Überarbeitete Fassung des Aufsatzes in: T. Fischer, R. Seising (Hg.):
Wissenschaft und Öffentlichkeit. Frankfurt/M. (Lang) 1996, S. 173-198.
Die
Verantwortung der Wissenschaft
Ein Rückblick auf das Max-Planck-Institut zur Erforschung
der Lebensbedingungen der wissenschaftlich technischen Welt (1970–1980)
M.Drieschner
Dieses mit der Person Carl Friedrich von Weizsäckers
untrennbar verbundene Max-Planck-Institut war schon zu den Zeiten, als es noch
arbeitete, eine Legende in der Öffentlichkeit. Davon hat sich bis heute die
Nachricht gehalten, daß mit der Schließung dieses Instituts (oder genauer, der
Weizsäckerschen Abteilung) zum
Die Frage nach der Verantwortung
der Wissenschaft, aus deren Diskussion dieses Institut entstand, ist auch heute
nicht weniger brisant als Ende der 60er Jahre. Da sich mit seiner Tätigkeit und
vor allem seinem Ende die eher romantische Vorstellung verbindet, daß sein
Erfolg nur von außen verhindert worden sei, kann ein Rückblick auf die
Geschichte dieses Instituts sicher auch dazu dienen, die Möglichkeiten und
Unmöglichkeiten einer derartigen Unternehmung etwas nüchterner abzuschätzen.
Den Ursprung des Gedankens an
ein solches Institut muß man an das Ende des Jahres 1938 datieren, als Otto
Hahn die Möglichkeit entdeckte, daß Atomkerne sich spalten konnten und dabei
Energie freisetzen. Carl Friedrich von Weizsäcker, der als einer der ersten von
diesen Experimenten erfuhr, sah sofort die ungeheuren Möglichkeiten, die eine technische
Anwendung dieser Entdeckung bieten könnte, und zugleich – der baldige
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war voraussehbar – die ungeheuren Gefahren, die
darin steckten, daß man diesen Prozeß zum Bau von Bomben von bis dahin
ungeahnter Explosivkraft verwenden konnte.
Carl Friedrich von Weizsäcker
war dann, aufgrund seiner Mitarbeit an der Entwicklung der Atomkern-Physik und
Kerntechnik, zutiefst davon überzeugt, daß Wissenschaftler die Verantwortung
für die Folgen ihrer Entdeckungen zu übernehmen hätten. An die Öffentlichkeit
trat Weizsäcker mit dieser Überzeugung weithin sichtbar im Jahr 1957 in der
„Göttinger Erklärung“ von 18 bekannten Physik-Professoren, in der sie die
Politik der Bundesregierung kritisierten. Franz Josef Strauß war kurz zuvor Verteidigungsminister
geworden und strebte offensichtlich energisch eine atomare Bewaffnung der
Bundeswehr an. Bundeskanzler Adenauer unterstützte diese Tendenz und
verteidigte seine Unterstützung öffentlich mit dem Argument, daß ja Atomwaffen
nur die konsequente Fortsetzung der Artillerie seien. Das gab den Anstoß dazu,
daß sich die genannten 18 Fachleute auf diesem Gebiet zusammentaten und eine
Erklärung veröffentlichten, in der sie nicht nur über die Gefährlichkeit von
Atomwaffen und ihre unvergleichlich große Wirkung aufklärten und aus
politischen Gründen von einer Bewaffnung der Bundeswehr mit solchen Waffen
abrieten, sondern in der sie auch persönlich erklärten: „Jedenfalls wäre keiner
der Unterzeichneten bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem
Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“ – Weizsäcker hatte
diese Erklärung sehr sorgfältig formuliert (in der diplomatischen Tradition, in
der er aufgewachsen war), und der Teil mit der persönlichen Verpflichtung war
ihm daran besonders wichtig. Er schildert das sehr eindringlich in seiner
„Selbstdarstellung“[1]
Aus der Zusammenarbeit dieser 18
entstand im Anschluß an die Göttinger Erklärung die „Vereinigung deutscher
Wissenschaftler“ (VDW), in der die Naturwissenschaftler ihre politische
Verantwortung dadurch wahrnehmen wollten, daß sie fachlich unbestreitbare
Studien lieferten zu Themen, die politisch kontrovers diskutiert wurden,
ähnlich wie die Aufklärung über die unvergleichliche Wirkung von Atomwaffen in
der Göttinger Erklärung. Im Jahre 1961 trat die VDW mit einer solchen Studie an
die Öffentlichkeit: Die Bundesregierung hatte ein Gesetz über den Bau von
Luftschutzräumen vorgeschlagen, mit einer technischen Begründung. Die VDW ließ
von einer Kommission aus Mitgliedern und Mitarbeitern in einjähriger Arbeit ein
Gegengutachten „Ziviler Bevölkerungsschutz heute“ anfertigen. Aufgrund dieses
Gegengutachtens mußte die Bundesregierung ihre Vorschläge sehr weitgehend
modifizieren. Im Max-Planck-Institut kursierte später die Geschichte, daß in
der Regierungsvorlage auch ausgerechnet worden sei, wie heiß es in einem Bunker
mit sehr dicken Betonwänden in unmittelbarer Nähe der Explosion einer Atombombe
werden könne. Die Regierungsvorlage hatte den Anstieg der Temperatur für 24
Stunden nach der Explosion berechnet und befunden, daß die Temperaturen
durchaus erträglich sein würden; die VDW-Kommission brach die Rechnung nicht
nach 24 Stunden ab, sondern rechnete weiter und stellte fest, daß im Verlauf
von einigen Tagen die Temperatur so angestiegen sein würde, daß alle
Bunkerinsassen durchgegart wären. – Schnitzer dieser Art sind natürlich für ein
Gegengutachten ein gefundenes Fressen.
Die VDW erreichte daraufhin, daß
eine Stiftung eine kleine Arbeitsgruppe finanzierte, die nach allen Regeln der
naturwissenschaftlichen Kunst die Folgen eines Atomkriegs für die
Bundesrepublik in Abhängigkeit von den verschiedensten Modellen für den Verlauf
eines solchen Krieges untersuchte. Dafür wurde eine „Forschungsstelle der VDW“
in Hamburg eingerichtet, unter Leitung von Horst Afheldt und unter der
Oberaufsicht von Carl Friedrich von Weizsäcker. Die Ergebnisse dieser Arbeit
sind in der umfangreichen Studie „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“[2] im Jahre 1971 veröffentlicht
worden.
Zwei Mitarbeiter dieser Forschungsstelle,
Jürgen Heinrichs und Otto Kreye, koordinierten außerdem eine Studie auf einem
ganz anderen Gebiet, nämlich dem „Welternährungsproblem“, wie das damals hieß.[3] Dieses Problem war nicht allzu
lange Zeit vorher, nach der Vollendung der Unabhängigkeit der ehemaligen
Kolonien, ins Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten. Der Vorspann zu dem Buch
beginnt: „Der Hunger ist heute das Weltproblem Nummer eins. Jahr für Jahr
verhungern allein 3.500.000 Kinder in den sog. »Entwicklungsländern«.“ –
Außerdem trat um diese Zeit, Ende der sechziger Jahre, gerade das Problem der
Umweltzerstörung ins Bewußtsein: zunächst vor allem Lärm und Abgase von Autos
in den Städten und Zerstörung der Struktur durch den Versuch, die Städte
„autogerecht“ zu machen. Dazu kam dann die Vergiftung von Wasser und Luft durch
Abfälle und Pestizide. Auch zu diesen Problemen bereitete die VDW eine Studie
vor.
