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2.5       Der Sproß

2.5.1       Vegetative Sprosse

2.5.1.1       Bezeichnungen für vegetative Sprosse

2.5.1.2       Metamorphosen der Sproßachse

2.5.1.3       Verzweigung der Sproßachse

2.5.1.4       Die Architektur des Sprosses

2.5.1.5       Anisophyllie und Heterophyllie

2.5.1.6       Blattstellungen

2.5.1.7       Blattanordnung

2.5.1.8       Blattstellungsregeln

2.5.1.9       Anatomie des Sprosses

2.5.1.9.1          Spaltöffnungen

2.5.2       Die Blüte

2.5.2.1       Definition der Blüte

2.5.2.2       Bestandteile der Blüte

2.5.2.2.1          Die Blütenhülle

2.5.2.2.2          Das Androeceum

2.5.2.2.3          Das Gynoeceum

2.5.2.3       Die Frucht

2.5.2.4       Überblick über die wichtigsten Fruchttypen

2.5.2.5       Same und Samenkeimung

2.5.3       Blütendiagramme und Blütenformeln

2.5.3.1       Äquidistanz- und Alternanzregel

2.5.3.2       Symmetrie von Blüten

2.5.3.3       Diagramm und Formel

2.5.4       Blütenstände

2.5.4.1       Deskriptive Aspekte

2.5.4.2       Typologie der Infloreszenzen

2.5.4.2.1          Polytele Blütenstände

2.5.4.2.2          Monotele Blütenstände

2.5.5       Blütenbiologie

2.5.5.1   Blüten und Blumen


2.5 Der Sproß

 

In der Morphologie der höheren Pflanzen wird neben der Dreigliederung in Sproßachse, Blatt und Wurzel auch eine Zweigliederung in Sproß und Wurzel verwendet. Blätter und Sproßaches   weisen zum einen manchmal anatomische Gemeinsamkeiten auf und zeigen zum anderen oft eine Synorganisation, die zur Bildung einer ganzen Reihe von Spezialbegriffen geführt hat.

 

2.5.1 Vegetative Sprosse

 

2.5.1.1 Bezeichnungen für vegetative Sprosse

 

Rhizom, oberirdisch oder unterirdisch kriechende Achse, die mit normalen Blättern oder mit reduzierten Niederblättern besetzt ist und als Speicherorgan fungiert. Das Rhizom ist deshalb durch intensives Erstarkungswachstum verdickt (z.B. Iris).

Ausläufer, oberirdisch oder unterirdisch kriechende Achse, die mit Niederblättern besetzt ist und stark verlängerte Internodien aufweist. Der Ausläufer hat keine oder keine nennenswerte Speicherfunktion und ist daher in der Regel relativ dünn. Er erstarkt am distalen Ende, wo zugleich die Internodien wieder kürzer sind und normale Laubblätter gebildet werden (z.B. Erdbeere, Maiglöckchen). Die Abgrenzung zwischen Ausläufer und Rhizom ist mitunter schwierig und wird nicht einheitlich gehandhabt.

Langtrieb / Kurztrieb; bei vielen Arten gibt es zwei mehr oder weniger stark voneinander verschiedene Typen von Sprossen. Die einen weisen stärker gestreckte Internodien auf, die anderen stärker gestauchte Internodien auf. Bei Vorliegen einer solchen Differenzierung werden die langen Triebe als Langtriebe, die kurzen als Kurztriebe bezeichnet. Beide Begriffe sind korrelative Begriffe und können auf Pflanzen, die nur einen Typ von Sprossen aufweisen unabhängig von der Länge dieser Triebe nicht angewendet werden.

Sproßgeneration (shoot generation); als Sproßgeneration wird ein Sproßabschnitt bezeichnet, der von einem einzigen Apikalmeristem gebildet wurde. Die seitlichen Verzweigungen stellen eigene Sproßgenerationen dar. Der Begriff Sproßgeneration wird zur Beschreibung von Verzweigungsmustern (Architekturmodellen) und Verzweigungsgraden verwendet. Ein Sproß weist z.B. dann vier Sproßgenerationen auf, wenn er Verzweigungen 4. Grades aufweist.

Primärsproß (=Keimsproß); Fortsetzung der Keimachse; einziger Sproß, der nicht aus einer seitlichen Verzweigung hervorgeht.

Primansproß ; der zuerst gebildete Sproß innerhalb einer Gruppe von Beisprossen.

Beisproß ( Abb. 4 )(akzessorischer Sproß); haben mehrere Seitensprosse ein gemeinsames Tragblatt, so werden sie als Beisprosse bezeichnet. Beisprosse gehen aus einem einzigen Achselmeristem durch Fraktionierung hervor; nach der Anordnung unterscheidet man seriale Beisprosse (übereinander angeordnet) und kollaterale Beisprosse (Abb. 5 ) (nebeneinander angeordnet)

Adventivsproß; ein Sproß der nicht auf ein Achselmeristem zurückgeht

Jahrestrieb (annual growth unit); als Jahrestrieb wird der aus einer Endknospe hervorgehnde jährliche Zuwachs einer Pflanze bezeichnet. Dabei gehören auch die innerhalb des Jahres gebildeten Seitentriebe mit zum Jahrestrieb hinzu. In Gebieten mit einer Vegetationsperiode pro Jahr entspricht der Jahrestrieb der "seasonal growth unit" des englischen Sprachgebrauches.

Monopodium, Sproßabschnitt, der eine durchgehende, von einem einzigen Apikalmeristem gebildete relative Hauptachse aufweist. Das Monopodium ohne seine seitlichen Verzweigungen stellt immer eine einzige Sproßgeneration dar. Bei Vorliegen einer monopodialen Verkettung von Sproßabschnitten sind alle Teile aus einem einzigen Scheitelmeristem hervorgegangen.

Sympodium, Sproßabschnitt, bei dem die relative Hauptachse von mehreren Sproßgenerationen gebildet wird. Bei Vorliegen einer sympodialen Verkettung sind die betrachteten Abschnitte aus verschiedenen Sproßgenerationen zusammengesetzt und damit von verschiedenen Scheitelmeristemen gebildet. Einen Sonderfall des Sympodiums stellt im Bereich des Blütenstandes das Anthokladium dar.

 

2.5.1.2 Metamorphosen der Sproßachse

 

Seitliche Verzweigungen (seltener der Hauptsproß) können als sog. Ausläufer ausgebildet sein, die entweder aus einem einzigen Internodium bestehen und deswegen dann blattlos sind, oder wenige Niederblätter aufweisen und nicht verzweigt sind. Ausläufer dienen der vegetativen Vermehrung (z.B. Erdbeere, viele Gräser). Ausläufer können oberirdisch oder unterirdisch verlaufen.

 

Verdickte ober- oder unterirdische Kriechsprosse werden als Rhizome bezeichnet. Sie haben Speicherfunktion (Iris) und tragen normale Laubblätter oder häufiger reduzierte Niederblätter, aus deren Achsel aber eine Verzweigung erfolgen kann. Durch den Besitz von Blättern unterscheiden sich Rhizome immer eindeutig von Wurzeln. Zwischen Ausläufern und Rhizomen gibt es alle Übergänge und die Anwendung der beiden Begriffe ist nicht immer ganz einsichtig. So werden die unterirdischen Sprosse des Maiglöckchens meist als Rhizome bezeichnet, während die morphologisch sehr ähnlichen unterirdischen Sprosse der Quecke allgemein als Ausläufer angesehen werden.

 

An Sprossen können durch Verdickung Sproßknollen gebildet werden, die aus einem oder mehreren Internodien gebildet werden. Sie dienen der vegetativen Vermehrung oder (und) der Überdauerung von Ruheperioden. Beispiele für Sproßknollen sind Kartoffel, Kohlrabi und die "Zwiebeln" von Krokus und Gladiole.

 

Kleine Knollen (Bulben) werden als Bulbillen bezeichnet. Dabei werden nicht selten wesentliche Teile des Speichers auch von Niederblättern gebildet, mit der Folge daß Bulbillen nicht selten auch als Sonderform der Zwiebel betrachtet werden (Dentaria bulbifera, Zwiebeltragende Zahnwurz). Bulbillen werden vielfach in der Achsel von Laubblättern gebildet und dienen der vegetativen Ausbreitung. Ein größerer Teil der Bulbille wird manchmal zur Ausbildung einer ersten sproßbürtigen Wurzel verbraucht, die als Zugwurzel die Bulbille in tiefere Bodenschichten befördert. Die Bulbille selbst ist aber von einer Epidermis umgeben und damit eine Bildung des sprosses.

 

Eine Sonderform der Sproßknolle stellt die Hypocotylknolle (z.B. Radieschen, Alpenveilchen) dar, da das Hypocotyl zwar dem Sproß zuzurechnen ist, aber kein Internodium darstellt.   Sind an der Bildung der Speicherorgane neben der Sproßachse auch Teile der Wurzel beteiligt, spricht man von Rüben, z.B. beim Rettich und der Karotte.

 

Im Zusammenhang mit xerophytischer Lebensweise oder als Fraßschutz werden statt Blättern vielfach auch Sprosse zu Sproßdornen umgewandelt. Bei Lianen kann die Achse windend oder (dann meist Kurztriebe) rankend ausgebildet sein. Sproßranken, wie sie bei Vitis vorkommen, sind dabei sorgfältig von Blattranken (Erbse) zu unterscheiden. Nicht selten ist es bei verzweigten Sproßranken schwierig zu entscheiden, welche Teile Blättern und welche Sproßachsen entsprechen. (Sproß= Sproßachse + Blätter!). Die Sproßachse kann auch sukkulent werden und der Wasserspeicherung dienen. Dabei kann der Wasserspeicher vorwiegend im Mark oder im Rindenbereich liegen, seltener umfaßt er alle Sproßgewebe.

 

Bei der Zwiebel liegt ein kurzer, gestauchter Sproßabschnitt vor, der mit Speicherblättern besetzt ist. Es gibt eine große Vielfalt unterschiedlich gebauter Zwiebeln. Unterschiede ergeben sich vor allem aus dem Verzweigungsgrad und der Verzweigungsweise innerhalb der Zwiebel und dem maximalen Alter der am Aufbau beteiligeten Sproßabschnitte. Weitere wichtige Unterschiede bestehen in der Anzahl und in der Morphologie der beteiligten Blätter. Dabei kann sowohl das ganze niederblattartige Blatt eine Zwiebelschuppe aufbauen als auch der basale Teil eines im distalen Teil laubigen und Photosynthese treibenden Blattes. Eine Zwiebelschuppe kann aus einer röhrig geschlossenen Blattscheide bestehen (Schalenzwiebel) so daß Querschnitte typische "Zwiebelringe" liefern (Küchenzwiebel), oder sie kann eine Schuppenzwiebel aus mit schmaler basis ansitzenden Schuppen sein (Lilium). Das Speichergewebe kann aus der Basis eines normalen Laubblattes gebildet sein, oder ein Niederblatt ohne assimilatorischen Teil sein. Stengelumfassende Blätter können mit nicht stengelumfassenden Blättern Abwechseln und schließlich kann die Dauer, die ein Blatt als Speicher dient ebeso unterschiedlich sein, wie die Lebensdauer der Sproßachse, an der es inseriert.

2.5.1.3 Verzweigung der Sproßachse

 

Die Sproßachse der Spermatophyten verzweigt sich ausschließlich aus der Achsel von Tragblättern. Achselsprosse können prinzipiell in allen Blattachseln gebildet werden. Meist werden sie zumindest im vegetativen Bereich in Form von Achselknospen in jeder Blattachsel angelegt, nur ein kleiner Teil davon treibt aber später zu Achselsprossen aus. Der Rest dient als Reserve und treibt nur aus, wenn die Pflanze bereits vorhandene Seitensprosse oder den Haupttrieb durch Beschädigung verliert.

 

Zu den normalen axillären Sprossen können zusätzliche Achselsprosse, sog. akzessorische Sprosse oder Beisprosse hinzutreten. Sie entstehen, wenn das Meristem das die Achselknospe bildet durch die Tätigkeit des interkalaren Meristems verzerrt wird, das für die Internodienstreckung verantwortlich ist. Das ellyptische oder eiförmige Achselmeristem fraktioniert dabei in mehrere kreisförmige Sproßmeristeme, die nicht gleichzeitig sondern nacheinander differenzieren. Liegt das breitere Ende eines eiförmigen Achselmeristemes (schwarze Flächen in Abb. 4) nach unten an der Abstammungsachse, so entstehen die folgenden Beisprosse in serial aufsteigender Reihenfolge (Lonicera). Liegt das breitere Ende oben, so entstehen so entstehen serial absteigende Beisprosse (Rubus fruticosus L.). Wird das Achselmeristem mehr oder weniger symmetrisch verzerrrt, so entstehen biseriale Beisprosse, bei denen der zuerst gebildete Sproß in der Mitte liegt und sich weitere in beiden Richtungen fortschreitend bilden. Seriale Beisprosse kommen nur bei Dikotyledonen vor.

 

Bei Monocotyledonen wird das Achselmeristem beim Erstarkungswachstum der Sproßachse in die Breite gedehnt und kann dann in ähnlicher Weise in nebeneinander liegende Sprosse zerfallen. Man spricht hier von kollateralen Beisprossen. Ein typisches Beispiel hierfür sind die aus mehreren Gruppen von Beisprossen aufgebauten, pinselartig angeordneten Seitensprosse von Papyrus (Cyperus papyrus). Kollaterale Beisprosse kommen nur bei Monocotyledonen vor und sind grundsätzlich in einer einzigen Reihe angeordnet.

