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Polnisch

 

Stand der Dinge

Im Sommersemester 1995 habe ich am Hauptseminar „Polnische historische Grammatik“ teilgenommen, in dem ich zum ersten Mal von der Erscheinung der Vokalverengung (bzw. Vokalneigung) im Altpolnischen gehört habe. Die Tatsache, dass dieses Sprachphänomen bis zum heutigen Tag einen grossen Einfluß auf die Aussprache der Kontinuanten der verengten Vokale in allen polnischen Dialekten hat (vgl. dazu Dejna 1993) sowie meine Herkunft (geb. in Nikolai; Oberschlesien) haben mich dazu veranlasst, dass ich mich in der Folgezeit mit wachsendem Interesse der Phonetik der polnischen Sprache, insbesondere der Dialektphonetik zugewendet habe. Seit dem Wintersemester 1995/96 beschäftige ich mich regelmäßig mit der computergestützten Lautanalyse der gesprochenen Sprache im Linguistischen Laboratorium des Seminars für Slavistik der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Ch. Sappok.

Auch meine Magisterarbeit habe ich dieser phonetischen Erscheinung gewidmet. Ich habe erstens eine akustische Untersuchung der Kontinuanten der geneigten Vokale (á, é, ó) durchgeführt, die in einigen Ortschaften Schlesiens (Nikolai) und Orawas (Jablonka, Zubrzyca Gorna, Zarnowka) noch heute gesprochen werden. Das Ergebnis war eine Auflistung der spezifischen Formantwerte für die heutigen Varianten der geneigten Vokale. Zweitens habe ich, um die Unterschiede und/oder Ähnlichkeiten festzustellen (Ergebnisse), die gewonnen Erkenntnisse den physikalischen Größen der standardpolnischen Vokale gegenübergestellt .

Die auf diese Art und Weise begonnenen Untersuchungen möchte ich noch ausweiten. Eine grössere Anzahl von Digitalaufnahmen soll durchgefüht werden (z.B. in Masuren, Kaschubei), um weitere akustische Daten zu gewinnen. Des weiteren habe ich vor, alle Erkenntnisse mittels  einer gezielten experimentellen Verifizierung der festgestellten Unterschiede durch Perzeptionsanalyse zu erweitern. Dazu möchte ich eine Reihe von Experimenten durchführen, in den die Diskriminationsschwelle festgelegt werden soll. Durch Perzeptionsexperimente soll geprüft werden, ob die physikalischen Differenzen zwischen hellen und geneigten Vokalen überhaupt wahrgenommen werden. Dies soll sowohl bei Sprecher des untersuchten Dialektes als auch bei Sprechern, die einen anderen bzw. gar keinen Dialekt benutzen, vorgenommen werden.

Da alle Untersuchungen auf digital aufgenommenen Material basieren, entsteht als Zwischenstufe eine Datenbank der polnischen gesprochenen Sprache. Diese, zunächst noch kleine Datenbank sol im Laufe der Zeit immer grösser werden, so dass ich auch diese Sparte als ein eigenständiges Ziel meiner Arbeit ansehe. In dieser Hinsicht hoffe ich auf die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern und Interessierten.

Man kann sicherlich fragen, warum ich gerade dieses Thema zum Mittelpunkt meiner Untersuchungen gemacht habe: Das Phänomen der verengten oder als „geneigt“ bezeichneten Vokale bzw. deren Kontinuanten spielt eine bedeutende Rolle in der polonistischen Sprachwissenschaft, sowohl bei der Entwicklung der polnischen Literatursprache als auch bei der Beschreibung der territorialen Sprachvarianten. In phonetisch-phonologischer Hinsicht gibt es drei Spracherscheinungen, welche die Dialekte von dem Standardpolnischen und die Dialekte unter sich unterscheiden: zum ersten das Masurieren, zum zweiten das sog. Satzsandhi und zum dritten das Vorkommen der geneigten Vokale. Diese dritte Erscheinung ist so weit verbreitet, dass sie oft als „Akzent“ (im Sinne der unbewussten Übernahme der Artikulationsgewohnheiten des Dialektsprechers in die Standardsprache) empfunden wird. Dennoch wurde dieses Thema niemals aus der mess-akustischen Sicht untersucht. So gibt es zwar in der polnischen Sprachwissenschaft eine ganze Reihe von Arbeiten zu diesem Themenbereich, die teilweise sogar auf Tonbandaufnahmen basieren. Doch alle diese Arbeiten beruhen auf subjektiven Eindrücken und benötigen, meiner Meinung nach, eine überprüfbare Ergänzung. Noch nie aber wurden die lautlichen (=physikalischen) Eigenschaften der geneigten Vokale bzw. deren Kontinuanten gemessen und beschrieben. Gerade eine solche Untersuchung würde jedoch eine sinnvolle Vervollständigung der ohrenphonetischen Analyse darstellen. Aus dieser Überlegung heraus entstand die Idee, eine physikalische Analyse der geneigten Vokale durch zu führen, die einen bescheidenen Beitrag zur Erforschung dieses Phänomens darstellt.


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