In der Forschungsstelle der VDW
in Hamburg arbeiteten inzwischen fünf Wissenschaftler und eine Sekretärin,
finanziert nur jeweils von Jahr zu Jahr durch Stiftungsmittel der Oskar-Mahr-Stiftung. Es war klar, daß in dieser Weise niemand auf Dauer würde arbeiten
können, und daß daher die Arbeit der Forschungsstelle, wenn sie überhaupt
weitergehen sollte, auf eine neue finanzielle Basis gestellt werden mußte.
Inzwischen kamen auch von
anderer Seite Vorschläge zur Gründung eines Instituts, das sich mit
„Futurologie“, „Planungswissenschaft“, „Technology Assessment“,
„Friedensforschung“ u.ä. beschäftigen sollte. Man muß sich einmal die öffentliche
Diskussion Ende der 60er Jahre vor Augen führen: Die Studentenrevolte erregte
Aufsehen – so etwa die Demonstrationen beim Besuch des persischen Schahs, bei
denen am
In dieser Situation gab es viele
Pläne für Planungsinstitute – vor allem wohl inspiriert von der Hoffnung, die
Zukunft durch Prognose und Planung technologisch in den Griff zu bekommen. Daß
derartige Pläne auch an Weizsäcker herangetragen wurden, lag nahe, einerseits
wegen seiner Rolle als geistiger Vaterfigur des bundesrepublikanischen
Deutschland, andererseits wegen seiner Fähigkeit, verschiedene weit entfernte
Gedankenstränge zusammenzuführen, vor allem aus Naturwissenschaft, Politik und
Philosophie, und wegen seiner vorliegenden Erfahrung mit der kleinen
Forschungsstelle der VDW. Unter anderem plante der damalige Generalsekretär der
Max-Planck-Gesellschaft, Friedrich Schneider, ein Institut, das die Wissenschaftspolitik und die Politikberatung
durch die Wissenschaft theoretisch fundieren sollte, und schlug Weizsäcker vor,
sich dieser Pläne anzunehmen.
Es ist einleuchtend, daß ein Max-Planck-Institut
Weizsäcker besonders verlockend erschien. Er kannte ja Max-Planck-Institute aus
eigener jahrelanger Mitarbeit sehr gut und hatte vorher oft betont, wie sehr er
die Vorteile eines solchen Instituts zu schätzen wußte. Es war und ist bis heute
die Politik der Max-Planck-Gesellschaft, ein neues Institut um einen
„verdienten Gelehrten“ herum zu gründen, so daß dieser die Möglichkeit hat,
seine Forschungen mit von ihm ausgewählten Mitarbeitern ganz unabhängig nach seinem Gutdünken auszuführen. Die
Max-Planck-Gesellschaft wählt die Gelehrten, denen sie in dieser Weise ein
Institut anvertraut, besonders sorgfältig aus, gibt ihnen dann aber vollkommene
Freiheit und alle einigermaßen erschwinglichen Möglichkeiten an die Hand,
wirklich unbehindert und effektiv zu forschen – angefangen von der genügenden
Anzahl von Wissenschaftlerstellen über Bibliotheks- und Hilfskräfte,
angemessene Gebäude und wo nötig Werkstätten, bis hin zum Wagen mit Chauffeur
für den Direktor. Der Direktor ist dann in seinen Entschlüssen beinahe
unangreifbar, solange er tätig ist, dafür wird aber – jedenfalls nach der
Selbstinterpretation der Max-Planck-Gesellschaft – beim Weggang eines Direktors
sehr sorgfältig geprüft, ob das Institut unter einem Nachfolger genau so oder
in ähnlicher Weise weitergeführt werden kann, oder ob es eher geschlossen
werden sollte.
Die Überlegungen zu einem
solchen Institut, das um Weizsäcker herum gegründet werden sollte, schlugen
sich in öffentlichen Äußerungen nieder, lange bevor der konkrete Plan der
Institutsgründung öffentlich bekannt war. Von Georg Picht, Weizsäckers
Jugendfreund und Weggefährte, der selbst eine „Forschungsstelle der
evangelischen Studiengemeinschaft“ in Heidelberg leitete, erschien 1967 ein
Büchlein „Prognose – Utopie – Planung“; Weizsäcker hielt 1968 vor dem Stifterverband
für die deutsche Wissenschaft einen Vortrag „Über die Kunst der Prognose“.[5]
Gründung
Unter diesem Aspekt der Prognose und Planung war die
Gründung des Instituts dann in der Max-Planck-Gesellschaft sehr umstritten. In
Ihrem Entscheidungsgremium, dem Senat, sitzen traditionsgemäß neben
wissenschaftlichen Mitgliedern der Max-Planck-Gesellschaft etwa in gleicher
Anzahl auch Vertreter „der Wirtschaft“, also Vorstände und Aufsichtsräte großer
Unternehmen, und einige wenige Vertreter der staatlichen Verwaltung. Unter den
Wirtschaftsvertretern waren es vor allem die Fürsten der chemischen Industrie,
Carl Wurster von der BASF und Karl Winnacker von Höchst, die von einem solchen
Institut Einflüsse auf die Politik fürchteten, die ihren Interessen
zuwiderlaufen könnten. – Von dem späteren Institut hätten sie in dieser
Richtung nichts zu befürchten brauchen, aber es ist anzunehmen, daß sie, hätten
sie gewußt wie das Institut wirklich würde, es ebenso sehr abgelehnt hätten.
Weizsäcker wollte sich in seinen
Vorschlägen für die Institutsgründung möglichst viel Freiheit vorbehalten, da
er selbst noch keine genauen Vorstellungen davon hatte, wie das Institut
schließlich aussehen sollte. Die Fortführung der Arbeiten aus der Forschungsstelle
der VDW waren natürlich geplant, im übrigen dachte er einerseits an
Politikberatung – wobei ihn allerdings die Wissenschaftspolitik am wenigsten
interessierte –, daneben auch an sehr prinzipielle Analysen von Politik mit Einschluß
vor allem von Ökonomie, aber auch Soziologie, Psychologie und einer
„historischen Anthropologie“, wie er sie später im „Gartenbuch“[6] ausgeführt hat. Daneben wollte
er auf jeden Fall, als „Bedingung für sein eigenes Überleben“, wie er es
nannte, seine Arbeit an den Grundlagen der Physik bzw. an der „philosophischen
Physik“ weiterführen. Weizsäcker hatte wohl, von seiner Natur und seiner
gewohnten Arbeitsweise her, von vornherein im Sinn, sich mit diesen Themen vor
allem selbst zu beschäftigen und darüber zu schreiben. Im Institut wollte er
sich, neben einem „Apparat“, der ihm die technische Seite der Arbeit
erleichtern würde, auf Gesprächspartner stützen, von denen er im Gespräch
Informationen und Meinungen über Themen einholen konnte, mit denen er sich
gerade beschäftigte. Das entsprach ja auch der ursprünglichen Konzeption der
Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Institute, die um den jeweiligen Direktor herum
errichtet wurden. So war auch dieses Institut von Anfang an sehr stark auf die
Person Weizsäckers zugeschnitten worden; schon vor der Gründung wurde
ausdrücklich die Möglichkeit diskutiert, das Institut wieder zu schließen, wenn
für Weizsäcker kein geeigneter Nachfolger gefunden würde.
Weizsäcker wollte zunächst mit
15 wissenschaftlichen Mitarbeitern eine „mehrjährige Planungsphase“
durchlaufen, nach der das Institut dann ausgeweitet werden sollte auf bis zu 60
wissenschaftliche Mitarbeiter. Diese anfänglichen 15 Mitarbeiter standen beinahe
alle schon aus Hamburg bereit: Von der Forschungsstelle der VDW zunächst deren
Leiter Horst Afheldt – nach Alter und Stellung zwischen Weizsäcker und der
Schar der 30- bis 35-jährigen übrigen Mitarbeiter. Er brachte seine Mitarbeiter
Utz Reich, Philipp Sonntag, Otto Kreye und Jürgen Heinrichs mit. Dazu kamen aus
dem philosophischen Seminar in Hamburg Gernot Böhme, Wolfgang Krohn, Wolfgang
van den Daele, Klaus Michael Meyer-Abich, Walter Schindler, Folker Fröbel und
Michael Drieschner, dazu kamen gleich zu Anfang Walter Bonhoeffer und etwas
später die beiden Physiker Lutz Castell und Kai Drühl.