 

Ein wichtiges Kennzeichen von Beisprossen ist, daß alle Sprosse einer Beisproßgruppe relativ zur gemeinsamen Abstammungsachse die gleiche Stellung der ersten Blattorgane aufweisen. Man spricht deswegen auch von "koordinierten Sprossen" im Gegensatz zu normalen verzweigten Systemen, die als "subordinierte Sprosse bezeichnet werden Bei normaler Verzweigung sind die nebeneinanderliegenden Sprosse Seitenachsen verschiedener Achsen und die Anordnung innerhalb der Gruppe in Bezug auf die relative Hauptachse ist deswegen nicht gleich. Innerhalb einer Gruppe von Beisprossen wird der stärkste, sich zuerst entwickelnde Sproß Primansproß genannt.

 

Entwickeln sich alle Beisprosse einer Beisproßgruppe innerhalb kurzer Zeit, so sind sie auch morphologisch gleichartig. Erstreckt sich die Ausdifferenzierung und Entwicklung über einen längeren Zeitraum, so können die Beisprosse morphologisch und funktionell sehr verschieden sein. Bei einem Wechsel von der reprodultiven Phase zur vegetativen Phase (oder umgekehrt) während der Ausbildung der Beisprosse sind nicht selten die ersten Beisprosse Blüten oder auch (Teil-) Blütenstände, während die zuletzt ausgebildeten Beisprosse vegetative Sprosse (Innovationstriebe) sind (z.B. Aristolochia clematitis).

 

Besonders kompliziert und unübersichtlich können die Verhältnisse werden, wenn sich Beisprosse sofort aus den Achseln der Vorblätter verzweigen (z.B. Forsythia). In diesem Fall lassen sich ohne sorgfältige Analyse Beisprosse nicht mehr von normalen axillären Verzweigungen unterscheiden und man findet den Begriff "Beisprosse" daher nicht nur auf solche Sprosse angewendet, die in der Achsel eines gemeinsamen Tragblattes beieinander stehen (morphologisch korrekte Anwendung), sondern auch, wenn ein verzweigter Sproß so gestaucht in einer Blattachsel steht, daß man nicht ohne weiteres sieht, daß jeder Trieb ein eigenes (u.U. stark reduziertes) Tragblatt aufweist (Beisprosse im weiteren Sinn, morphologisch nicht korrekte Anwendung, in Bestimmungsbüchern aber teilweise gebräuchlich).

 

Oft stehen Seitensprosse nicht direkt in der Achsel eines Tragblattes, sondern ein ganzes Stück darüber an der Abstammungsachse oder auf dem Blattstiel oder sogar auf der Blattspreite auf der Mittelrippe. Auch in diesen Fällen sind die Seitensprosse regelgerecht in der Achsel von tragblättern angelegt worden. Durch die Tätigkeit des für die Internodienstreckung oder des für die Steckung des Blattstiels verantwortlichen interkalaren Meristems können sie aber verlagert werden.Bei der concaulescenten Verlagerung (Abb. 6 ) wird der Achselsproß an der Sproßachse nach oben verlagert. Er steht dann nicht mehr in der Achsel seines Tragblattes, obwohl er dort angelegt wurde. Die concauleszente Verlagerung kann als Endglied der Reihe der Beisproßbildungen verstanden werden. Im Unterschied zur Beisproßbildung wird das Achselmeristem nicht verformt, sondern insgesamt nach oben verlagert.

 

Wird die Achselknospe dagegen von dem interkalaren Meristem, das den Blattstiel bildet aus seiner ursprünglichen Lage verschoben, so kommt eine rekauleszente Verlagerung zustande. Durch das Meristem, das den Blattstiel bildet, kann das Achselmeristem in ähnlicher Weise fraktioniert werden und damit die Bildung von serialen Beisprossen hervorrufen, wie das oben für das interkalare Sproßmeristem beschrieben wurde. Ein Beispiel hierfür ist die Anordnung von Areole und Blüte bei Mamillaria (Cactaceae, siehe S. ).

 

Es kommen bei Samenpflanzen jedoch auch Sprosse vor, die sich nicht auf regelgerecht gebildete Achselsprosse oder Teile von solchen zurückführen lassen, sondern irgendwo ohne definierte Lagebeziehung zu einer Blattachsel. Solche Sprosse nennt man Adventivsprosse. Adventivsprosse sind z.B. wurzelbürtige Sprosse und Hypocotylsprosse. Wurzelbürtige Sprosse entstehen wie Seitenwurzeln aus dem Perizycel, also endogen. Typische Hypocotylsprosse entstehen exogen am Hypocotyl (z.B. Linaria), im Bereich des Hypocotyls entstehen jedoch nicht selten auch Seitensprosse nach dem Modus wurzelbürtiger Sprosse (z.B. Cyclamen). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich im Lauf der Entwicklung Epidermis und primäre Rinde im Bereich des Hypocotyls abschälen und die äußere Schicht des Hypocotyls von der Rhizodermis gebildet wird (vergl. S.). Stockausschläge wie sie   von manchen Bäumen nach dem Absägen des Stammes gebildet werden sind häufig ebenfalls Adventivsprosse. Sie entstehen an der Schnittfläche und werden von einzelnen Kambiumzellen regeneriert. Stockausschläge können aber auch aus schlafenden Augen austreiben und sind dann normale Seitensprosse.

 

2.5.1.4 Die Architektur des Sprosses

 

Abgesehen von den als Ausnahme auftretenden Adventivsprossen verzweigen sich Samenpflanzen nur aus den Achseln von Tragblättern. Würden sich die Pflanzen aber aus allen Blattachseln verzweigen und wären alle Seitentreibe gleichartig entwickelt, so kämen Gebilde zustande, in denen sich die Zweige gegenseitig behindern und die Blätter gegenseitig beschatten würden. Um dies zu verhindern, ist die Verzweigung auf bestimmte Blattachseln beschränkt. In den übrigen Blattachseln bilden sich mehr oder weniger weit entwickelte Knospen, die nicht austreiben und als schlafende Augen der Regeneration nach Verlust von Teilen des Verzweigungssystems dienen. Die zur Ausbildung gelangenden  Seitenachsen entwickeln sich meist weder gleichzeitig noch gleichartig. Zur Beschreibung der auftretenden Unterschiede hat sich eine Reihe von Begriffen eingebürgert.

 

Im einfachsten Fall wächst ein Trieb mit seinem Apikalmeristem immer weiter, so daß er von einer einzigen Sproßgeneration gebildet wird. Ein solcher Trieb stellt ein Monopodium dar (Abb. 7 ). In vielen Fällen stellt jedoch das Apikalmeristem sein Wachstum nach einiger Zeit endgültig ein. Das geschieht immer nach Ausbildung einer Endblüte oder eines terminalen Blütenstandes, kann aber auch ohne ersichtlichen Grund Bauplanmäßig erfolgen. Der Haupttrieb wird dann durch einen starken, nahe der Spitze stehenden Seitentrieb fortgesetzt. Nach einiger   Zeit stellt auch dieser sein Wachstum ein und wird seinerseits durch einen Seitentrieb 2. Ordnung fortgesetzt. Auf dies Weise entsteht ein Trieb, der aus unterschiedlichen Sproßgenerationen aufgebaut ist und der als Sympodium bezeichnet wird. Verzweigungssysteme, innerhalb derer nur Monopodien vorkommen, werden monopodial genannt, kommen nur Sympodien innerhalb eines Verzweigungssystems vor, so ist das System sympodial. Weil es nur von einem Trieb fortgesetzt wird, nennt man das Sympodium auch Monochasium. Ein Sympodium ist immer ein Monochasium, ein Monochasium wird aber nur dann Sympodium genannt, wenn die einzelnen Sproßgenerationen (=Sympodialglieder) einen durchgehenden Trieb oder Stamm bilden. Sympodium und Monopodium sind leicht zu unterscheiden, wenn im Schema die Sproßgenerationen markiert sind (Abb. 8 ). Werden dagegen die Jahrestriebe gekennzeichnet, so unterscheiden sich beide nur noch durch die rudimentierten und manchmal sogar abfallenden Endknospen (Abb.8 unten). Weil sich in der Natur Jahrestriebe wegen der gleichartigen Färbung und Struktur von Rinde bzw. Borke besser erkennen lassen als Sproßgenerationen, kann es schwierig sein, Sympodien richtig zu erkennen.

 

Eine Sonderform des Monochasiums ist das Anthokladium. Beim Anthokladium besteht jedes Sympodialglied aus der gleichen Anzahl von Internodien und schließt mit einer Blüte ab. Die Knoten tragen dabei laubige, der Assimilation dienende Blätter, so daß jedes Sympodialglied des Anthokladiums auch produktionsbiologisch in gewisser Weise eine selbständige Einheit darstellt. Auch Wickel und Schraubel (siehe S. ?) sind Sonderformen des Monochasiums.

 

Wird das Sproßsystem nicht von einem einzigen Trieb, sondern von zwei distalen Trieben fortgesetzt, so entsteht ein gabeliges (dichasiales) Verzweigungssystem oder Dichasium. Die dichasiale Cyme (Siehe S.71,71, 72 Abb. 22, 22, 23 a) ist eine Sonderform des Dichasiums.

 

Wird das System nicht nur von zwei distalen Ästen wie beim Dichasium, sondern von mehreren Fortsetzungstrieben, die zu einem Astwirtel zusammengerückt sind, so liegt ein Pleiochasium vor. Pleiochasien sind besonders im Infloreszenzbereich häufig (Sedum sediforme, Euphorbia helioscopia), kommen aber auch außerhalb des Blütenstandes vor (Rhododendron).

Während die Begriffe Monopodium, Sympodium, Mono-, Di- und Pleiochasium die Fortsetzung der relativen Hauptachse beschreiben, werden die folgenden Begriffe benutzt, um Unterschiede in der Ausbildung von Seitentrieben zu beschreiben. Es liegt Akrotonie (=akrotone Förderung) vor, wenn die zahlreichen Seitentrieben einer Achse von der Basis zur Spitze immer stärker werden, d.h. die untersten Seitentreibe am schwächsten und kürzesten und die obersten dagegen am längsten und dicksten sind. Sind dagegen die basalen Seitentriebe am stärksten, so spricht man von Basitonie (=basitone Förderung). Bei der Zwischenform, der Mesotonie (=mesotone Förderung) sind die Seitentriebe in der Mitte des Triebes am stärksten. Die Förderung erfolgt in dieser Weise meist nur innerhalb eines Jahrestriebes. Das hat zur Folge, daß sich an einem mehrere Jahrgänge umfassenden Trieb längere und kürzere Seitentriebe (jahres-)periodisch wiederholen.

 

Wenn der Unterschied zwischen den stark geförderten und nicht geförderten Trieben besonders deutlich und diskontinuierlich ist (d.h. keine oder kaum Zwischengrößen vorkommen) liegt eine Differenzierung in Langtriebe und Kurztriebe vor. Eine Langtrieb-Kurztrieb-Differenzierung ist besonders häufig bei laubwerfenden Bäumen anzutreffen. Kurztriebe ermöglichen im folgenden Jahr praktisch an der selben Stelle wieder ein oder mehrere Blätter zu bilden. Die Langtrieb-Kurztrieb-Differenzierung ermöglicht damit, die Krone laubwerfender Gehölze auch im Inneren belaubt zu halten. Mit der Förderung und Hemmung von Seitenachsen können noch andere Eigenschaften verbunden sein. Oft tritt z.B. Dornen- Blüten- oder Rankenbildung nur an Kurztrieben ein, während sie an Langtrieben ausbleibt. Sind die Blätter an Lang- und Kurztrieben verschieden gestaltet, spricht man von Langtriebblättern und Kurztriebblättern (z.B. Berberis vulgaris, Pinus, beide mit reduzierten Langtriebblättern). Hemmung und Förderung im Zusammenhang mit Akrotonie und Basitonie oder Langtrieb-Kurztrieb-Systemen bezieht sich nur auf die Längenentwicklung der betrachteten Seitenachsen. Hinsichtlich der Größe der an diesen Trieben entwickelten Blätter oder hinsichtlich der Blütenbildung verhalten sie sich nicht selten genau entgegengesetzt.

 

Während an vertikalen (orthotropen) Trieben die Orientierung der Seitenachsen im Raum ohne Bedeutung ist, sind die Seitenachsen an mehr oder weniger horizontalen Trieben nicht selten deutlich unterschiedlich ausgebildet.   Sind die nach beiden Seiten abstehenden Seitenachsen deutlich stärker als die nach oben und unten ragenden Äste, so liegt Amphitonie (beidseitige oder amphitone Förderung) vor. Sind die nach oben stehenden Äste am stärksten ausgebildet, spricht man von Epitonie (oberseitige oder epitone Förderung)( Abb. 10 ). Stark epiton geförderte Seitenäste werden vor allem im Obstbau "Reiter" genannt. Stehen dagegen die am stärksten geförderten Seitenäste unten an der Abstammungsachse, so liegt Hypotonie (unterseitige oder hypotone Förderung) vor. Nicht selten sind bei ungleichmäßiger Förderung der Seitentriebe plagiotroper Achsen diese selbst einseitig gefördert (dorsiventral), wobei die geförderte Seite der Achse  immer mit der Seite zusammenfällt, an der die Seitentriebe gefördert sind.

