprüngliches Anfangsglied. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Lehrmeinungen ist so auf seine   tatsächliche (minimale) Größe zusammengeschrumpft.

 

Das Dahlgrenogramm  (Abb. 37 ) kann durch die Anordnung und Form der einzelnen Blasen Zusammenhänge suggerieren. Im gegebenen Beispiel scheinen alle Blasen aus einem Zentrum hervorzugehen und der Peripherie zuzustreben. Die als ursprünglich betrachteten Gruppen sind in der Nähe des Zentrums, die am stärksten abgeleiteten Gruppen sind am weitesten vom Zentrum entfernt. Für das visuelle Gedächtnis sind Dahlgrenogramme daher besonders günstig. Sie können allerdings nicht beliebig fein aufgegliedert werden, ohne daß die Übersichtlichkeit wieder verloren geht. Für die Übersicht über wichtige Gattungen Familien und Ordnungen sowie deren systematische Stellung ist daher die folgende Liste hilfreich.

 

4.2 Die verwandtschaftlichen Beziehungen

 

Am einfachsten sind die verwandtschaftlichen Beziehungen in einem Stammbaum darzustellen. In Abb. 38 ist dies für die Moose, Farne, Gymnospermen und Angiospermen gemacht worden. Der einfache Stammbaum nimmt dabei keine Rücksicht darauf, daß es sich bei Moosen und Farnen um Abteilungen, bei Gymnospermen und Angiospermen aber um Untergruppen der Abteilung Samenpflanzen handelt. Bryophyta und Pteridophyta werden gerne als Archegoniaten zusammengefaßt und den Phanerogamen gegenübergestellt. Allerdings weisen auch die Phanerogamen Archegonien auf. Das terminologische Gegenstück zum Begriff Phanerogamen sind die Kryptogamen, die außer Moosen und Farnen auch noch Algen und Pilze umfassen. Farnpflanzen und Samenpflanzen werden vielfach auch als Gefäßpflanzen zusammengefaßt.

 

Im Stammbaum gibt es neben den vier terminalen Taxa (OTU´s, siehe Seite 14) hypothetische Vorfahren (HTU´s), die hier von 1-3 durchnumeriert sind. Als Merkmal, das alle Landpflanzen   miteinander verbindet und von allen anderen Pflanzen unterscheidet (Autapomorphie von 1, Synapomorphie für alle von 1 abstammenden Taxa), haben wir bereits das Auftreten von zelligen Hüllen um die Gametangien kennengelernt. Der heterophasische Genereatioswechsel ist dagegen vermutlich ein plesiomorphes Merkmal, da er vielleicht schon bei den algenartigen Vorfahren vorkam. Moose und Farne anhand der Archegonien als Archegoniaten zusammenzufassen und den Spermatophyten gegenüberzustellen ist nach den Regeln der Kladistik unzulässig, da das Archegonium eine Apomorphie für Taxon 1 ist und in (zwar stark reduzierter Form) auch bei den Samenpflanzen vorkommt. Der Begriff Kryptogamen nimmt auf die angeblich im Verborgenen ablaufenden Sexualvorgänge und -organe der Moose und Farne Bezug, während diese bei den Phanerogamen angeblich mit den Blüten offen zur Schau gestellt werden. Das zeigt schon, daß die Begriffe Phanerogamen und Kryptogamen älter sind, als die Kenntnis des Generationswechsel der beiden Gruppen.

Analysiert man den Stammbaum im Hinblick auf die Evolution der Wurzel, so bieten sich zunächst zwei Lösungen an. Entweder Taxon 1 hatte bereits eine Wurzel und diese ging bei den Moosen wieder verloren, oder Taxon 1 hatte noch keine Wurzel und sie wurde bei den Samenpflanzen und den Farnen unabhängig neu erfunden. Das ist beides nicht sehr befriedigend, und es gibt auch einen Stammbaum, bei dem die Wurzel nur einmal erfunden zu werden braucht und an alle Tochterarten weitergegeben wird ohne je wieder verloren zu gehen. Dieser Stammbaum ist in Abb. 39 dargestellt. Der Stammbaum geht davon aus, daß Taxon 1 einen isomorphen Generationswechsel aufweist, in dem Gametophyt und Sporophyt gleichgestaltet sind. Taxon 1 hatte vermutlich bereits ein einfaches Leitsystem. Das paßt gut zu der Beobachtung, daß in Moosen vereinzelt Leitelemente vorkommen, die der Wasserleitung (Hydroiden) oder der Assimilatleitung (Leptoiden) dienen und die in gleicher Weise mit Assimilatleitelementen an der Peripherie und Wasserleitelementen im Zentrum angeordnet sind, wie die Leitelemente der Farne und Samenpflanzen. Daß nur noch einzelne Leitelemente, aber kein durchgehendes Leitsystem vorhanden ist, kann als sekundäre Reduktion aufgefaßt werden. Mit der Notwendigkeit einer äußeren Wasserleitung als Schwimmbahn für die Spermatozoiden wurde das innere System überflüssig und ist nur ausnahmsweise noch in einzelnen Elementen erhalten.

 

Während die Spermatophyten und Angiospermen durch Apomorphien definiert sind (Angiospermen durch Frucht und Narbe, Spermatophyten durch Samen), fehlen solche Apomorphien für die Gymnospermen und die Pteridophyten. Die Tatsache daß diese Gruppen nur negativ definiert werden können (Gymnospermen ohne Frucht, Farne ohne Same und ohne Bestäubungstropfen) ist ein erster Hinweis darauf, daß es sich um paraphyletische Taxa handelt. Dies kann jedoch im Kladogramm in 39 nicht dargestellt werden, denn hierzu müssen Farne und Gymnospermen in ihre Hauptgruppen zerlegt und das Kladogramm neu kostruiert werden.

 

Die Moose sind im Kladogramm ebenfalls durch Apomorphien definiert (überwiegen des Gametophyten, Verlust des Leitsystems) (Abb. 40 ). Dies liegt aber vor allem daran, daß bei der Betrachtung der Moose meist nur die Bryidae in Betracht gezogen werden. Verschafft man sich einen Überblick über die Moose, so stellt man fest, daß hier eine breite Vielfalt vorliegt und es sich bei den Moosen vermutlich um ein paraphyletisches Taxon handelt.