Ein entscheidender Aspekt schon
in der Gründungsphase war der Einfluß der linken Studentenbewegung. Die
Mehrheit der Mitarbeiter am philosophischen Seminar in Hamburg zählte sich selbstverständlich
zur Linken und bekämpfte das Establishment. Weizsäcker hatte die studentischen
Angriffe an der Universität relativ gut überstanden, wenn man bedenkt, daß er
doch ein herausragender Repräsentant des so bekämpften professoralen
Establishments war. Ich erinnere mich an die Sitzung eines „Tribunals“ von
aufmüpfigen Studenten, das öffentlich speziell über Weizsäckers Verhalten zu
Gericht sitzen wollte und ihn dazu eingeladen hatte. Er erschien tatsächlich zu
der Sitzung und schlug sich diplomatisch sehr geschickt gegen die studentischen
Tribunalisten, die ihm in diesem Punkt nicht gewachsen waren, und dies vor
einem Publikum, das halb und halb mit ihm sympathisierte. Aber man merkte ihm
die ungeheure Anstrengung an, die ihn diese Diplomatie kostete, angesichts des
ganz und gar undiplomatischen, betont ruppigen Benehmens der übrigen
Diskussionsteilnehmer, das ihm angesichts seiner eigenen Umgangsformen und
Gewohnheiten sichtbar zuwider und strapaziös war. Ähnliches – vielleicht nicht
ganz so extrem – hat sich später in Diskussionen innerhalb des Instituts zugetragen,
mit ähnlichem Effekt: Weizsäcker war meistens der diplomatisch Geschicktere,
aber sichtlich angestrengt und angewidert. Dabei war ihm die Kritik, die die
linken Studenten an den bestehenden Verhältnissen äußerten, durchaus
einleuchtend. Er schreibt, daß sie seinen Vorbehalten, die er seit jeher gegen
die bestehenden Verhältnisse gehabt hätte, durchaus entsprach; nur war ihm der
Stil natürlich sehr konträr, und gegen die von den Linken erhoffte und
propagierte Lösung der Probleme war er mindestens so skeptisch wie gegen die
der konservativen Gegenseite.
Einige dieser Linken kamen also
mit ans Institut. Weizsäcker hatte zwar diese Stimme des Zeitgeistes aus dem
Chor der Stimmen seines Instituts keinesfalls ausschließen wollen, er wurde
aber dann wohl von der Entwicklung überrollt, als diese linken Stimmen das
Institut sehr stark bestimmten.
Das Institut war bei der
Gründung sehr auf Weizsäcker zugeschnitten gedacht, es wurden aber auch Kooperationen
mit verschiedenen anderen relativ etablierten Gelehrten erwogen. Daß sie nicht
zustande kamen, lag vielleicht zum Teil an dem Einfluß der linken Mitarbeiter,
der schon vor der Gründung sehr sichtbar wurde; es lag aber sicher mindestens
ebenso sehr an Weizsäckers persönlichem Schwergewicht, dem sich keiner der
gleichaltrigen und einigermaßen gleichgewichtigen Kooperationspartner aussetzen
wollte. Es war z.B. zunächst daran gedacht, das neue Institut in Heidelberg zu
gründen, da dann eine relativ enge Zusammenarbeit mit Georg Picht und seinem
ähnlich konstruierten Institut möglich gewesen wäre. Picht hat sich in diesem
Sinne zunächst an den Vorgesprächen beteiligt, war dann aber Ende 1968
plötzlich nicht mehr daran interessiert.
Da außerdem der Präsident der
Max-Planck-Gesellschaft, Adolf Butenandt, Interesse daran geäußert hatte,
Weizsäcker in der Nähe seiner Münchner Generalverwaltung zu haben, lag es nahe,
das Institut in der Nähe von München anzusiedeln – nicht in München selber, da
für Weizsäcker die Ruhe auf dem Land und die Möglichkeit zu Spaziergängen
wichtig war. Unter diesem Gesichtspunkt wurde in Starnberg die im Jahr 1903 von
dem Jugendstil-Architekten Richard Riemerschmid für den eigenen Gebrauch
gebaute Villa gemietet. Sie stand auf einem Bergvorsprung hoch über dem
Städtchen Starnberg und war bis dahin eine romantische Ritterburg in einem
verzwickten Stilgemisch gewesen, mit einem dicken Turm, dessen oberstes Zimmer
mit Fernblick über die Alpenkette sich sehr gut als Zimmer des Direktors
geeignet hätte. Leider war es kurz vorher an einen Baulöwen verkauft worden,
der es zwar nicht abreißen durfte, der es aber durch den Umbau in ein Wohnhaus
so zurichtete, daß die alte Ritterburg-Romantik nicht mehr zu erkennen war.
Immerhin, es bot eine ruhige Arbeitsatmosphäre und zunächst auch genügend Platz
für das ganze Institut; und ein bißchen spiegelte die erhabene Position des
Hauses auch das Bewußtsein der Mitarbeiter.
Ich schildere diese
Äußerlichkeiten, da sie alle zusammen schließlich den Erfolg oder Mißerfolg des
Unternehmens „Verantwortung der Wissenschaft“ ausmachen. Ein solches Institut,
da mögen die Pläne noch so systematisch und von hehren Motiven begleitet sein,
ist ein konkretes Gebilde mit ganz konkreten Mitarbeitern mit eigenen Schwächen
und Stärken und einer ganz konkreten Umgebung, von der natürlich auch die
Arbeit abhängt.
„Planungsphase“
Schon vor der offiziellen Gründung des Instituts am
An Projekten bot sich zunächst
die Fortsetzung des in der Forschungsstelle schon Begonnenen an, nämlich 1. die
Fertigstellung der schon weit fortgeschrittenen, vor allem von Afheldt, Reich
und Sonntag verantworteten Studie „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“; 2. die
Fortsetzung der Untersuchungen der „Ökonomie der Entwicklungsländer“ durch
Kreye und Heinrichs, zu denen sehr bald Fröbel stieß; 3. eine Studie zum „World
Order Models Project“ des World Law Fund, dessen europäische Gruppe Weizsäcker
mit Afheldt leitete; der erste Arbeitsbericht nennt 4. die Mitarbeit in einer OECD-Kommission
über „New Ideas in Science Policy“ und 5. die Mitarbeit an einer Beratung der
Bundesregierung „Förderung der Friedensforschung der Bundesrepublik“. Die beiden
letzteren gehörten zur Politikberatung über Wissenschafts- und
Technikförderung, zu der Weizsäcker immer wieder aufgefordert wurde. Er hatte
vorgesehen, daß Krohn und van den Daele ihn in dieser Arbeit unterstützen
sollten; zu der so gebildeten Arbeitsgruppe stieß später Böhme hinzu.