 

Betrachtet man praktische Beispiele, so stellt man fest, daß die unterschiedlichen Arten der Förderung und Fortsetzung des Sproßsystems offenbar nicht zufällig kombiniert werden, sondern daß bestimmte Kombinationen besonders häufig sind. So ist z.B. eine sympodiale Fortsetzung des Stammes häufig mit einer wechselständigen Blattstellung und mit akrotoner Förderung innerhalb des Jahrestriebes kombiniert. Nur bei dieser Kombination läßt sich in einfacher Weise   sicherstellen, daß es genau eine stärkste Seitenknospe gibt und diese auch an der Triebspitze steht, Sympodien mit gegenständiger Blattstellung kommen deswegen normalerweise nicht vor. Monopodien findet man dagegen sowohl bei wechselständiger Blattstellung (Fichte, Tanne) als auch bei gegeständiger Beblätterung (Ahorn). Dichasiale Fortsetzung des Sprosses findet man häufig bei gegenständiger Blattstellung und akrotoner Förderung (z.B. Fliedern, nach der Infloreszenzbildung), aber auch bei wechselständiger Blattstellung kann die Fortsetzung mit zwei Trieben dichasial erfolgen (z.B. Magnolia, nach der Infloreszenzbildung), sie ist dann allerdings oft nicht exakt symmetrisch.

 

Eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung des Sprosses durch seitliche Verzweigungen ist auch durch die meist unterschiedliche Internodienlänge der Abstammungsachse gegeben. In bereichen mit Knospenschuppen sind die Internodien zunächst immer stark gestaucht, da nur so viele Schuppen gleichzeitig den Vegetationsscheitel schützen können. Häufig sind diese Abschnitte auch beim Austrieb der Knospe nur begrenzt zu interkalarem Wachstum befähigt. Man kann daher die Grenze des Jahrestriebes vielfach an den gehäuften Blattnarben der abgefallenen Knospenschuppen erkennen. Die folgenden Internodien werden dann immer länger bis zu einem Maximum, dann sind die Internodien bis hin zu den gedrängt stehenden Knospenschuppen der Endknospe immer kürzer ausgebildet. An einem Jahrestrieb sind somit die Internodien in der Mitte am längsten und nehmen nach beiden Seiten in der Länge in der Regel stark ab. Seitliche Verzweigungen können daher an der Basis eines Jahrestriebes viel dichter stehen als in der Mitte des selben Triebes.

 

Wesentlich für die Architektur einer Pflanze ist auch das zeitliche Verhalten der Seitentriebe. Die Seitentriebe können ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung (d.h.ohne Ausbildung einer Ruheknospe und in der Regel in der   selben Vegetationsperiode) austreiben. Man spricht in diesem Fall von sylleptischer Verzweigung oder sylleptischem Austrieb der Seitenachsen oder kurz von Syllepsis. Bei sylleptischem Austrieb sind die Seitenzweige innerhalb eines Jahrestriebes in der Regel in aufeinanderfolgenden Blattachseln angeordnet und es bleibt dazwischen keine Blattachsel ohne Seitentrieb. Wird dagegen eine Ruheknospe gebildet, so spricht man von kataleptischem Triebverhalten oder Katalepsis.

 

Im Zusammenhang mit Syllepsis und Katalepsis taucht häufig auch der Begriff Prolepsis auf. Im Gegensatz zu Syllepsis und Katalepsis beschreibt Prolepsis nicht das Austriebverhalten als solches, sondern im Vergleich (zum Normalverhalten oder zu verwandten Arten). Seitenknospen treiben dann proleptisch aus, wenn sie eine Vegetationsperiode früher als bei einer vergleichbaren Art austreiben. Prolepsis ist also im Gegensatz zu Syllepsis und Katalepsis ein korrelativer (vergleichender) Begriff.

 

Sträucher als das Ergebnis basitoner Förderung und Bäume als das Ergebnis akrotoner Förderung darzustellen, wie das häufig geschieht, stellt eine unzulässige Verallgemeinerung und Vereinfachung dar, die weder praktischen noch theoretischen Anforderungen genügt (Abb. 9 ). Zwar bilden Sträucher an der Basis kräftige Äste, diese verzweigen sich jedoch noch im selben Jahr oder im darauffolgenden Jahr meist unter akrotoner Förderung. Solche Sträucher umfassen zwei verschiedene Triebsysteme, von denen das eine basiton gefördert ist und den Strauch von der Basis her regelmäßig erneuert und das andere aus einzelnen solchen akroton geförderten Ästen besteht. Es gibt Versuche, dieses komplizierte zeitliche und räumliche Wechselspiel von unterschiedlichen Verzweigungsmodi und Förderungstendenzen durch weitere Spezialbegriffe (übergeordnete Akrotonie etc.) zu bewältigen. Die darauf basierenden Beschreibungen sind aber weder kürzer noch übersichtlicher oder präziser als ganz normale Beschreibungen. Man muß daraus schließen, daß die offensichtliche Regelhaftigkeit

komplexer Sproßgestaltung im Wesentlichen immer noch unverstanden ist.

 

2.5.1.5 Anisophyllie und Heterophyllie

 

Unter Anisophyllie versteht man die abwechselnde Ausbildung ungleich großer, aber sonst im wesentlichen gleich gestalteter Blätter an einem Sproß. Der Unterschied kann modifikatorisch (induziert) und damit durch äußere Bedingungen verursacht sein oder genetisch fixiert sein.

 

Unter Heterophyllie versteht man die Ausbildung verschieden gestalteter und damit in der Regel auch funktionell unterschiedlich angepasster Blätter an einem Sproß. Die Heterophyllie kann modifikatorisch (induziert) sein (Wasserblätter und Schwimmblätter bei Wasserhahnenfuß), oder sie kann genetisch fixiert sein (Wasser und Schwimmblätter an einem Knoten bei Salvinia natans).

 

2.5.1.6 Blattstellungen

 

Unter der Blattstellung versteht man die Verteilung oder Anordnung der Blätter relativ zueinander an der Sproßachse. Dabei ist es gleichgültig wie die Blätter gestaltet sind und ob alle gleichgestaltet sind oder nicht. Steht an jedem Knoten nur ein einziges Blatt, ist die Blattstellung wechselständig. Wechselständige Blätter können zerstreut oder in senkrechten Blattzeilen (Orthostichen) angeordnet sein. Nach der Zahl der senkrechten Zeilen unterscheidet man distiche, tristiche, tetrastiche etc. Anordnung.  Falls die orthostichen leicht verdreht sind, wird dies durch die Vorsilbe "spiro"- vermerkt (z.B. spirodistich). Stehen zwei oder mehr Blätter an einem Knoten, so ist die Blattstellung wirtelig oder quirlig. Bei Wirteln aus zwei Blättern benutzt man im vegetativen Bereich die Begriffe gegenständig oder kreuzgegenständig, da die weiter unten erläuterten Blattstellungsregeln eine andere Stellung nicht zulassen. Wenn vegetative Blätter wechselständig angeordnet sind, aber zu einer wirtelartigen Gruppe zusammengerückt sind, spricht man von scheinwirtelig. Zur Verbesserung der Lichtausbeute kann die Blattfläche durch Wachstums- oder Turgorbewegungen im Stielbereich anders orientiert werden (z.B. an waagerecht orientierten Zweigen der Tanne oder an Kriechsprossen von Lysimachia nummularia L.). Zur Ermittlung der Blattstellung ist daher die Insertionsstelle der Blattstiele heranzuziehen (Abb. 11 ).

 

2.5.1.7 Blattanordnung

 

Unter der Blattanordnung versteht man die Verteilung und Anordnung der Blätter längs der Sproßachse. Wen die unteren Internodien alle kurz gestaucht sind, rücken die Blätter zu einer dem Boden aufliegenden Rosette zusammen und werden als grundständig bezeichnet. Bei einer Rosettenpflanze sind alle Laubblätter grundständig, d.h. zu einer grundständigen Rosette zusammengerückt, die Pflanze besteht sonst nur noch aus der Blüte, oder aus dem Blütenstand mit blattlosem Schaft und reduzierten Hochblättern (z.B. Primula elatior L.). Bei der Halbrosettenpflanze kommen außer grundständigen Laubblättern auch noch Stengelblätter vor, die allmählich in die reduzierten Hochblätter des Blütenstandes übergehen. Manchmal sind die Laubblätter aber auch am distalen Ende des Sprosses rosettenartig gehäuft so daß ein palmenartiger Habitus entsteht. Dies nennt man schopfige Anordnung.

 

2.5.1.8 Blattstellungsregeln

 

Vom Apikalmeristem und von jeder vorhanden Blattanlage geht nach der gängigen Vorstellung ein Hemmfeld aus, das verhindert, daß in seiner unmittelbaren Umgebung eine neue Blattanlage entsteht. Das nächst Blatt entwickelt sich somit in einer maximalen Distanz zu allen anderen Blattanlagen und zum Apikalmeristem. Wie Sitte (????) gezeigt hat, kann man alle Blattstellungen als das Resultat hexagonal dichtester Kugelpackungen auffassen. Ob die Hemmfelder tatsächlich kreisförmig sind oder eine andere Form haben ist allerdings völlig unbekannt. Nicht einmal der Hemmstoff ist bekannt und es kann sein, daß es sich nicht um eine lokale Hemmung an den Stellen handelt, an denen nichts entsteht, sondern um eine Förderung an den Stellen, an denen eine Blattanlage gebildet wird. Beides läuft morphologisch zwar auf das selbe hinaus, die physiologischen Regelmechanismen und die Transportrichtungen morphogener   Stoffe wären jedoch grundverschieden. Obwohl es der Pflanzenphysiologie bisher nicht gelungen ist, die stoffliche Basis für diese morphogenetischen Felder nachzuweisen wird die Richtigkeit dieses Konzeptes allgemein angenommen, nicht zuletzt weil sich fast alle Pflanzen streng nach diesen Regeln verhalten.

 

Wirken auf die Stellung einer neuen Blattanlage nur die letzte vorhergehende Blattanlage und das Scheitelmeristem ein, so ergib sich ein 1/2 Stellung (1800 Stellung), weil dabei das neue Blatt den maximalen Abstand vom vorhergehenden Blatt hat. Es ergibt sich eine Anordnung der Blätter in zwei senkrecht verlaufenden Blattzeilen, sog. Orthostichen (z.B. Aloe plicatilis). Reicht das Hemmfeld des Blattes nicht um die ganze Sproßachse herum, so kann das folgende Blatt im Extremfall auf gleicher Höhe inserieren und es ist ein Wirtel aus zwei Blättern entstanden. Die Blätter des folgenden Zweierwirtels müssen zu denen des vorausgehenden Wirtels auf Lücke stehen, um den maximalen Abstand sowohl zu den Blatthemfeldern als auch zum Scheitelhemmfeld zu gewährleisten. Wegen der dekussierten Anordnung entstehen am Sproß so   vier Orthostichen (z.B. Crassula, Kalanchoe, Lamiaceae).

 

Bei den beiden folgenden Stellungen wirken noch weitere Blätter auf die Anordnung der neuen Anlage ein. Die Hemmfelder des zweitletzten Blattes (und ggf. weiterer Blätter) drücken das neu gebildete Blatt aus der am weitesten vom vorhergehenden Blatt entfernten 1800 Position mehr oder weniger weit weg. Die 1/3 Stellung (1200 Stellung) ist eine im vegetativen Bereich und besonders in der Blüte häufige Stellung. Es ergibt sich bei wechselständiger Blattstellung   eine Anordnung der Blätter in   drei Orthostichen. Sind die Blattzeilen verdreht, so ergibt sich Spirotristichie (z.B. Pandanus). Wirtelige Anordnung bei 1/3 Stellung findet man bereits bei Gymnospermen (z.B. Juniperus), in der Blüte ist sie die häufigste Stellung bei den Monocotyledonen und kommt auch bei den Dikotyledonen vor (z.B. Aristolochia, Annona, Magnolia). Sie hat zur Folge, daß der folgende Wirtel auf Lücke zum vorhergehenden steht und läßt an vegetativen Achsen sechs Orthostichen erscheinen.

 

Die dritte wichtige Blattstellung ist die 2/5 Stellung, die fast nur aus den Blüten der Dikotyledonen bekannt ist. Die Glieder der fünfzähligen Wirtel werden häufig nicht genau gleichzeitig angelegt und die Anlegungsfolge zeigt, daß der Winkel zwischen zwei aufeinanderfolgenen Blattanlagen ca. 1440 beträgt.