Zu diesen übernommenen Projekten
sollte dann ein weiteres im großen Gebiet der Umweltprobleme kommen, um dessen
Formulierung sich Meyer-Abich und Bonhoeffer kümmern sollten. Der Gruppe der
Philosophen gehörten Schindler und zunächst Böhme, außerdem Drieschner als
Physiker an. Sehr bald spielte die „Physikergruppe“, ergänzt um Castell und
Drühl, eine relative Sonderrolle neben dem übrigen Institut. Um den
Zusammenhang der reinen Theoretiker mit den praxisorientierten Projekten zu
fördern, sollte jeder dieser Theoretiker etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit
einem der an praktischen Problemen orientierten Projekten widmen. Auf diese
Weise kam Böhmes Verbindung mit Wissenschaftspolitik zustande, Schindlers
praktische Tätigkeit bestand zunächst darin, daß er als persönlicher Referent
Weizsäcker unterstützte, während ich mich an der Arbeit der Umweltgruppe
beteiligte; ich hatte schon vor Gründung des Instituts und auch noch in seiner
Anfangszeit kritische Gutachten zum erwartbaren Fluglärm durch den damals
geplanten neuen Flughafen Hamburg-Kaltenkirchen erstellt. Im ersten
Tätigkeitsbericht an die Max-Planck-Gesellschaft vom Juni 1971 sind außerdem
zwei weitere Gruppen genannt, an die ich mich ohne die Lektüre dieses Berichts
kaum erinnert hätte: nämlich – dort nach „Umwelt“ und „Entwicklungsländer“ als
dritte genannt – eine Arbeitsgruppe zum gruppenpsychologischen Thema
„Konfliktlösung durch Kompromiß“, in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut
für Psychiatrie; das hing offenbar mit den beiden Psychoanalytikern zusammen,
Bartning und Zacharias, die in der Anfangszeit als Gäste am Institut waren. Als
vierte Gruppe wird eine genannt, die soziale Selbstbestimmung an Beispielen
studieren wollte; als Beispiel sind tansanische Dorfgemeinschaften genannt, –
das Thema sollte eine Verbindung zur Entwicklungsländer-Gruppe herstellen. Das
war wohl nur ein Gedanke, der gerade bei der Abfassung des Berichts akut war;
später tauchte er nicht mehr auf.
Für diese Anfangszeit war
überhaupt charakteristisch die Flut von neuen Gedanken und mehr oder weniger
verrückten Ideen, die teils schnell wieder verschwanden, wie die Sache mit dem
tansanischen Dorf, teils schließlich zu jahrelanger Projektarbeit führten.
Meine Erinnerung an die ersten ein bis zwei Jahre des Instituts ist vor allem
geprägt vom Eindruck eines ungeheuren Chaos, das einerseits sehr anregend war,
andererseits aber beinahe unerträglich anstrengend in der Konzentration auf die
mögliche Entscheidung, was nun zu verfolgen sei und was nicht. Keiner von uns
tatendurstigen jüngeren Mitarbeitern hatte ja die geringste Erfahrung darin,
wie man so etwas angeht und wie man es gar praktikabel macht, und auch Weizsäcker
war nach Temperament und Erfahrung nicht der Mann, der einen solchen
Wespenschwarm von losgelassenen Enthusiasten zu bändigen vermochte hätte. Dabei
standen uns eigentlich alle Möglichkeiten offen; die Max-Planck-Gesellschaft
war bereit, für einige Zeit jedenfalls, praktisch alles zu finanzieren, was von
Weizsäcker gutgeheißen würde. Und Weizsäcker selbst war bereit – teils aus
Unfähigkeit, die Dinge in die Hand zu nehmen, teils aus liberaler
Experimentierfreude – praktisch alles, was sein enthusiastisches Gefolge da
aushecken würde, auch zu decken.
Charakteristisch für die
Atmosphäre, in der in diesen Sitzungen diskutiert wurde, war mir vor allem ein
Vorschlag von Utz Reich, der sich gar nicht auf die wissenschaftlichen Inhalte
bezog: Man solle doch alle Gehälter in einen großen Topf werfen und dann
gleichmäßig an alle Mitarbeiter neu verteilen, differenziert höchstens nach
Bedarf z.B. entsprechend der Zahl der Kinder oder der sonst unterstützten
Personen. Reich hat diesen Vorschlag wohl durchaus ernst gemeint; jedenfalls
hat Weizsäcker ihn ernst genommen und in einer längeren Rede dargelegt, warum
er sich wohl kaum an einer solchen Teilung beteiligen könnte, zumal er wohl der
hauptsächliche Zahler bei diesem Projekt wäre. Es war aber unabhängig davon
sofort klar, daß so weit die Freundschaft auf gar keinen Fall gehen würde. Es
wurden zwar sehr eifrig Fragen des Zusammenwirkens erörtert: neben den
Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit an den Projekten auch
Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Mitbeteiligung aller an der Wissenschaft
oder wenigstens an der Verwaltung des Instituts. Aber das geschah doch alles in
der für ein wissenschaftliches Institut wohl allein möglichen spielerischen
Weise, bei der von vornherein klar ist, daß das Privatleben im weitesten Sinn
die Sache des einzelnen Wissenschaftlers bleibt – abgesehen natürlich von
freundschaftlichen Kontakten auch unter den Mitarbeitern des Instituts –, und
daß das Zusammenwirken sich auf die theoretische Erörterung im Institut
beschränken mußte. Außerdem zeigten sich sehr schnell die praktisch
unüberwindlichen Probleme der interdisziplinären Forschung; doch davon wird
später die Rede sein müssen.
Die Konsequenzen dieser
anregend-chaotischen Diskussionen machten sich bei der Planung der künftigen
Wissenschaft nicht sofort konkret bemerkbar, dagegen wurden sie sofort sichtbar
bei der Verwaltung des Instituts. Es fing damit an, daß gemäß den Partizipations-Idealen
der 68er bei der Institutsverwaltung jeder für alles zuständig sein sollte. Die
Mitarbeiter der Bibliothek, die Sekretärinnen und übrigen
nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter zogen sich sehr bald aus den entsprechenden
Plenumssitzungen zurück, da ohnehin nur die Wissenschaftler redeten, während
die übrigen wohl mit nüchternerem Realitätssinn sahen, daß das zu nichts führen
konnte. – Selbst die eifrigsten Theoretiker der Partizipation sahen dann recht
bald, daß so selbst ein Institut, das eigentlich ganz anders sein sollte als
alle bisherigen, nicht zu verwalten war. In vielen Diskussionen, die selbst
nicht weniger mühsam waren als die Diskussionen über das wissenschaftliche
Programm, schälte sich im Laufe der Zeit dann eine Institutssatzung heraus, die
immer noch viele Elemente der Mitbestimmung enthielt, aber im übrigen dann doch
ein solides Stück Organisationsarbeit zeigte. Bis es soweit war, vergingen
allerdings mehrere Jahre, und man kann an dieser Entwicklung den Weg von einer
allgemeinen Anarchie zu einem gesetzlichen Zustand verfolgen, wie er als Modell
auch in philosophischen Geschichtsentwürfen vorkommt.
Die Anarchie dieser
Institutsarbeit hat durchaus auch praktische Probleme mit sich gebracht, z.B.
bei der Arbeitszeit: Zu schöpferischer wissenschaftlicher Arbeit im Sinne der
Forderung der 68er gehörte natürlich auch die freie Wahl von Ort und Zeit für
die Arbeit. Es haben einige zu Hause gearbeitet, andere auch im Institut, aber
davon einige wieder vorwiegend
Die kleine Szene scheint mir
ganz charakteristisch für die fröhliche Unbefangenheit und zugleich höchst
gefährliche Naivität, mit der diese junge Mannschaft an das Geschäft der
Weltveränderung heranging.
Abteilung Habermas
Schon bei der Gründung des Instituts war von den
verschiedensten Seiten die Notwendigkeit einer Ergänzung durch zusätzlichen
Sachverstand empfunden worden, insbesondere aus den Gebieten der Ökonomie und
Soziologie. Ein Soziologe, der geeignet schien und evtl. auch verfügbar sein
würde, war Albrecht Wellmer, damals noch Assistent bei Habermas. Auf einer
Rundreise zur Erkundung dieser und ähnlicher Möglichkeiten kam Meyer-Abich ins
Gespräch mit Habermas, der seinen Wunsch betonte, weiter mit Wellmer
zusammenzuarbeiten. Dadurch kam es zu dem Gedanken: „Wenn schon Wellmer, warum
nicht gleich Habermas?“. Habermas, daraufhin befragt, willigte
überraschenderweise ein – nach unserem Eindruck vor allem deshalb, weil er den
ewigen Streit mit seinen linken Studenten in Frankfurt leid war und eine Zeit
lang in Ruhe arbeiten wollte. Da er nur als gleichrangiger Direktor neben
Weizsäcker eingestellt werden konnte, wurde ihm auch dieselbe Arbeitsmöglichkeit
zugestanden, mit derselben Anzahl von Stellen wie Weizsäcker, d.h. unter
anderem 15 Wissenschaftler.
Habermas begann seine Arbeit am
Institut mit seinen Mitarbeitern am
Weizsäcker hatte praktisch nur
nach „linken“ Soziologen gesucht, da ihm das – sicher mit Recht – der einzige
Typ von Soziologen schien, der von seinen bisherigen Mitarbeitern akzeptiert
werden würde. Daß Habermas außerdem Philosoph war, erwies sich als ein
einzigartiger Glücksfall für die Zusammenarbeit im Institut, auch wenn sie
anders und wesentlich spärlicher zustande kam als erhofft.
Erst als Habermas schon da war
und intensivere Gespräche über das Arbeitsprogramm begannen, stellte sich
heraus, daß die beiden Gruppen am Institut über die Ziele und Arbeitsweise des
Instituts vollkommen gegensätzliche Ansichten hatten: Weizsäcker war mit seiner
Gruppe angetreten, um endlich mit der Hilfe von wissenschaftlichem Sachverstand
die großen in der Politik relevanten praktischen Probleme unserer modernen Welt
anzugehen. Wir interpretierten unseren Schritt von der Universität in das
Institut fundamental als einen Schritt von der Theorie zur Praxis. Habermas
dagegen hatte seine Lehrtätigkeit an der Universität mit den ständigen
Auseinandersetzungen mit den Studenten als irritierend praxisnah empfunden und
wollte nun an dem Institut endlich in Ruhe an den großen Theorien arbeiten.
Seine Mitarbeiter hatten den Eindruck gewonnen, daß ihre politische Aktivität
keinen befriedigenden Erfolg gebracht hatte, und wollten ihre politische Effektivität dadurch
verbessern, daß sie in dem Max-Planck-Institut nun ein „Theoriedefizit“
ausgleichen würden. – Auf diesen fundamentalen Auffassungsunterschied läßt sich
sicher ein großer Teil der Konflikte, die teils heilsam, teils auch nur
ermüdend waren, zurückführen.
Habermas merkte natürlich
sofort, daß die Juristen, Philosophen und Physiker um Weizsäcker bei den
gesellschaftswissenschaftlichen Themen, denen sie sich im Institut zuwandten,
nur dilettieren konnten, und verabscheute das Unhandwerkliche ihrer Arbeitsweise.
Als – schon einige Jahre später – von einigen Wohlmeinenden die „Beförderung“
einer Sekretärin auf eine Bibliotheksstelle vorgeschlagen wurde, entfuhr
Habermas der Stoßseufzer: „Nun laßt doch wenigstens einen Menschen
einmal das arbeiten, was er gelernt hat!“.
Anders als die einen eher
lässigen Schreib- und Arbeitsstil gewohnten Physiker und Mathematiker hielt
Habermas viel von handwerklicher Sorgfalt beim Schreiben. Ein
Naturwissenschaftler kann es sich erlauben, im Stil und Aufbau seines Textes
eher schlampig zu sein, weil die Formeln, an denen er sich festhalten kann, die
Exaktheit des Arguments gewährleisten. Ein Soziologe, zumal wenn er eher
geisteswissenschaftlich arbeitet und außerdem eine sehr umstrittene – eben die
marxistische – Richtung vertritt, hat allen Anlaß, auf die handwerkliche
Sorgfalt bei der Textgestaltung, bei der Recherche und bei den Anmerkungen
größten Wert zu legen. Habermas wurde so zum wachen Gewissen des ganzen Instituts,
was die Sorgfalt der wissenschaftlichen Arbeit angeht.
Die Habermas-Gruppe („die
Habermäuse“) brachten den fertigen Plan dreier Arbeitsbereiche mit, die später
mit den folgenden Stichworten charakterisiert wurden: 1. „Krisenpotentiale
spätkapitalistischer Gesellschaften“ – eine vorwiegend ökonomische Untersuchung,
die zeigen sollte, daß die kapitalistische Wirtschaft auf Krisen zusteuert, die
sie nicht bewältigen kann; die Gruppe sagte mit als erste die steigende
Arbeitslosigkeit voraus, unter der wir bis heute leiden. 2. „Krisenbehandlung
durch den Staat“ – mit der Erwartung, daß die Studie ergeben würde, daß der
Staat die kapitalistischen Krisen nicht würde beherrschen können. Und 3. „Protest-
und Rückzugspotentiale von Jugendlichen“ – eine psychologische und sozialpsychologische
empirische Studie über Jugendliche mit der Untersuchung von moralischen
Motivationen, im Gefolge vor allem von Lawrence
Kohlberg. An dieser Studie von Rainer
Döbert und Gertrud Nunner-Winkler war das „Design“ interessant, nicht auf
leicht formalisierbare Fragebögen zum Ankreuzen zurückzugreifen, sondern sehr
wenig formalisierte längere Interviews nachträglich auszuwerten. – Ich war an
diesen Projektarbeiten nur sehr entfernt beteiligt, es hat daher wenig Sinn,
daß ich mich inhaltlich weiter dazu äußere. Daneben gab es aber, wenn auch nur
selten und kurzfristig, philosophische Kolloquien, die für mich viel von dem
Frust der übrigen Institutsarbeit kompensierten. Hier wurde vielleicht der
interdisziplinäre Ansatz des Instituts am fruchtbarsten, wo es sich im Prinzip
um Diskussionen innerhalb einer Disziplin handelte, aber zwischen Richtungen,
die so verschieden waren, daß sie im normalen Wissenschaftsbetrieb auch der
Philosophie wohl kaum in so intensive Diskussionen geraten wären. Weizsäcker,
im Grunde seines Herzens Naturwissenschaftler, aber umfassend orientiert in der
Philosophiegeschichte und der geistigen Tradition, mit Erfahrung und einem
gewissen Ehrgeiz in Diplomatie und Politik; Habermas auf der anderen Seite, vor
allem moralisch orientierter Marxist, im Grunde seines Herzens Philosoph in der
Tradition des deutschen Idealismus, Soziologe der Frankfurter Schule und die
Politik vor allem theoretisch betrachtend. Beide gingen mit großem Respekt
füreinander auf die jeweils andere, sehr fremde Position ein und versuchten auf
das Intensivste, sich jeweils in eigenen Worten die Position des Anderen klar
zu machen, unterstützt von Mitarbeitern, die überwiegend ein wenig auch in der
anderen Denkweise beheimatet waren.