 

Die drei wichtigen Blattstellungen 1/2, 1/3, 2/5 bilden den Anfang einer Reihe, bei der Zähler und Nenner jeweils eine Fibonacci-Reihe bilden, d.h. durch Addition der beiden vorausgehenden Glieder entstehen. Die Reihe setzt sich mit den Winkeln 3/8, 5/13, 8/21 etc. fort und wird nach den Gründern der Blattstellungslehre Schimper-Braun´sche Hauptreihe genannt. Sie hat einen Grenzwert, den sog. Limitdivergenzwinkel von 137028´30". Der Limitdivergenzwinkel ( Abb. 12 )ist eine irrationale Zahl und teilt den Kreis nach dem Goldenen Schnitt. Bei der Anordnung nach dem Limitdivergenzwinkel kommt theoretisch kein Blatt direkt über einem anderen zu stehen. Er scheint als Blattstellungsmuster offenbar nicht selten vorzukommen. Ein nach dem Limitdivergenzwinkel konstruiertes Stellungsschema gleicht jedenfalls überraschend der Aufsicht auf einen Koniferenzapfen oder ein Kompositenköpfchen. In einer solchen Anordnung sieht man keine senkrecht verlaufenden Blattzeilen, sondern unterschiedliche schräg verlaufende sog. Schrägzeilen oder Parastichen. Parastichen, in denen sich die einzelnen Organe berühren, nennt man Kontaktparastichen. Untersucht man jedoch vegetative Sprosse und Blüten genauer, so stellt man fest, daß 3/8 Divergenzen oder noch höhere Divergenzen in der Praxis kaum erkannt werden können und schon die 2/5 Stellung eine recht gute Annäherung an den Limitdivergenzwinkel darstellt.

 

Bei der Reduzierung der Anzahl der Glieder einer Blütenhülle müssen diese der Wirtelstellung angenähert werden, da sie aus funktionellen Gründen alle etwa gleichzeitig gleich weit entwickelt sein müssen. Abb. 13 zeigt, daß die 1/3 Stellung und die 2/5 Stellung trotz besonders niedriger Zahl von Wirtelgliedern eine gute Annäherung an die zerstreute Stellung mit Limitdivergenz zeigen. Blüten mit vierzähligen Wirteln müssen demgegenüber als stärker abgeleitet betrachtet werden und können entweder durch Kondensation von aufeinanderfolgenden Zweierwirteln oder (vermutlich häufiger) durch Verlust eines Gliedes in einer fünfzähligen Blüte oder durch Verlust von 2 Gliedern in einer sechszähligen Anordnung gebildet werden. Die Reduktion von fünfzähligen auf vierzählige Blüten setzt dabei notwendigerweise zygomorphe Blüten mit Übergangsbildungen durch Verwachsungen zweier Blattorgane oder mit Reduktion eines einzelnen Blütenorganes voraus.

 

Für den Fall wirteliger Blattstellungen und gleich großer Blattanlagen lassen sich aus dem Hemmfeldkonzept zwei einfache Stellungsegeln ableiten, die Alternanzregel und die Aequidistanzregel, die auf Seite 64 näher erläutert werden, weil sie vor allem für die Analyse von Blütendiagrammen von entscheidender Bedeutung sind.

 

2.5.1.9 Anatomie des Sprosses

 

2.5.1.9.1 Spaltöffnungen

 

Spaltöffnungen kommen am Blatt ebenso wie an der Sproßachse der Samenpflanzen vor. Da sie auch an den blattlosen Moossporophyten vorkommen, können sie nicht als spezifische Struktur von Blättern betrachtet werden. Da Spaltöffnungen den Wurzeln grundsätzlich fehlen, aber überall in der Epidermis des Sprosses vorkommen können, sollen sie hier im Abschnitt Sproß behandelt werden, obwohl sie nach gängiger Praxis meist im Kapitel Blätter behandelt und in den botanischen Grundpraktika am Beispiel von Blättern eingeführt werden.

 

Spaltöffnungen entstehen durch festgelegte Teilungsschritte aus bestimmten Zellen der Epidermis. Diese durchlaufen noch einige wenige Teilungsschritte und können die Bildung gleichartiger   Bildungen in ihrer Umgebung verhindern (Hemmfelder). Sie sind damit typische Meristemoide. Spaltöffnungen können sehr verschieden aussehen. Selbst bei gleich aussehenden Spaltöffnungen kann die Teilungsabfolge, die zu ihrer Bildung führt bei verschiedenen Arten verschieden sein. Man kann deswegen Spaltöffnungen sowohl nach ihrem Aussehen (morphologische Typen) als auch nach ihrer Entstehungsweise (ontogenetische Typen) klassifizieren. Spaltöffnungen sind oft von Zellen umgeben, die sich in Form und Größe von den übrigen Epidermiszellen deutlich unterscheiden und die als Nebenzellen bezeichnet werden.

 

Immer dann, wenn zur Pflanzenbestimmung keine anderen Merkmale vorliegen, sind Spaltöffnungen besonders wichtig. Das kann bei der Bestimmung von fossilen Blattresten in der Palaeobotanik, bei der Unterscheidung von Cannabis und Pfefferminztee in der Kriminalistik oder nach Vergiftungsfällen bei der Bestimmung der Giftpflanze anhand von Resten des Mageninhaltes von Bedeutung sein. Die Bezeichnungen der morphologischen Typen enden immer auf "-cytisch" oder werden nach einer Pflanzengruppe benannt, die den Typ in charakteristischer Weise zeigt.

 

Die vier wichtigsten Typen sind der anomocytische Typ (=Ranunculaceen-Typ), der anisocytische Typ (=Cruziferen-Typ), der paracytische Typ (=Rubiaceen-Typ) und der diacytische Typ (=Caryophyllaceen-Typ). Beim anomocytischen Typ sind die den Schließzellen benachbarten   Zellen nicht von den übrigen Epidermiszellen verschieden, typische Nebenzellen fehlen. Der anisocytische Typ weist drei Nebenzellen auf, von denen eine deutlich kleiner als die beiden anderen ist. Dieses Muster entsteht durch drei in charakteristischer Weise aufeinander folgende   Teilungsschritte vor Bildung der Schließzellen. Beim paracytischen Typ liegen parallel zu den Schließzellen auf beiden Seiten eine oder mehrere Nebenzellen. Beim diacytischen Typ ist die Spaltöffnung von zwei Nebenzellen so umgeben, daß die Nebenzellen gekreuzt zu den Schließzellen orientiert sind. Der staurocytische Typ hat vier Nebenzellen, wobei zwei der Trennwände als Fortsetzung der Spaltöffnung erscheinen.

 

Beim actinocytisch Typ sind zahlreiche (mehr als vier) Nebenzellen sternförmig um die Schließzellen herum angeordnet, beim cyclocytischen Typ bilden sie einen einfachen Kreis um die Schließzellen und beim amphicyclocytischen Typ mehrere Kreise aus jeweils mehr als vier Zellen. Beim pericytischen Typ "schwimmen" die Schließzellen frei in einer einzigen großen Nebenzelle, was sehr ungewöhnlich ist. Beim desmocytischen Typ erscheinen die Schließzellen an einer Wand der einzigen umgebenden Nebenzelle quasi aufgehängt.

 

Insgesamt gibt es 31 verschiedene "-cytische" Typen, von denen manche auf bestimmte Gruppen beschränkt sind. So kommen der desmocytische und der pericytische Typ ausschließlich bei Farnen vor. Manche Arten weisen nur eine Typ von Spaltöffnungen auf, andere mehrere verschiedene auf einem Blatt oder auf verschiednen Blättern einer Blattfolge oder verschiedene an Blatt und Sproßachse.

 

Bei den ontogenetischen Typen wird als Startpunkt der Betrachtung die erste inaequale Teilung in der Epidermis angenommen. Die kleinere der beiden Zellen ist die Stomainitiale. Entstehen aus dieser Initiale die Schließzelle und alle an die Schließzelle grenzenden Zellen, so ist die Spaltöffnung mesogen (=syndetocheil), entstehen die an die Schließzellen grenzenden Zellen teilweise aus der Spaltöffnungsinitialen und teilweise aus anderen Zellen, so ist die Spaltöffnung mesoperigen. Entsteht keine der an die Schließzellen angrenzenden Zellen aus der Spaltöffnungsinitialen, so ist die Spaltöffnung perigen (=haplocheil). Nach Größenverhältnis und Entstehungsweise der aus der Spaltöffnungsinitialen entstehenden Nebenzellen können viele verschiedene ontogenetische Typen unterschieden werden.

 

Derselbe morphologische Typ kann auf unterschiedlichem morphogentischem Weg entstehen, so daß unter Einbeziehung der Morphogenie eine bessere Unterscheidung und systematische Gruppierung möglich ist als alleine mit den morphologischen Typen.


2.5.2 Die Blüte

 

2.5.2.1 Definition der Blüte

 

Eine Blüte ist ein unverzweigter, gestauchter Sproß der nach der Bildung von Hüllblättern (Kelch- und Kronblättern) zuletzt Staubgefäße und Karpelle ausgliedert und sein Wachstum damit einstellt. Dabei können einzelne oder mehrere dieser Bestandteile fehlen, die Reihenfolge kann aber nie umgekehrt werden. Sporophylle dürfen nur fehlen (sterile Blüten), wenn durch Übergänge die Übereinstimmung mit fertilen Blüten sicher nachweisbar ist.

 

Diese Definition trifft auch auf die Sporophyllstände macher Bärlappe und Gymnospermen zu. In der Praxis wird der Begriff "Blüte" allerdings nur innerhalb der Angiospermen verwendet, die deswegen auch auch als Blütenpflanzen bezeichnet werden.

 

2.5.2.2 Bestandteile der Blüte

 

2.5.2.2.1 Die Blütenhülle

 

Die Blütenhülle (Perianth) ist meist in die außen stehenden Kelchblätter (Sepalen, sing. das Sepalum) und die nach innen folgenden Kronblätter (Petalen, sing. das Petalum) gegliedert. Der Kelch ist zwar häufig grün und hat vorwiegend Schutzfunktion und die Krone ist vielfach gefärbt und hat Schaufunktion, für die Definition ist jedoch nur wesentlich, daß die Blütenhülle zwei deutlich verschiedene Zonen oder Kreise aufweist. Auch die Kelchblätter können auffallend gefärbt sein und Schaufunktion haben, ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Blüten der Fuchsien. Sind alle Perianthblätter gleichgestaltet, so spricht man von einem Perigon und bezeichnet die einzelnen Glieder als Tepalen (sing. das Tepalum). Sind die einzelnen Petalen miteinander verwachsen, so wird die Krone als sympetal bezeichnet, sind sie frei, so ist die Krone choripetal. Für den Kelch gibt es die analog gebildeten Begriffe synsepal und chorisepal, die allerdings seltener gebraucht werden. Kelch und Krone können auch so miteinander verwachsen, daß die freien Endabschnitte auf einer sog. Kelch-Kron-Röhre inserieren. Die Kelch-Kron-Röhre wird auch als Hypanthium bezeichnet (Beispiel Oenothera). Manche Kelch-Kronröhren werden auch als Achsenbecher bezeichnet. Das gilt insbesondere, wenn diese grün sind, oder wenn auch noch die Filamente der Staubgefäße mit einbezogen sind, so daß eine Kelch-Kron-Staubgefäß-Röhre vorliegt (siehe Seite 140).

 

2.5.2.2.2 Das Androeceum

 

Der mit Stamina (Staubgefäßen) besetzte Bereich der Blüte ist der männliche Abschnitt der Blüte und wird Androeceum genannt. In den meisten Fällen stehen die Stamina an den Stellen, an denen man nach den Blattstellungsregeln ein Blatt erwarten würde. Man homologisiert sie deswegen meist mit Blättern und bezeichnet sie auch als Staubblätter. Manchmal steht an Stellen, an denen nach den Blattstellungsregeln nur ein einziges Stamen  zu erwarten wäre ein ganzes Bündel von Stamen. Solche Bündel entstehen ontogenetisch(!) immer sekundär durch nachträgliche Aufspaltung (Dédoublement) aus einer einzigen Anlage (zur phylogenetischen Interpretation siehe Seite 112 ). Man spricht in diesem Fall von sekundärer Polyandrie. Auch bei anderen Ausgliederungsfolgen spricht man von sekundärer Polyandrie, wenn zahlreiche Staubgefäße gebildet werden und die Anlegungsfolge nicht den Blattstellungsregeln entspricht. Bei der primären Polyandrie entsteht jedes der zahlreichen Staubgefäße aus einer eigenen, nach den Blattstellungsregeln gebildeten Staubgefäßanlage. Die jüngeren Anlagen werden deshalb immer weiter zur Mitte der Blüte hin (zentripetal) gebildet.  Obwohl heute vielfach das einzelne Staubgefäß der Angiospermen einem Blatt homologisiert wird, gibt es dafür andere Hypothesen, die unter phylogenetischen Gesichtspunkten mindestens ebenso interessant sind, wie die Blatthypothese (siehe Seite 114).

Das einzelne Stamen besteht aus dem Filament (Staubfaden) und einer verdickten Anthere. Diese ist in der Regel in zwei Theken aufgegliedert, welche durch das Konnektiv verbunden   sind. Jede Theke besteht im typischen Fall aus zwei Pollensäcken (Sporangien). Eine solche Anthere ist bithecat und tetrasporangiat (Abb. 14 ). Es kann aber auch eine Theke fehlen, das Stamen ist dann monothekat und bisporangiat. Ein bisporangiates Stamen kann aber auch zustandekommen, wenn von jeder Theke eines bisporangiaten Stamen ein Pollensack fehlt. Die Orientierung des Stamens in der Blüte und die Anheftung am Filament kann sehr unterschiedlich sein und ist für die Bestäubungsbiologie von erheblicher Bedeutung. Die Theken können nach außen orientiert sein und das Filament setzt dann nach innen (dem Gynoeceum zugewandt) am Konnektiv an. Diese Orientierung wird ventrifix oder extrors genannt. Sind die Teken dagegen nach innen gewandt und setzt das Filament auf der vom Gynoeceum abgewandten Seite am Konnektiv an, so wird die Anheftung als dorsifix oder intrors bezeichnet. Die Anheftung kann auch an der Basis des Konnekives erfolgen und wird dann basifix genannt. Ist die Anheftung leicht beweglich, so sind die Antheren versatil. Es gibt eine ganze Reihe von blütenbiologisch bedeutsamen Sonderbildungen der Antheren.