Abgesehen von diesen intensiven
und auch sehr fruchtbaren Verständigungsbemühungen war es doch offensichtlich,
wie gegensätzlich Habermas’ und Weizsäckers Temperament war. Soziologen aus der
Umgebung von Habermas charakterisierten den Unterschied so, daß Habermas eben
eher ein Kleinbürger sei – peinlich auf die Beachtung der Regeln bedacht, eher
ängstlich gegenüber der Verwaltung; während Weizsäcker im Gegensatz dazu eher
ein Großbürger sei – souverän und diplomatisch gegenüber den Verwaltungsbeamten,
sie mit seiner Verachtung fürs Detail oft auch vor den Kopf stoßend. Für den
Umgang der beiden Direktoren miteinander prägte ein Biologe aus der
Weizsäcker-Umgebung das Bonmot, sie seien eben wie zwei Alpha-Männchen in einer
Affenhorde, zwischen denen es keine Über- und Unterordnung gäbe. Sehr liebevoll
charakterisiert Weizsäcker in seinem Bericht über das Institut[9] das wissenschaftliche Über-Ich
und das moralische Herz von Habermas.
Habermas machte das
gleichgültig-liberale Gewährenlassen Weizsäckers bei der Mitbestimmung nicht in
dem selben Maß mit und zwang so die Mitarbeiter zur Formulierung einer Satzung,
die formal einigermaßen durchgearbeitet war und schließlich auch von der
Max-Planck-Gesellschaft akzeptiert wurde: davon wird später noch zu berichten
sein.
Projekte der Weizsäcker-Abteilung
Die bei der Gründung des Instituts mitgebrachten
Arbeiten, die oben aufgezählt sind, waren sehr bald abgeschlossen. Die Mitarbeiter
(Afheldt, Reich, Sonntag) der „K&K“-Studie waren zunächst erschöpft und
sahen sich nicht in der Lage, gleich an den entsetzlichen Themen der
Kriegsfolgen weiterzuarbeiten. Nach einiger Zeit gab es daher unter den
Weizsäcker zugeordneten Mitarbeitern folgende Projekte:
1. Umwelt und Wachstum
(Meyer-Abich, Afheldt, Reich, Sonntag, Bonhoeffer; teilweise Drieschner).
Zunächst hatten sich Meyer-Abich
und Reich mit „Friedensforschung“ beschäftigt, konnten sich da aber auf kein
gemeinsames Programm einigen. In der Anfangsphase wurde außerdem ein Projekt „Urbanistik“
diskutiert, das auch die damals im Bewußtsein der Öffentlichkeit brennenden
Umweltprobleme angehen sollte, speziell in den Fragen der Stadtplanung und
Stadtentwicklung, mit vor allem durch den Autoverkehr verursachten Problemen.
Bei detaillierterer Diskussion stellte sich allerdings sehr schnell heraus, daß
man dafür ein empirisch arbeitendes Institut brauchen würde, mit sehr
verzweigten Untersuchungsgebieten, und daß ein solches Projekt den Rahmen der
für unser Institut möglichen Arbeiten sehr bald sprengen würde. Das
Umweltprojekt war dann vor allem ökonomisch orientiert. Zur eigenen
Weiterbildung lasen wir gemeinsam zunächst das Lehrbuch von Samuelson, dann
Marx' „Kapital“ – wir haben uns tatsächlich, mit vielen Diskussionen und gegenseitiger
Unterstützung, durch alle drei Bände durchgebissen. – Zu Beginn der
Projektarbeit stand Afheldts These, daß das angebliche Wachstum des
Bruttosozialprodukts eigentlich eine Täuschung sei; denn diese Zahl würde die
gesamten Aufwendungen messen, die im Wirtschaftsprozeß gemacht würden, und
enthielte daher auch alle Aufwendungen, die zur Beseitigung von Schäden
notwendig seien – also etwa Aufwendungen für Verkehrsopfer, für
Gesundheitsdienst bei Krankheiten, die durch Schadstoffe oder Lärm verursacht
seien, Umbau von Städten in „autogerechte“, was eigentlich eine
Verschlechterung sei. – Die Gruppe hat später selbst gemeint, daß diese These
sich mit Zahlen nicht belegen ließe (eine Selbsterkenntnis, die Weizsäcker zu
großer Bewunderung nötigte).
Meyer-Abich bekam sehr bald
einen Ruf in den Gründungssenat der Universität Essen. Er ist mit seinen
Arbeiten – Publikationen, Organisation und Regierungsberatung, zeitweise sogar
verantwortlicher Tätigkeit in der Politik – den ursprünglichen Intentionen des
Umweltprojekts am nächsten geblieben. Afheldt wandte sich wieder seinem
ursprünglichen Arbeitsgebiet Strategie und Außenpolitik zu, Bonhoeffer übernahm
andere Aufgaben im Institut. So waren es vor allem Reich und Sonntag, – später
kamen Hans Werner Holub und Verena Melin dazu –, die dann gemeinsam in
Fortsetzung dieses Projekts eine „Arbeits- und Konsumrechnung“ entwickelten,
die den Wohlstand besser messen sollte als die bisher übliche volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung. Die übliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, mit dem
Ergebnis einer einzigen Zahl für das Bruttosozialprodukt, mißt vor allem den
Erfolg der Unternehmen. Die Staatstätigkeit wird nur nebenbei, die Tätigkeit
der privaten Haushalte gar nicht berücksichtigt. Die von der Arbeitsgruppe
vorgeschlagene Arbeits- und Konsumrechnung sollte dagegen den Fortschritt des
Wohlstands im privaten Haushalt, mit seiner Erhaltung und Verbesserung der
Arbeitskraft messen.[10] – Der Blick dieser Gruppe auf die
volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, der damals sehr exotisch wirkte, ist heute
ein ganz etablierter Teil der volkswirtschaftlichen Forschung.
2. Entwicklung und
Unterentwicklung (Kreye, Heinrichs, Fröbel). Diese Gruppe hatte sich schon
in der Forschungsstelle der VDW mit der „Welternährungskrise“[11] beschäftigt. Die Gruppe hat
diese Arbeit relativ konsequent und eher unabhängig vom übrigen Institut
weiterverfolgt. Sie vertrat unter anderem die These, daß die
„Entwicklungsländer“ am besten dran wären, wenn sie vom Weltmarkt getrennt ihre
Entwicklung allein betreiben könnten – fasziniert, wie zu dieser Zeit sehr
viele, vom chinesischen Modell.[12] Insbesondere vertraten sie die
These, daß sich zwischen den Industrieländern und Entwicklungsländern das Verhältnis wiederhole,
das zu Beginn des Kapitalismus zwischen Kapitalisten und Proletariat bestanden
hat; die internationale Arbeitsteilung bedeute eine Ausbeutung der
proletarisierten unterentwickelten Länder durch die Industrieländer.
Faktisch bestand die Arbeit der
Gruppe vor allem darin, Berichte über einzelne Unternehmen zu sammeln und
auszuwerten, die in unterentwickelten
Ländern produzierten, vor allem in freien
Produktionszonen in Asien. Die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse, untermauert
mit viel Faktenmaterial,[13] hat auch in der Fachwelt große Anerkennung gefunden – auch wenn die
Fachleute mit den strukturellen Thesen der Gruppe nicht übereinstimmten.
Die Gruppe hat sehr stark mit
Gewerkschaftsstellen zusammengearbeitet, auch mit der ILO in Genf.
Nach der Schließung des Instituts ist die Arbeit der Gruppe noch fünf Jahre lang
von der Max-Planck-Gesellschaft weiterfinanziert worden, danach hielt die
Gruppe sich mit Auftragsarbeiten und Spenden über Wasser. Sie bildete damit für
30 Jahre ein stabiles Team – eine Lebensdauer, die selbst bei staatlicher
Finanzierung ungewöhnlich wäre. So betrachtet, ist für diese Gruppe die Zeit im
Max-Planck-Institut nur eine Durchgangsphase gewesen.
3. Alternativen in der
Wissenschaft – Aus der Gruppe, die Weizsäcker wissenschaftspolitisch
beraten sollte (Böhme, van den Daele, Krohn; später Rainer Hohlfeld, Wolf
Schäfer, Tilman Spengler), ist sehr bald eine eigenständige Forschungsgruppe
geworden. Der Impetus der Gruppe kam, nach dem Vorbild von Edgar Zilsel und
Thomas S. Kuhn,[14] aus dem Versuch, Wissenschaftsgeschichte
nicht als eine Siegergeschichte der Theorien, die sich schließlich durchgesetzt
haben, zu schreiben, sondern unter einem soziologischen oder
sozialpsychologischen Gesichtspunkt als die Geschichte widerstreitender Ideen,
Schulbildungen und Machtkämpfe, deren Gang nicht so sehr aus dem Inhalt der
Theorien wie aus dem sozialen Gefüge verständlich wird, in dem die Theoretiker
leben. Außerdem erregte die Gruppe Aufsehen durch die aus ihren Untersuchungen
entwickelte These von der „Finalisierung der Wissenschaft“, die These nämlich,
daß die Wissenschaft zunehmend gesellschaftlich gesteuert würde und nicht aus
innerer Notwendigkeit, und entsprechend von den Interessen gesellschaftlicher
Gruppen außerhalb der Wissenschaft bestimmt sei. Diese relativ stark
formulierte These trug der Gruppe den wütenden Protest vieler Kollegen ein,
aber auch entsprechenden Ruhm in der Zunft. In München fand eigens ein Kongreß
zu diesem Thema statt – was ja in der Welt der Wissenschaft schließlich das
Normale ist; nicht normal war allerdings, daß zu diesem Kongreß Befürworter der
Theorie überhaupt nicht eingeladen wurden, nicht einmal Mitglieder der
Starnberger Gruppe, die die These von der Finalisierung der Wissenschaft
aufgebracht hatte.
Den Ertrag ihrer Arbeit
veröffentlichte die Gruppe im ersten Band einer Reihe „Starnberger Studien“[15], die durch Habermas'
Vermittlung im Rahmen der Edition Suhrkamp zustande gekommen war, und die in
drei weiteren Bänden die Forschungserträge anderer Gruppen veröffentlichte.
Einen Teil ihrer wissenschaftshistorischen Studien hatten Böhme, van den Daele
und Krohn schon ein Jahr vorher unter dem Titel „Experimentelle Philosophie“[16] publiziert.
Weizsäcker persönlich ist sehr wohl als
wissenschaftlicher Berater der Bundesregierung aktiv geworden. Er war von 1969
bis 1974 Vorsitzender des Verwaltungsrats des Deutschen Entwicklungsdienstes,
1974-1977 Vorsitzender des „Beratenden Ausschusses für Forschung und
Technologie“ (BAFT) unter dem Minister Matthöfer, und in der Debatte über die
Kernenergie 1979 Vorsitzender des „Gorleben-Hearings“ über die Endlagerung von
„Atommüll“. Unmittelbare Hilfe hatte er beim BAFT seit 1974 vor allem von Klaus
Gottstein, der von seinem Amt als Wissenschaftsattaché an der deutschen
Botschaft in Washington an das MPI überwechselte.
4. Strategie und Außenpolitik
– Afheldt wandte sich doch sehr bald wieder seinem eigentlichen Arbeitsgebiet
zu, der Verteidigungspolitik; auch Sonntag schwenkte nach einiger Zeit wieder
auf dieses Thema ein, allerdings sehr bald nicht mehr im Rahmen des Instituts.
Für Afheldt war die Zusammenarbeit mit Militärs von entscheidender Bedeutung,
vor allem mit Leuten, die von der offiziellen Linie abweichende strategische
Auffassungen vertraten. Insbesondere entwickelte Afheldt aus der gemeinsamen
Betrachtung von Strategie und Außenpolitik eine Linie, die später „defensive
Verteidigung“ genannt wurde – eigentlich ein Pleonasmus, der aber wohl
notwendig wurde, weil der Begriff „Verteidigung“ schönfärberisch für alles
verwendet wurde, was mit militärischer Gewalt zu tun hatte, etwa
„Vorwärts-Verteidigung“ als neues Wort für Angriff.
Afheldts Grundüberlegung war
folgende: Das Wettrüsten entsteht in der heutigen Situation nicht dadurch, daß
primär eine Macht das Gebiet der anderen erobern will und daher stärker sein
muß als die andere, sondern daraus, daß beide Mächte befürchten, sie könnten
schwächer sein als der andere und deshalb einem Angriff des Gegners nichts
entgegenzusetzen haben. Da auch bei noch so guter Spionage niemals die Stärke
des Gegners in allen Details bekannt ist, und da jeder sich auch schon wegen
der Ungewißheit der möglichen Kriegsverläufe eine gewisse Sicherheitsmarge
verschaffen will, scheint das Wettrüsten unvermeidlich. Solche Überlegungen
waren schon maßgebend für die „K&K“-Studie[17]. Die Modellrechnungen dieser
Studie hatten immer auch psychologische Momente berücksichtigt: Wie würde wohl
der Gegner auf diese oder jene eigene Aktion reagieren, welche eigenen Aktionen
könnten, unter Berücksichtigung der psychologischen Situation des Gegners, den Krieg
wahrscheinlicher oder weniger wahrscheinlich machen, ihn eskalieren oder
de-eskalieren. Dieses psychologische Argument ist ja schon strukturell mit dem
Begriff der Abschreckung verbunden.
Nach Afheldts Überlegungen müßte
das Wettrüsten aber nicht sein, wenn es Arten der Rüstung gibt, die sich nach
ihrer Struktur prinzipiell nicht zum Angriff eignen, wohl aber zur
Verteidigung. Wenn mein Gegner deutlich sichtbar zwar zur Verteidigung des
eigenen Territoriums in der Lage ist, aber nach der Struktur seiner Rüstung
überhaupt nicht imstande wäre, auf mein Territorium vorzudringen, dann entfällt
wenigstens teilweise die Notwendigkeit großer Verteidigungsanstrengungen. Eine
ungewöhnlich starke Rüstung, die sich auch für den Angriff eignen würde, wäre
dagegen sichtbar auf die Eroberung des gegnerischen Gebiets gezielt, und würde
dementsprechend auch in der öffentlichen Meinung verurteilt werden. – Eine
Rüstung, die sich nur für die Defensive, nicht aber für den Angriff eignet, ist
mit der Bezeichnung „defensive Verteidigung“ gemeint.
Der Vorschlag für eine derartige
Strategie läßt sich politisch nur dadurch stark machen, daß man einigermaßen
konkret durchdiskutiert, wie eine solche Verteidigungsanstrengung aussehen
kann. Afheldt war dazu auf die Mithilfe von Militärexperten angewiesen. Er fand
dafür zunächst zwei Mitstreiter im Ausland, nämlich den französischen
Militärtheoretiker Guy Brossollet und den Armeekommandanten des
österreichischen Bundesheeres General Emil Spannocchi, die beide ähnliche
Vorschläge vertraten. Aus der Zusammenarbeit dieser beiden mit Afheldt und
Weizsäcker ist ein Bücher-Trio entstanden, das im Jahre 1976 im Hanser Verlag erschien.[18]
Gleichzeitig stand Afheldt in
ständigem Diskussionkontakt mit aktiven und vor allem nicht mehr aktiven
Militärs der Bundeswehr. Einige Zeit war auch Alfred Mechtersheimer als Gast
ständig am Institut, der gerade wegen seiner von der offiziellen Linie abweichenden
Vorstellungen seine militärische Karriere aufgegeben hatte und aus der
Bundeswehr ausgeschieden war – später gründete er ein eigenes Institut und
wurde bekannt als Bundestagsabgeordneter der Grünen. Afheldt gründete dann eine
neue Arbeitsgruppe, die auch nach der Schließung des Max-Planck-Instituts in
Zusammenarbeit mit Weizsäcker sehr aktiv war, bis zu Afheldts Pensionierung im
Jahre 1989.