 

Im Querschnitt ist der Aufbau des typischen Angiospermenstaubblattes am besten zu erkennen. Unter der Epidermis der Sporangienwand liegt eine Schicht mit radial verlaufenden Wandverstärkungen, die Faserschicht oder das Endothecium. Darunter liegt die Schwundschicht, die bei der Pollenreife meist verschwunden ist (Name), aber auch durch perikline Teilungen mehrschichtig werden kann, wobei diese Schichten dann als  Zwischenschichten bezeichnet werden. Die innerste Wandschicht des Mikrosporangiums ist das Tapetum. Das Tapetum kann als sekretorische Schicht (Sekretionstapetum) erhalten bleiben, oder als Plasmodium zwischen die sich entwickelnden Mikrosporen einwandern (amöboides oder plasmodiales Tapetum). Mikrosporangien, die wie hier auch zum Zeitpukt der Mikrosporenausbreitung einen mehrschichtigen Wandaufbau zeigen, nennt man Eusporangien bzw. eusporangiat. Die Pollenkörner gehen alle auf eine einzige Zelle zurück, die als primäre Archesporzelle bezeichnet wird. Aus dieser entwickelt sich durch mitotische Teilungen das primäre Archespor. Machen die Archesporzellen keine weiteren mitotischen Teilungen mehr durch, so werden sie als Pollenmutterzellen bezeichnet, da aus ihnen durch Meiose direkt die Pollenkörner hervorgehen. Pro Sporangium liegt also eine einzige primäre Archesporzelle vor. Das Sporangium kann auch nicht nachträglich durch sterile Zellen unterteilt werden. Bei septierten Sporangien liegen von vornherein mehrere, durch steril bleibende Zellen voneinander getrennte primäre Archesporzellen vor.

 

Der Pollen wird aus den Pollensäcken im allgemeinen durch einen Längsriß entlassen, seltener kommen Poren (porizide Antheren, z.B. Ericaceen) oder klappenartige Deckel (z.B. Lorbeergewächse) vor. Im Zusammenhang mit spezialisierten Bestäubungsmechanismen können auch Pollenpakete gebildet werden, in denen viele Pollenkörner zusammengeklebt als sog. Massulae (z.B. Mimosaceae) von Tieren verbreitet werden. In manchen stark abgeleiteten Familien werden alle Pollenkörner einer Anthere zu einem Paket verbunden (Pollinium z.B. Asclepiadaceae) und als Einheit übertragen. Bei den Orchideen besteht die übertragene Einheit noch zusätzlich aus einem Stielchen und einer von der Narbe gebildeten Klebscheibe. Diese Einheit wird Pollinarium genannt.

 

Sterile, keinen Pollen bildende Stamen werden Staminodien genannt. Stamina können mit ihren Filamenten miteinander (Filamentröhre, z.B. Fabaceae) oder mit den Kronblättern kongenital verwachsen sein. Im Fall von sympetalen Kronen entsteht dann eine Kron-Stamen-Röhre. Stamen können untereinander entweder kongenital oder postgenital (z.B. Campanulales = Synandrae) verwachsen sein.

 

Bei den allermeisten Angiospermen weisen die Stamina vier Sporangien auf, nur in einigen wenigen Ausnahmefällen sind in ein mehr oder weniger fleischiges Staubgefäß mehr als vier Sporangien eingesenkt. Häufiger kommt dagegen eine Reduktion auf nur zwei Sporangien vor. Dabei kann entweder von beiden Theken eine Sporangium fehlen (faciale Reduktion, oder es kann eine ganze Theke fehlen (laterale Reduktion) (Abb. 15 ). Im letzteren Fall bildet die reduzierte Hälfte des Stamens manchmal hebelartige Fortsätze, die blütenbiologisch bedeutsam sein können (Salvia pratensis, Wiesensalbei).

 

Während bei den Moosen und Farnen die Sporangien einzeln stehen, sind sie bei manchen Gymnospermen zu mehreren zu einem mehr oder weniger einheitlichen Gebilde verwachsen. Ein solches Gebilde aus mehreren Sporangien wird Synangium genannt. Das typische Stamen der Angiospermen ist also ein Synangium aus vier Sporangien.

 

Bei den Gymnospermen ist der Aufbau der Sporangien im Prinzip ähnlich wie bei den Angiospermen, die für den Öffnungsmechanismus wesentliche Schicht ist aber die Epidermis, so daß bei den Gymnospermen ein Exothecium vorliegt (einzige Ausnahme Ginkgo mit Endothecium!). Bei den Farnen liegt das Öffnungsgewebe immer in der Epidermis, die Gymnospermen sind in dieser Beziehung also den Farnen ähnlicher als den Angiospermen.

 

2.5.2.2.3 Das Gynoeceum

 

Der mit Karpellen besetzte Bereich ist der weibliche Abschnitt der Angiospermenblüte und wird Gynoeceum genannt. Das einzelne Karpell ist einem Blatt homolog und wird deswegen auch Fruchtblatt genannt. Es trägt im basalen Bereich   (Ovar) die Plazenten mit den Samenanlagen und am distalen Ende ein rezeptives Gewebe zur Aufnahme des Pollens (Narbe). Dazwischen kann ein mehr oder weniger langer steriler Abschnitt als Griffel eingeschoben sein. Sehr oft sind mehrere Karpelle miteinander verwachsen. Die einzelnen Teile des Gynoeceums werden dann ebenfalls als Ovar, Griffel und Narbe bezeichnet.

 

Besteht ein Gynoeceum aus nur einem Karpell, wird es als monomer bezeichnet (z.B. Fabaceen, Kirsche). Bei mehreren Karpellen werden folgende Möglichkeiten unterschieden

 

a) Apokarpie bzw. Chorikarpie (apokarpes bzw. chorikarpes Gynoeceum); die Karpelle sind untereinander nicht verwachsen (=frei, z.B. Ranunculaceae).

 

b) Coenokarpie (coenokarpes Gynoeceum); zwei oder mehrere Karpelle bilden ein gemeinsames kongenital verwachsenes Ovar; im Griffelbereich können die einzelnen Karpelle frei (plesiomorpher bzw. ursprünglicher Zustand) oder ebenfalls verwachsen sein. Im Narbenbereich sind die Karpelle vielfach auch bei coenokarpen Gynoeceen frei, die Anzahl der Karpelle kann dann leicht durch Abzählen der Narbenlappen ermittelt werden. Bei der Coenokarpie unterscheidet man zwei Formen:

            Synkarpie (synkarpes oder coeno-synkarpes Gynoeceum) liegt vor, wenn der Fruchtknoten durch echte Scheidewände (die Scheidewände oder Septen sind die verwachsene Flanken benachbarter Karpelle) vollständig gefächert ist. Die Samenanlagen stehen dann zentralwinkelständig.

            Parakarpie (parakarpes oder coeno-parakarpes Gynoeceum) liegt vor, wenn die Karpelle mit ihren Rändern verwachsen sind und eine einheitliche, nicht gefächerte Ovarhöhle umschließen. Ein parakarpes Gynoeceum kann sekundär durch falsche Scheidewände (Wucherungen der Plazenten) septiert werden.

 

Zwischen der synkarpen und der parakarpen Ausbildung gibt es Übergänge. Vielfach sind die Karpelle im basalen Bereich synkarp, weiter distal dagegen parakarp verwachsen (unvollständige Septierung).

 

Die Samen entstehen bei Angiospermen stets aus im Fruchtknoten eingeschlossenen Samenanlagen. Als Fruchtknoten wird bei freien Karpellen meist das einzelne Karpell bezeichnet, bei verwachsenen Karpellen dagegen das gesamte Gynoeceum. Die Samenanlagen stehen dabei mit einem Stielchen (Funiculus) auf Plazenten. Die Plazenten befinden sich relativ zum einzelnen Fruchtblatt entweder auf der Fläche (laminale Plazentation) oder am Rand (marginale Plazentation). Relativ zu einem verwachsenen Fruchtknoten aus mehreren Karpellen können sie an der Wand des Fruchtknotens (parietale Plazentation), an einer Zentralplazenta in der Mitte des Fruchtknotens (zentrale Plazentation) oder in der Mitte eines gefächerten Fruchtknotens (zentralwinkelständige Plazentation) stehen. In der Blüte ist dies oft nicht leicht festzustellen und man begnügt sich dann mit einer einfachen topografischen Angabe der Plazentation wie oben (apikal), unten (basal) oder in der Mitte (axil) der Frucht. Letzteres umfaßt sowohl zentrale als auch zentralwinkelständige Plazentation, apikal und basal haben dagegen keine terminologische Entsprechung.

 

Normalerweise stehen die übrigen Blütenorgane an der Basis des Fruchtknotens (unter dem Fruchtknoten), die Blüte ist dann hypogyn bzw. der Fruchtknoten oberständig ( Abb. 16 ). Inserieren die übrigen Blütenorgane distal am Fruchtknoten, so liegt eine epigyne Blüte bzw. ein unterständiger Fruchtknoten vor. Stehen die übrigen Blütenorgane außen am Fruchtknoten etwa in der Äquatorialebene, so liegt eine perigyne Blüte bzw. ein halbunterständiger Fruchtknoten vor. Ein unterständiger oder halbunterständiger Fruchtknoten entsteht, wenn Blütenhülle, Androeceum und Gynoeceum mit ihren basalen Abschnitten zu einem röhrenartigen Abschnitt verwachsen. Ein mittelständiger Fruchtknoten ist nicht etwa intermediär zwischen ober- und unterständig (das wäre halbunterständig!), sondern der (oberständige) Fruchtknoten ist von einem Becher umgeben, der als Verwachsungsprodukt von Kelch, Kron- und Staubblattbasen aufgefaßt werden kann (z.B. Süßkirsche; siehe auch S.138 ).  

 

2.5.2.3 Die Frucht

 

Nach der Befruchtung der Samenanlagen entwickelt sich die Frucht. Manchmal sind an der Fruchtbildung neben dem Gynoeceum auch andere Blütenorgane (z.b. die Blütenachse bei der Erdbeere oder das Perigon bei der Maulbeere) beteiligt. Daraus ergibt sich die Definition "Frucht = Blüte der Angiospermen zum Zeitpunkt der Samenreife". In den meisten Fällen bildet allein das Gynoeceum die Frucht. Bei apokarpen Früchten wird die Karpellwand welche die Samen umgibt Perikarp genannt. Bei synkarpen Früchten wird der Begriff Perikarp dagegen auf alle Gewebe bezogen, welche die Samen umgeben, ganz gleich ob es sich von Karpellen oder der Blütenachse herleitet. Das Perikarp ist meist deutlich dreischichtig aus einem Exokarp, einem Mesokarp und einem Endokarp aufgebaut.

 

Neben der weit verbreiteten Definition "Frucht = Blüte im Zustand der Samenreife" wird nicht selten auch die Summe aller Karpelle eines Angiospermengynoeceums im Zustand der Samenreife als Frucht bezeichnet. Widersprüche zwischen beiden Definitionen ergeben sich nur dann, wenn neben dem Gynoeceum weitere Blütenteile maßgeblich am Aufbau der Frucht beteiligt sind. Dies ist z.B. bei der Erdbeere, aber auch bei allen unterständigen Gynoeceen der Fall. Nach der ersten Definition ist die Erdbeere eine Frucht, nach der zweiten Definition eine "Scheinfrucht", weil der wesentliche Teil der Frucht nicht von den Karpellen, sondern von der Blütenachse gebildet wird . Hier soll an der Definition "Frucht = Blüte im Zustand der Samenreife" festgehalten werden, "Scheinfrüchte" werden also im hier vorgestellten Begriffssystem nicht vorkommen.

 

2.5.2.4 Überblick über die wichtigsten Fruchttypen

 

Zur Blütezeit sind die Samenanlagen der Angiospermen einzeln oder zu vielen gemeinsam in einem Fruchtknoten eingeschlossen  (Bedecktsamer!). Für die Vermehrung und Ausbreitung und zur Vermeidung von Konkurrenz zwischen den jungen Keimlingen ist es jedoch wichtig, daß die Samen vor ihrer Keimung räumlich getrennt werden. Der einfachste Weg, dies zu erreichen, ist die Öffnung der einzelnen Karpelle zur Zeit der Samenreife, wie sie bei den ursprünglichen Angiospermen anzutreffen ist. Eine zunehmende Synorganisation von Frucht und eventuell sogar noch weiteren Blütenteilen im Dienst der Ausbreitung zeichnet stärker abgeleitete Verwandschaftskreise aus. Auf einer zweiten Stufe sind es mehrere unverwachsene oder verwachsene Karpelle, welche gemeinsam die Ausbreitung der Samen fördern. In stärker abgeleiteten Verwandtschaftskreisen treten andere Strukturen der ehemaligen Blüte oder sogar der Blütenstände zu einer funktionellen Einheit zusammen.

 

Fruchtsysteme können entweder nach morphologischen oder nach funktionellen Kriterien entwickelt werden. Das hier vorgestellte morphologische System wird ergänzt durch ein funktionelles System. Da sich die Frucht aus der Blüte entwickelt, ist es sinnvoll, die morphologischen Grundtypen des Gynoeceums zur Blütezeit zu übernehmen. Es werden apokarpe Früchte den coenokarpen gegenübergestellt, eine apokarpe Frucht entwickelt sich dabei immer aus einem apokarpen Gynoeceum, eine coenokarpe Frucht immer aus einem coenokarpen Gynoeceum:

 

Apokarpe Früchte

 

a) Frucht besteht aus mehreren untereinander nicht verwachsenen (freien) Karpellen (=Sammelfrucht):

Sammelbalgfrucht (z.B. Paeonia Pfingstrose): Karpellöffnung entlang der Bauchnaht, das einzelne Karpell (Teilfrucht) kann als Balg bezeichnet werden.

Sammelnußfrucht (z.B. Geum Nelkenwurz): Perikarp der Karpelle hart, trocken, öffnet sich nicht, das einzelne Karpell (Teilfrucht) wird als Nüßchen oder Nuß bezeichnet.

Sonderformen: Das Achsengewebe kann nach der Blütezeit stark anschwellen und fleischig werden (z.B. Erdbeere, die einzelnen Karpelle sind dagegen in ihrer Größe stark reduziert und die Lockwirkung für das ausbreitende Tier geht nicht mehr von den Karpellen aus. Statt einer kegelförmigen Achse kann auch eine becherförmig eingesenkte fleischige Blütenachse auftreten (Hagebutte).

Sammelsteinfrucht (z.B. Rubus Himbeere, Brombeere): Die einzelnen Karpelle bilden ein dünnes Exokarp, ein fleischiges Mesokarp und ein hartes Endokarp ("Steinkern"). Sie sitzen auf der trockenen Fruchtachse, das einzelne Karpell (Teilfrucht) wird als Steinfrucht bezeichnet, obwohl es sich nur um Teilfrüchte handelt..

 

b) Frucht besteht aus einem (und damit auch freien) Karpell:

Balg (z.B. Consolida Rittersporn): Karpellöffnung entlang der Bauchnaht.

Hülse (Frucht der meisten "Hülsenfrüchtler" Fabales, z.B. Bohne, Erbse, Linse): Karpellöffnung längs der ganzen Bauch- und Rückennaht.

Beere (z.B. Actaea Christophskraut): Karpellwand fleischig.

Steinfrucht (z.B. Prunus Kirsche) Endokarp hart, Mesokarp fleischig Exokarp häutig.

 

Coenokarpe Früchte

 

Besteht eine Frucht aus mehreren, verwachsenen Karpellen, sind fast alle o.g. Fruchttypen ebenfalls möglich. Hinzu kommt jedoch ein weit verbreiteter Fruchttyp, die Kapsel:

 

Beere (z.B. Ribes Johannisbeere): Das Perikarp aller verwachsenen Karpelle ist fleischig; Frucht öffnet sich nicht.

Steinfrucht (z.B. Sambucus Holunder, Kokos"nuß", Wal"nuß"): Endokarp der Karpelle hart, Mesokarp fleischig (seltener faserig wie bei der Kokosnuß), Exokarp häutig; Frucht öffnet sich nicht.

Nuß (z.B. Corylus Haselnuß): Perikarp hart; Frucht öffnet sich nicht. Auch wenn sie aus  mehreren Karpellen besteht, enthält sie (fast) immer nur einen Samen. Einige Sonderformen der Nuß wurden mit einem speziellen Namen belegt:

Karyopse, die Frucht der Poaceae (Gräser): Nur die Narbenlappen des einfächrigen (pseudomonomeren) oberständigen Fruchtknotens lassen (zur Blütezeit) auf die Anzahl der beteiligten Karpelle schließen; die dünne Samenschale haftet fest an der harten Fruchtwand.

Achäne, die Frucht der Compositae (Korbblütler): Zwei Karpelle sind zu einer einsamigen, unterständigen Nuß verwachsen.

Kapsel: Mehrere verwachsene Fruchtblätter bilden einen Behälter, aus dem nach Austrocknen der Frucht die Samen durch unterschiedliche Öffnungsmechanismen entlassen werden:

scheidewandspaltige oder septizide Kapsel z.B. Hypericum (Johanniskraut): Öffnung entlang der Scheidewände zwischen den Karpellen.

fachspaltige, loculizide oder dorsizide Kapsel z.B. Iris: Öffnung entlang der Rückennähte der Karpelle.

porizide Kapsel z.B. Papaver (Mohn): Öffnung durch kleine Poren.

Deckelkapsel z.B. Anagallis (Gauchheil): apikale Öffnung über die Karpellgrenzen hinweg durch einen Deckel.

fleischige Kapsel z.B. Impatiens (Springkraut), Ecballium (Spritzgurke): Perikarp fleischig; Frucht öffnet sich (bei Impatiens explosionsartig), seltene Sonderform der Kapsel, in der Regel hat die Kapsel ein trockenes Perikarp.

Spaltfrüchte z.B. Apiaceae (Doldenblütler) oder Acer (Ahorn): Zur Zeit der Samenreife trennen sich die Karpelle des synkarpen Gynoeceums voneinander in  einkarpellige, einsamige Teilfrüchte.

Bruchfrüchte: Unabhängig von der Anzahl und dem Verwachsungsgrad der Karpelle haben sich in den verschiedensten Verwandtschaftskreisen Früchte entwickelt, die nicht an den morphologischen Grenzen der Karpelle in Teilfrüchte zerfallen. Einige Beispiele:

Gliederhülse bei Vetretern der Fabales (Hülsenfrüchtler): Das Karpell zerfällt in mehrere einsamige Teilfrüchte.

Rahmenhülse (z.B. Entada): Dorsal- und Ventralnaht bleiben als Rahmen stehen, die beiden abfallenden Teile des Karpells erwecken zunächst den falschen Eindruck einer zweikarpelligen Frucht.

Gliederschote (z.B. Raphanus, Rettich). Optisch ähnlich wie die Gliederhülse, aber aus zwei (je nach Interpretation auch vier) Karpellen bestehend.

Klausenfrucht (nur Lamiaceae und Boraginaceae): synkarpes Gynoeceum aus zwei Karpellen, das in jeweils vier nußartige Teilfrüchte (Klausen) zerfällt, welche je einen Samen enthalten.

 

Synorganisation bei coenokarpen Früchten

In ganz unterschiedlichen Verwandtschaftskreisen wie den Moraceae (Dikotyledonen) mit der Feige (Ficus) oder den Bromeliaceae (Monocotyledonen) mit der Ananas verschmelzen ganze Fruchtstände (=Blütenstände im Zustand der Samenreife) zu "Überbeeren". Essbar sind hier nicht nur die coenokarpen Karpelle, sondern auch andere fleischige Teile der ehemaligen Blüten und teilweise auch Blütenstiele und Bllütenstandsachsen.

 

2.5.2.5 Same und Samenkeimung

 

Bei den Spermatophyten entwickelt sich die neue Pflanze im Gegensatz zu den phylogenetisch älteren Gruppen ganz auf der Mutterpflanze. Die nur bei den Samenpflanzen vorkommende Einheit aus Samenschale (Testa), Perisperm (Nucellus, Makrosporangium), Endosperm (Makroprothallium) und Embryo wird Same genannt (Ausnahme: Apomixis!). Der Anteil der einzelnen Teile wird dabei vor allem dadurch bestimmt, wo die Reservestoffe für den Keimling gelagert sind.

 

In manchen Gruppen werden auch Samen gebildet, bei denen der Embryo nicht aus einer befruchteten Eizelle hervorgeht, sondern in unterschiedlicher Weise aus einer Zelle des Nucellus oder des Integumentes. Genetisch betrachtet entspricht dies einer vegetativen Vermehrung, es können jedoch die für die generative Vermehrung entwickelten Ausbreitungsstrukturen verwendet werden. Diese als Apomixis bezeichnete Vermehrungsweise führt zu Klonen, die von manchen Systematikern als selbständige Taxa betrachtet werden, wenn eine Unterscheidung möglich ist.

 

Ein aus dem Nucellus hervorgehendes Speichergewebe wird Perisperm genannt. Das aus dem Makroprothallium hervorgehende Speichergewebe heißt Endosperm. Endosperm und Perisperm sind in selteneren Fällen gleichzeitig vorhanden. Dies ist z.B. bei der Muskatnuß der Fall. Bei der Muskatnuß liegen beide Schichten nicht als einfache Lagen übereinander, sondern sie durchdringen sich gegenseitig mit Vorwölbungen und Einbuchtungen, es entsteht ein sogenanntes ruminiertes Endosperm ( Abb. 17 ). Die vorwiegende Speicherung von Nährstoffen im Perisperm ist offenbar relativ selten. Bei einfachen Untersuchungen ist oft nicht feststellbar, ob ein Speichergewebe Perisperm oder Endosperm ist, man spricht dann neutral von Nährgewebe. Werden die Nährstoffe bereits vor der Keimung in den Embryo hinein verlagert, so kann es sein, daß von Nuzellus und Endosperm im reifen Samen nichts mehr zu erkennen ist. Im Keimling werden Nährstoffe am häufigsten in den beiden Keimblättern deponiert. Hierfür sind die Samen der Fabaceae (z.B. Bohnen, Erbsen) und die Wal"nuß" ein gutes Beispiel. Die beiden gehirnartig zerteilten Strukturen in der Walnuß sind die Keimblätter, die harte Schale ist der Steinkern einer Steinfrucht, so daß die Samenschale ebenfalls weitgehend reduziert sein kann. Eine Nährstoffspeicherung im Hypocotyl scheint eine große Ausnahme zu sein und kommt z.B. bei der Para"nuß" vor. Die Para"nuß" ist morphologisch aber ein Same, mehrere solcher Samen befinden sich in einer bis kindskopfgroßen Deckelkapsel.

Der Ausbreitung dienen im ursprünglichen Fall die Samen, später ganze Früchte und nicht selten Früchte mit dem Blütenstandsbereich angehörenden Anhängen wie z.B. das Flugorgan bei den Früchten der Linde. Da es manchmal nicht einfach ist, zu erkennen, welche Teile oder Organe für die Ausbreitung benutzt werden, wird für Ausbreitungseinheiten gleich welchen Aufbaues der Begriff Diaspore verwendet. Diasporen können Sporen im eigentlichen Sinn, Samen, Früchte oder andere Ausbreitungseinheiten sein. Der Begriff wird allerdings in der Regel auf Ausbreitungseinheiten beschränkt, die dem Hauptzyklus angehören, also im Zusammenhang mit der sexuellen Reproduktion stehen.

 

Die nächste entscheidende Phase nach der Ausbreitung der Diasporen ist die Keimung und die Etablierung der Jungpflanze. Die Keimpflanze hat es umso leichter, je mehr Reservestoffe sie von der Mutterpflanze im Samen mitgebracht hat. Daß nicht alle Samen so groß geworden sind wie die Seychellennuß (größter Same der Welt, wieder etwas was fälschlicherweise Nuß genannt wird), liegt daran, daß mit steigender Größe der Samen auch Nachteile verknüpft sind. Die Fernausbreitung kleiner, leichter Samen ist einfacher, der Verlust von Samen, die keine geeigneten Keimungsbedingungen finden oder die gefressen werden wiegt weniger stark, wenn nicht so viel in den Samen investiert wurde. Bei sehr kleinen Samen lohnt es sich für Tiere unter Umständen nicht, sie zu fressen, außerdem können sie leichter in Spalten und Ritzen des Bodens fallen wo sie geeignete Keimungsbedingungen finden und so weiter. Die Ausgestaltung der Diaspore ist daher in vielfacher Weise der Lebens- und Konkurrenzsituation der jeweiligen Art angepaßt.

 

Bei der Keimung lassen sich zwei Grundtypen unterscheiden. Bei der epigäischen Keimung dienen die Keimblätter zuerst innerhalb des Samens der Resorption der Nährstoffe und anschließend der Assimilation. Die Keimblätter sind bei dieser Art der Keimung die ersten sichtbaren, grünen Blätter der Pflanze. Bei der hypogäischen Keimung dienen die Keimblätter ausschließlich der Nährstoffresorption aus dem Nährgewebe oder als Nährstoffspeicher innerhalb der Samenschale und niemals der Assimilation. Sie verbeiben daher im Samen und die ersten photosynthetisch aktiven Blätter sind nicht die Keimblätter, sondern Primär oder Niederblätter. Nicht selten gehen den ersten flächigen Blättern mehrere schuppenförmige Niederblätter an der Keimachse voraus (siehe z.B. Cycas, Abb. 30 S. 94).

 

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß für die Definition von hypogäischer und epigäischer Keimung (Abb. 18 )nicht die relative Lage des Samens zum Substrat wesentlich ist, sondern nur, ob die Keimblätter entfaltet werden und der Photosynthese dienen, oder ob sie nicht entfaltet im Samen verbleiben. Gerade besonders große Samen oder Früchte (Eichel, Kokosnuß)gehören dem hypogäischen Typ an, keimen in der Regel aber auf der Bodenoberfläche.

 

Samen mit epigäischer Keimung (Abb. 18 ), die normalerweise bei der Keimung auf dem Substrat liegen, entwicken vielfach an der austretenden Radicula Wurzelhalshaare, die der Anheftung am Substrat dienen und das eindringen der Wurzel in das Substrat erleichtern. Arten deren Samen bei der Keimung im Boden liegen, können auf derartige Wurzelhalshaare ebenso verzichten wie Arten mit sehr schweren Samen. Der Keimungstyp ist von der Art der Nährstoffspeicherung im Samen unabhängig. So können Arten mit epigäischer Keimung als Nährgewebe Endosperm haben (Nelkengewächse) oder Speichercotyledonen (z.B. alle Kreuzblütler, Rotbuche) aufweisen.

 

2.5.3 Blütendiagramme und Blütenformeln

 

2.5.3.1 Äquidistanz- und Alternanzregel

 

Ist bei wirtelig aufgebauten Blüten die Anzahl der Organe auf allen Wirteln einer Blüte gleich, so wird die Blüte als isomer bezeichnet. Treten auf den einzelnen Wirteln dagegen verschiedene Anzahlen von Organen auf, dann ist die Blüte heteromer. Bei isomeren Blüten wird die relative Anordnung der Blütenorgane zueinander durch zwei einfache Regeln beschrieben. Die Äquidistanzregel besagt, daß die Glieder eines Wirtels voneinander den selben Abstand haben, daß also ein Zweierwirtel den Kreis in zwei 1800 Teile, ein Dreierwirtel in drei 1200 Teile, ein Fünferwirtel in fünf 720 Teile unterteilt. Die Alternanzregel besagt, daß die Organe des folgenden Kreises immer auf Lücke zu den Organen des vorausgehenden Kreises stehen.

 

Äquidistanz- und Alternanzregel sind eine logische Konsequenz aus dem Hemmfeldkonzept. Beide Regeln gelten deswegen streng genommen nur, wenn alle Anlagen der Blütenorgane ungefähr gleich groß sind. Treten starke Größenunterschiede zwischen den Primordien aufeinanderfolgender Wirtel auf, so kann dies Abweichungen von der Regel (Alternanzstörungen oder Alternanzbrüche) zur Folge haben. Die bekannteste Alternanzstörung ist die Obdiplostemonie ( Abb. 19 ). Dabei scheinen die beiden Staubgefäßkreise in ihrer Anordnung vertauscht, der äußere steht vor den Petalen und der innere vor den Sepalen. Betrachtet man jedoch die Ontogenie, so stellt man fest, daß die Anlegungsweise genau der Regel entspricht und zuerst der vor den Kelchblättern stehende Kreis und dann der vor den Kronblätern stehende Kreis gebildet wird. Da die Anlagen des äußeren Kreises deutlich größer sind, ragen sie jedoch weiter in das Zentrum vor und scheinen deswegen weiter innen zu stehen. In allen bisher bekannten Fällen von Obdiplostemonie erfolgt die Anegung der Staubgefäßwirtel regelgerecht, nur die Morphologie des fertigen Zustandes täuscht einen Regelbruch vor. Allerdings steht bei manchen Caryophyllaceen die größte Lücke bei vielen Arten nicht vor dem äußeren Kreis, sondern vor dem inneren Kreis von Staubgefäßen, so daß das Gynoeceum nicht nach der Alternanzregel positioniert ist sondern die Karpelle vor den Staubgefäßen des inneren Kreises stehen. Die Alternanzregel ist zwar verletzt, das Hemmfeldkonzept, aus dem die Alternanzregel für den Spezialfall gleich großer Anlagen hergeleitet wurde, gilt jedoch offensichtlich.

 

Auf gleiche Weise kommt der Alternanzbruch bei Fehlen des äußeren Staubblattkreises (hier am Beispiel von Mäusedorn Ruscus aculeatus L.) zustande ( Abb. 20 ). Dabei sind die Anlagen der äußeren Tepalen viel größer als die der inneren, und so müssen die drei Staubgefäße bei maximalem Abstand vom Scheitel vor den inneren Tepalen angelegt werden. Bei der mit Ruscus eng verwandten Art Semele androgyna (L.) Kunth gibt es fast keine Größenunterschiede zwischen den beiden Kreisen von Tepalen. Es werden daher zwei Kreise von Staubgefäßen nach der Alternanzregel ausgebildet. Man kann deswegen annehmen, daß der äußere Kreis von Staubgefäßen in der Phylogenie durch solche Proportionsänderungen verlorengegangen ist und gibt ihn in theoretischen Diagrammen dann durch Sternchen wieder.

 

Durch das Prinzip, die neuen Anlagen immer in größtmöglichem Abstand vom Scheitel und von den vorausgehenden Anlagen zu entwickeln, läßt sich meist auch bei heteromeren Blüten die Anordnung von Blütenorganen sicher vorhersagen. Meistens wird dabei eine bestimmte Symmetrie (z.B. mediane Zygomorphie) durch alle Wirtel konsequent beibehalten. Diese Stellungsregeln erleichtern die vergleichende Analyse von Blütenbauplänen auch ohne entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen mit dem Rasterelektronenmikroskop.

 

2.5.3.2 Symmetrie von Blüten

 

Blüten sind in den meisten Fällen hoch symmetrische Gebilde. Zur Beschreibung der Symmetrie- und Lageverhältnisse gibt es eine Reihe von Begriffen, die fast selbsterklärend sind, hier aber in einer Übersicht erläutert werden sollen.

 

Die meisten Blüten sind radiärsymmetrisch oder strahlig. Die Anzahl der Symmetrieebenen ist dann durch die Anzahl der Glieder des Kronblattwirtels gegeben. Eine fünfzählige Blüte hat damit fünf Symmetrieebenen (Spiegelebenen) und ist weitehin drehsymmetrisch, weil sie durch Drehung um 720 in sich selbst überführt werden kann. Drehsymmetrische Blüten sehen fast aus wie radiärsymmetrische Blüten. Da das einzelne Blütenblatt aber unsymmetrisch ist, gibt es in einer drehsymmetrischen Blüte keine Symmetrieebene. Drehsymmetrische Blüten haben eine Form, die an ein Windrad erinnert (z.B. Nerium oleander, Oleander oder Vinca, Immergrün).

Disymmetrisch sind Blüten, durch die es nur zwei Symmetrieebenen gibt und die nur durch Drehung um 1800 in sich selbst überführt werden können (z.B. Dicentra, tränendes Herz). Gibt es nur eine einzige Symmetrieebene und führt nur eine Drehung um 3600zu einem identischen Bild, dann ist die Blüte monosymmetrisch, zygomorph oder dorsiventral. Manche Blüten sind auch völlig asymmetrisch, es gibt keine einzige Symmetrieebene und nur eine Drehung um 3600 ergibt ein identisches Bild (z.B. Canna, Blumenrohr).

 

2.5.3.3 Diagramm und Formel

 

Die Analyse einer Blüte wird zweckmäßigerweise in einem Blütendiagramm oder in einer Blütenformel protokolliert. Das Blütendiagramm kann dabei als ein Querschnitt durch die Blüte aufgefaßt werden. Dabei wird idealisierend angenommen, daß alle Blütenorgane in ihrem wichtigsten Bereich getroffen seien, also die Karpelle im Bereich des Ovars und die Staubblätter im Bereich der Theken. Verwachsungen werden durch Verbindungslinien dargestellt. Im empirischen Diagramm werden die Verhältnisse dargestellt, wie sie tatsächlich vorliegen. Das theoretische Diagramm enthält zusätzlich morphologische und systematische Interpretationen, z.B. zu erwartende, aber nicht vorhandene Staubblätter, Karpelle oder andere Organe. Das Blütendiagramm wird nach Möglichkeit immer nach einer Seitenblüte (d.h. einer achselständigen Blüte, der höchstens die beiden Vorblätter vorausgehen dürfen) gezeichnet.

 

Abstammungsachse und Tragblatt ergeben ein Bezugssystem, mit dem sich beschreiben läßt, wie ein Achselsproß und damit auch eine axilläre Blüte in den Bauplan der Pflanze eingefügt ist (Abb. 21 ). Die Ebene, die Abstammungsachse und Tragblatt symmetrisch teilt, wird Medianebene oder Mediane genannt, die Ebene die senkrecht zur Medianebene durch den Achselsproß geht, ist die Transversalebene oder Transversale. Fällt z.B. bei einer zygomorphen Blüte die Symmetrieebene der Blüte mit der Medianebene zusammen, so ist die Blüte median zygo morph (z.B. Salvia, Salbei oder Lamium, Taubnessel), stehen die beiden Ebenen in einem Winkel zueinander, so ist die Blüte schräg zygomorph (z.B. Aesculus hippocastanum, Roßkastanie). Zygomorphe Blüten, bei denen die Symmetrieebene mit der Transversalebene zusammenfällt, gibt es offenbar nicht.

 

Werden beide Vorblätter nicht gleichzeitig angelegt, so wird das zuerst angelegte als   -Vorblatt, das andere als  -Vorblatt bezeichnet. Sind die Vorblätter unterschiedlich groß, so ist das größere, im Wachstum geförderte das +Vorblatt, das kleinere das -Vorblatt.

 

Man kann verschiedene Signaturen einführen um z.B. im Diagramm unterständige Fruchtknoten, Nektarien, Nebenkronen und ähnliches zu kennzeichnen. Verbindliche Verfahren gibt es hierzu aber nicht, und es ist in jedem Fall günstiger, die Verständlichkeit durch eine ordentliche Beschriftung zu gewährleisten als durch ein kompliziertes System von Signaturen. In den meisten Fällen ist eine eindeutige Beschreibung und Interpretation durch die Kombination von Diagramm und Blütenformel gegeben.

Blütenformeln sind eine abgekürzte, noch stärker abstrahierende Darstellung von Blüten. Abkürzungen aus einem Buchstaben geben die jeweilige Organkategorie an, Zahlen die Anzahl der jeweiligen Organe. Mehrere Wirtel einer Kategorie werden mit einem "+" verbunden (z.B. A3+3; Androeceum aus zwei Wirteln mit je drei Gliedern). Aufeinanderfolgende Organkategorien werden durch einen Zwischenraum getrennt, die Abfolge ist immer K-C-A-G (Kelch, Corolle=Krone, Androeceum, Gynoeceum) oder P-A-G (Perigon, Androeceum, Gynoeceum). Aufwendige Zählarbeit ist in der Regel nicht erforderlich. In den Blüten liegen entweder Wirtel aus 3 bis 5 Gliedern vor, oder es wird bei mehr als 10 Organen einer Kategorie schnell das Zeichen    füe "viele" verwendet, insbesondere wenn die Anzahl auch noch variabel ist.

Beispiele für Blütenformeln:

Tulipa (wie die meisten Liliaceae): * P3+3 A3+3 G(3)

Iris (Iridaceae, theoretische Formel): * P3+3 A3+3o G(3)

Lamium K(5) (C(5) A4) G(2)

 

Eine Klammer (C A) deutet dabei an, daß die Filamente mit der Krone verwachsen sind. Für Verwachsungen aufeinanderfolgender Kreise werden der Übersichtlichkeit häufig eckige Klammern verwendet. Eine Kelch-Kronröhre würde durch die Formel (Kx Cx) ausgedrückt. Die Formel (Kx C(x)) drückt aus, daß sich die Krone oberhalb der Kelchkronröhre in eine reine Kronröhre fortsetzt. Sekundäre Verlagerungen oder Verdrehungen werden im Blütendiagramm nicht wiedergegeben, weil sie für das Verständnis von systematischen Zusammenhängen in der Regel wenig aussagekräftig sind. So zeigt z.B. in der Orchideenblüte das sogenannte Labellum beiden den meisten Arten infolge einer Drehung im Bereich des unterständigen Fruchtknotens nach vorne (außen, unten) und dient als Landeplatz für die Bestäuber. Bei einigen Arten bleibt diese Drehung aus und das Labellum ist der Abstammungsachse zugewendet. Im Blütendiagramm wird das Labellum dagegen immer median hinten eingezeichnet.

 

2.5.4 Blütenstände

 

2.5.4.1 Deskriptive Aspekte

 

Blütentragende Verzweigungssysteme (Sproßverbände) heißen Infloreszenzen. Die Tragblätter innerhalb von Blütenständen sind oft zu Hochblättern vereinfacht (brakteose Infloreszenzen), können aber auch laubblattartig ausgebildet sein (frondose Infloreszenzen). Seltener sind die Tragblätter der Blüten soweit unterdrückt, daß sie an der blühenden Pflanze nicht erkennbar sind (Brassicaceae). Der Blütenstand ist meist durch eine deutliche Hemmungszone, in der die Verzweigung unterdrückt und die Blätter reduziert sind, vom vegetativen Bereich (Unterbau) getrennt. Diese Hemmungszone dient der besseren Exposition des Blütenstandes und ist später u. U. auch bei der Samenausbreitung funktionell wesentlich. Unterhalb der Hemmungszone folgt ein Bereich, in dem die Erneuerungs- oder Innovationstriebe gebildet werden. Dabei handelt es sich um diejenigen Seitentriebe, die in der Regel in der folgenden Vegetationsperiode Blütenstände bilden werden.

 

Für Floren haben sich einige deskriptive Termini herausgebildet, die allgemein in Gebrauch sind. Bei der Traube stehen gestielte Blüten an einer unverzweigten Infloreszenzachse. Aus der Traube kann man durch einfache Proportionsänderungen Ähre (Reduktion der Blütenstiele), Kolben (Verdickung der Blütenstandsachse) und Köpfchen (Verkürzung und Verdickung der Blütenstandsachse) ableiten. Durch Verkürzung der Blütenstandsachse und Verlängerung der Blütenstiele wird aus der Traube eine Dolde. Mehrere Dolden können zu einer Doppeldolde zusammengezogen sein. Analog können aus Trauben Doppeltrauben, aus Köpfchen Doppelköpfchen usw. gebildet werden. Die Ableitungen, wie sie hier beschrieben sind, sind leicht zu merken und deswegen häufig in den Glossaren zu Bestimmungsbüchern zu finden. In der Phylogenie sind Dolde, Doppeldolde und Doppeltraube meist auf ganz anderen, viel komplizierteren Wegen entstanden. Kolben können komliziert aufgebaute thyrsische Blütenstände sein (z.B. Typha, Rohrkolben) und nicht einmal der Maiskolben stellt eine einfache Traube dar. Das Köpfchen der Compositen entspricht zwar vom Verzweigungsgrad her einer offenen Traube, bei Rhamnaceen, Cornaceen und anderen Familien treten jedoch thyrsisch gebaute Köpfchen auf. Die Begriffe Dolde, Köpfchen und Kolben bezeichnen daher keinen definierten Verzweigungsmodus, sondern nur eine habituelle Form.

 

Die Ausbildung von Blütenständen hat für Pflanzen mehrere Vorteile. Blüten werden oft für die Bestäuber auf unverzweigte Sprossen mit reduzierter Beblätterung exponiert um die Fernwirkung zu verbessern. Da ist es dann sparsam, auf dem selben Gerüst viele Blüten nacheinander zu präsentieren. Präsentiert man einen Teil der Blüten gleichzeitig, so kann auch mit sehr kleinen Blüten eine beachtliche Fernwirkung erzielt werden. Durch morphologische und physiologische Synorganisation innerhalb eines solchen Blütenstandes kann der gesamte Blütenstand den Eindruck einer einzelnen Blüte erwecken. In diesem Fall spricht man von einem Pseudanthium.

 

2.5.4.2 Typologie der Infloreszenzen

 

Leider sind die sogenannten einfachen Blütenstände nicht selten phylogenetisch auf ganz verschiedenen Wegen entstanden, so daß man auf dieser Basis die Blütenstände nicht zur Ermittlung von stammesgeschichtlicher Verwandtschaft gelangen kann. Die Doppeldolde der Umbelliferen ist z.B. nicht aus einer Doppeltraube hervorgegangen. Man erhält eine solche Form immer, wenn man alle Internodien innerhalb des Blütenstandes mit Ausnahme des ersten Internodiums der Seitenachse und des letzten Internodiums vor der Blüte staucht. Köpfchenförmige Blütenstände erhält man unabhängig vom Verzweigungsmuster immer, wenn alle Internodien innerhalb des Blütenstandes gestaucht sind.

Die für Verwandtschaftsanalysen wichtige typologische Infloreszenzmorphologie nimmt es deswegen mit den Begriffen genauer. Sie unterscheidet geschlossene (monotele) Infloreszenzen, bei denen jede Achse mit einer Endblüte abschließt, und offene (polytele) Infloreszenzen, bei denen nie eine Endblüte vorkommt. Einfachster und vielleicht auch phylogenetisch ursprünglichster Blütenstand ist die (monotele) Rispe. Einfachster polyteler Blütenstand ist die Traube. Typologisch werden auch Ähre, Kolben und Köpfchen als Traube bezeichnet, wenn ihnen das selbe Verzweigungsmuster wie der Traube zugrunde liegt. Das ist aber selten der Fall. Die Grasähre ist eine Doppeltraube, der Maiskolben oder der Rohrkolben sind noch komplexer gebaut. DerKolben des Aronstabes ist dagegen ebenso wie das Köpfchen der Kompositen typologisch eine Traube.

 

Stehen anstelle der Einzelblüten in einer Traube Cymen, so bezeichnet man den Blütenstand als Thyrsus. Statt von Infloreszenzen ist häufig von Synfloreszenzen die Rede. Durch die Verwendung des Begriffes Synfloreszenz macht man deutlich, daß man das untersuchte Aggregat von Blüten unter vergleichend morphologischen Gesichtspunkten betrachten will.

 

Eine der wichtigsten Blüten tragenden Einheiten ist die Cyme (Abb. 22 ). Eine Cyme ist ein Teilblütenstand, der sich nur aus den Achseln der alleine vorhandenen Vorblätter verzweigt. Wenn die Verzweigung aus beiden Vorblattachseln erfolgt, liegt ein Dichasium (dichasiale Cyme) vor. Wenn sie nur aus einer Vorblattachsel erfolgt, handelt es sich um ein Monochasium (monochasiale Cyme). Bei den Monochasien kann man verschiedene Formen unterscheiden, je nachdem, ob die Verzweigung jedesmal zur selben Seite hin erfolgt oder alter-niert. Bei alternierender Verzweigung spricht man von Wickel (Cincinnus), im anderen Fall von Schraubel (Bostryx) (Abb. 23 ). Erfolgt die erste Verzweigung aus beiden Vorblattachseln und geschieht erst die Fortsetzung monochasial, liegen Doppelwickel (z.B. Lamiaceae) oder Doppelschraubel vor. Ist nur ein Vorblatt in adossierter Stellung vorhanden, so bildet die Cyme eine Fächel (Riphidium) (Abb. 23 ).

 

Kompliziert aufgebaute Blütenstände sind bei genauerer Betrachtung oft durch stereotype Wiederholung einer geringen Zahl verschiedener Grundeinheiten von Blüten aufgebaut. Sowohl der Aufbau dieser Grundeinheiten als auch die Art und Weise, wie diese zu Blütenständen zusammengefaßt werden, ist nicht selten für ganze Verwandtschaftsgruppen einheitlich und typisch. Man kann den Blütenstandsaufbau deswegen erfolgreich zur Ermittlung von systematischen Zusammenhängen einsetzen.

2.5.4.2.1 Polytele Blütenstände

 

Am einfachsten sind die sich wiederholenden Bauelemente bei polytelen Blütenständen (solchen ohne Endblüte) zu ermitteln. Die Infloreszenzmorphologie beginnt deswegen zweckmäßigerweise mit den polytelen Blütenständen, obwohl die monotelen Blütenstände vermutlich phylogenetisch ursprünglicher sind. In einem polytelen Blütenstand sind alle Blüten Seitenblüten (d.h. sie stehen in Blattachseln und es gehen ihnen höchstens die Vorblätter an der selben Achse voraus).   Innerhalb eines polytelen Blütenstandes sucht man dann zunächst einen Teilblütenstand, der die relative Hauptachse des betrachteten Systems abschließt und der entweder nur axilläre Blüten oder nur axilläre Cymen umfaßt. Dieser Abschnitt, der entweder eine Traube (Abb. 25 ) oder ein einfacher Thyrsus ist (Abb. 25 ), wird als Hauptfloreszenz bezeichnet (Abb. 24 ). Unterhalb der Hauptfloreszenz folgen meist blühende Seitentriebe, die nach Ausbildung weniger Blätter mit einem Blütenstand abschließen, der in seinem Aufbau im Prinzip mit der Hauptfloreszenz übereinstimmt (meist weicht nur die Anzahl der Blüten bzw. Cymen geringfügig ab). Diese Triebe werden Wiederholungstriebe (=Parakladien oder Bereicherungstriebe) genannt.   Die Teilblütenstände, die im Aufbau mit der Hauptfloreszenz übereinstimmen, nennt man Cofloreszenzen. Das Parakladium kann in den Achseln der untersten Blätter selbst wieder Parakladien tragen. Ein Parakladium, das nicht an der   Hauptachse des Blütenstandes steht sondern seinerseits an einem Parakladium inseriert, wird als Parakladium 2. Ordnung bezeichnet. Ein Parakladium, das an einem Parakladium 2. Ordnung inseriert, ist selbst ein Parakladium 3. Ordnung u.s.w.. Die Zone der Parakladien wird Parakladienzone oder Bereicherungszone genannt. Sie wird nach unten in der Regel durch eine Zone begrenzt, in der keine seitliche Verzweigung vorkommt. Diese Zone wird Hemmungszone genannt. Zwischen der Bereicherungszone und der Hauptfloreszenz liegt ein einziges Internodium, das nicht selten besonders auffällig verlängert ist und deswegen einen besonderen Namen trägt, das Grundinternodium. Auch bei den Cofloreszenzen wird das entsprechende Internodium unterhalb der letzten Blüte oder Cyme Grundinternodium genannt. Unterhalb der gesamten Synfloreszenz liegt in der Regel die Innovationszone (Erneuerungszone).   In den Blattachseln dieser Zone werden die Seitentriebe gebildet, die in der nächsten Vegetationsperiode Blütenstände bilden werden. Annuellen Pflanzen fehlt folgerichtig eine Innovationszone.

2.5.4.2.2 Monotele Blütenstände

 

Blütenstände, in denen irgendwo eine Endblüte vorkommt, werden als monotel bezeichnet. In der Regel schließen in einem monotelen Blütenstand alle Achsen mit Blüten ab. Der Blütenstiel (Pedicellus) hat in monotelen Blütenständen oft durch seine Länge eine besonders herausragende Stellung und wird als Endinternodium bezeichnet. In einfachen monotelen Blütenständen gibt es keine Floreszenzen, die als feste Struktureinheiten innerhalb des Blütenstandes wiederholt werden. Von den ersten Seitenachsen unter der Endblüte bis zu den letzten blütentragenden Seitentrieben oberhalb der Hemmungszone gibt es einen kontinuierlichen Übergang. Die Rispe ist ein typischer Fall eines solchen monotelen Blütenstandes ( Abb. 26 ). Die obersten Seitentriebe in einer solchen Rispe tragen in der Regel nur eine oder zwei Blüten, die dann auch in der Achsel von Vorblättern stehen. Solche zweiblütigen oder dreiblütigen Einheiten werden als Dyaden bzw. Triaden bezeichnet.

 

Häufig findet man aber auch in monotelen Blütenständen größere Blütenaggregate, die recht stereotyp wiederholt werden. Ein häufiger Typ ist der monotele Thyrsus, der sich in seinem Verzweigungsmuster vom polytelen Thyrsus nur durch die Endblüte unterscheidet. Oft lassen sich monoteler und polyteler Thyrsus aber auch an der Aufblühfolge innerhalb des Blütenstandes gut unterscheiden. Der polytele Typ blüht von der Basis zur Spitze auf, beim monotelen Typ blüht fast immer die Endblüte vor den vorausgehenden Blüten auf, so daß wenigstens im Spitzenbereich des Blütenstandes die Aufblühfolge von der Spitze zur Basis fortschreitet.

 

Obwohl solche monotelen Thyrsen oft in gleicher Weise wie polytele Thrsen als feste Baueinheiten wiederholt werden, soll nach Troll für diese Einheiten auf keinen Fall der Begriff "Floreszenz" verwendet werden. Nach Troll entspricht die Endblüte des monotelen Blütenstandes der Hauptfloreszenz des polytelen Blütenstandes. Aus dieser Homologisierung leiten sich auch die Begriffe her (monotel = von einer einzigen Blüte abgeschlossen, polytel = von einer Gruppe von Blüten, der Hauptfloreszenz abgeschlossen). Troll hat sich damit bei monotelen Blütenständen der so praktischen Möglichkeit beraubt, größere Wiederholungseinheiten zu kennzeichnen.

2.5.5 Blütenbiologie

2.5.5.1 Blüten und Blumen

 

Als Blüten werden morphologische Einheiten bezeichnet, die der Blütendefinition (siehe Seite 52) genügen. Für die Reproduktionsbiologie sind dagegen weniger die morphologischen oder typologischen Gegebenheiten wesentlich als die funktionellen Einheiten. Die funktionelle, bestäubungsbiologische Einheit stimmt in vielen Fällen mit der morphologischen Einheit (Blüte) überein, sie kann jedoch auch eine aus vielen Blüten zusammengesetzte Einheit sein (z.B. das Köpfchen der Compositen) oder eine einzige Blüte kann mehrere bestäubungsbiologische Einheiten umfassen (z.B. die Irisblüte). Für die bestäubungsbiologische Einheit wird der Begriff Blume verwendet. Bilden mehrere Blüten eine Blume, so liegt ein Pseudantium vor. Besteht eine Blüte aus mehreren Blumen (seltene Ausnahme, z.b. Iris mit 3 Blumen pro Blüte) so wird die funktionelle Einheit Meranthium genannt. Unabhängig davon, ob sie sich mit Blumen oder Blüten befaßt, wird die Forschungsrichtung, die sich mit funktionellen Aspekten der Bestäubung, insbesonder mit den Wechselwirkungen mit Bestäubern befaßt Blütenbiologie genannt.

 

In der Blütenbiologie werden die Blumentypen je nach Fragestellung nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gegliedert. Gängige Gliederungsprinzipien richten sich nach der bestäubenden Tiergruppe, nach dem angebotenen Futter, oder nach der morphologischen Gestalt. Besondere Begriffe haben sich dafür dann eingebürgert, wenn mit der Bestäubung durch ein bestimmtes Tier oder eine Tiergruppe oder ein bestimmtes Futterangebot eine Reihe von gleichartig wiederkehrenden Baueigentümlichkeiten, ein sogenanntes bestäubungsbiologisches Syndrom, verbunden ist.