Weizsäcker meinte gelegentlich,
daß die Arbeit auf dem Gebiet von Strategie und Außenpolitik wohl die
wichtigste Leistung des Instituts gewesen sei. Das mag mit daran liegen, daß
Weizsäcker stets die Probleme im Gefolge der Kernwaffen als die gefährlichsten
und entscheidenden angesehen hat, es lag aber sicher auch daran, daß Afheldt in
jahrzehntelanger Arbeit einer der wenigen wirklichen Experten auf dem Gebiet
geworden war und gleichzeitig in seiner unkonventionellen und kreativen
Denkweise, gerade in der Zusammenarbeit mit Weizsäcker, neue und wirklich
überzeugende Gedanken entwickelte, an denen auch Militärfachleute der ganzen
westlichen Welt nicht einfach vorbei konnten.
Wohl auch für Afheldt, vor allem
aber für Weizsäcker waren diese strategisch-politischen Überlegungen ein
Gegenstand ungeheurer Frustrationen und schließlich von Verzweiflung, wie Weizsäcker es
gelegentlich auch in seinen Publikationen schildert.[19] Weizsäcker empfand, daß er die Gefahren für die Weiterexistenz der
Menschheit besonders deutlich sah, daß er auch – als einer derjenigen, die an
der Entwicklung der Theorie entscheidend beteiligt waren – eine besondere
Verantwortung dafür hatte, daß es ihm aber trotz ungeheurer Anstrengungen nicht
gelang, andere ausreichend von der Notwendigkeit zu handeln zu überzeugen.
Darin lag sicher ein Hauptmotiv für die Gründung des Instituts, er schrieb und
redete unablässig unter diesem Druck, schließlich baute er fast demonstrativ in
seinem Garten am Haus einen auch für einen Atomkrieg in gewissem Maß tauglichen
Bunker – für sich und seine Familie, wie er sagte. Ab 1985 hat er sich dann
beinahe hauptberuflich für das geplante „Friedenskonzil“ engagiert, als
Wanderprediger in Sachen Frieden, wie er es gelegentlich scherzhaft bezeichnete.
– Ich habe diese Tätigkeit als den Griff des in der Verzweiflung Ertrinkenden
nach dem Strohhalm empfunden.
Die Situation hat sich nach 1989
entscheidend gewandelt. Die Konfrontation der beiden großen Machtblöcke gibt
es nicht mehr, mit ihr ist aber auch die
Berechenbarkeit und damit die Nützlichkeit strategisch ausgeklügelter Modelle
verschwunden. Es ist sehr fraglich, ob die Situation, daß sich Atomwaffen in
der Hand vieler Räuberbanden befinden, hoffnungsvoller ist als die Konfrontation,
die bis 1989 bestand.
Eher am Rande der Tätigkeit dieser Gruppe war
die Arbeit von Michail Voslensky angesiedelt: Er kam zunächst als Gastwissenschaftler
mit offiziellem Auftrag der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion. Daß er
in dieser Rolle am Institut war, hatte zur Folge, daß in regelmäßigen Abständen
Schreiben der Bundesregierung eintrafen, die vor dem Spion Voslensky warnten.
Wir kannten uns inzwischen so gut, daß wir ihn direkt auf diese Frage
ansprechen konnten. Er sagte, daß er natürlich, wie jeder andere Sowjetbürger
im Ausland, „Berichte“ schriebe; er habe schließlich noch eine Tante in Rußland,
die keine Schwierigkeiten bekommen sollte. - Unser amerikanischer Kollege am
Institut, Hans Zucker, meinte dazu, wir sollten uns doch glücklich schätzen,
daß auf diese Weise wenigstens in Moskau unsere Erzeugnisse gründlich gelesen
würden!
Voslensky hat sehr bald eine heftige Liebe zur
Politik der CSU entdeckt. Frucht seines mehrjährigen Aufenthalts am Institut
war sein Buch „Nomenklatura“[20] über die Herrschende
Klasse in der Sowjetunion, das ein Welterfolg wurde. In die Sowjetunion konnte
er nicht mehr zurück, aber die deutsche Staatsangehörigkeit konnte er auch
nicht so leicht erwerben. Auf Bruno Kreiskys Fürsprache bekam er dann die
österreichische Staatsangehörigkeit.
Physik und Philosophie
Weizsäckers Herzensanliegen ist schon seit den 50er
Jahren die Weiterentwicklung seiner Gedanken zu einer fundamentalen Physik. Die
„Physikergruppe“ (Castell, Drieschner, Drühl; später Görnitz, einige Diplomanden
und Doktoranden von Castell) führte im Institut ein relativ isoliertes Leben,
was wohl schon inhaltlich wegen der mathematischen Vertracktheit unvermeidlich
war, was sich aber auch noch in der räumlichen Trennung vom übrigen Institut
niederschlug. Ich selber habe mich relativ intensiv außerhalb der Physiker-Arbeit
am Leben des Instituts beteiligt, zeitweise in der Umweltgruppe, eine Zeit lang
als persönlicher Referent von Weizsäcker und einige Zeit als Mitglied des
Institutsrats. Castell hat sich vor allem in der letzten Zeit des Instituts im
Betriebsrat engagiert.
Die Arbeit an den Grundlagen der
Physik zu schildern, ist hier nicht der Ort. An sich war die Physikergruppe ja
als Teil des philosophischen „Kerns“ des Instituts gedacht, der vor allem für
die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Institut verantwortlich sein sollte.
Außer der Physikergruppe gehörten zu den Philosophen einige Einzelarbeiter, die
an größeren Werken saßen, eine Zeit lang war Ernst Tugendhat in der Abteilung
Habermas Mitarbeiter des Instituts. Die schon erwähnten philosophischen
Kolloquien waren eine außerordentlich interessante Dreingabe zur praktischen
Arbeit im Institut, Weizsäcker hat von der persönlichen Zusammenarbeit mit den
einzelnen philosophisch tätigen und interessierten Mitarbeitern sicher auch
noch am meisten profitiert. Die Rolle als philosophischer Katalysator und
Koordinator der Institutsarbeit hat diese Gruppe, die nicht einmal
untereinander als Gruppe zusammengearbeitet hat, nicht erfüllen können.
Wahrscheinlich liegt das daran, daß sich die Philosophie – und dementsprechend
auch die Philosophen – noch weniger als andere zur interdisziplinären Zusammenarbeit eignet.
Interdisziplinarität
Die Projekte am Institut waren so angelegt, daß
praktische Probleme im Zusammenwirken verschiedener Wissenschaften bearbeitet
werden sollten. Für den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Projekten
sollte dann vor allem die philosophische „Kern“-Gruppe sorgen. Für beides war
interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt, wie sie auch sonst sehr viel propagiert
aber sehr selten ausgeübt wird.
Wie ungeheuer schwierig eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, ist mir erst bei diesen Versuchen konkret
klar geworden. Selbst eng benachbarte Wissenschaften verwenden ja, wie die
Analysen der Theorie-Reduktion in der Wissenschaftstheorie der letzten
Jahrzehnte deutlich gezeigt hat, eine je ganz eigene Begrifflichkeit und dementsprechend
verschiedene Sprachen, zwischen denen eine Übersetzung nicht ohne weiteres
möglich ist. Erst recht gilt das natürlich für weiter entfernte Wissenschaften,
wie z.B. zwischen Physik und Ökonomie oder gar zwischen einer Naturwissenschaft
und einer der traditionellen Geisteswissenschaften. Interessanterweise werden
dabei die Verständigungsschwierigkeiten gar nicht auf Anhieb klar, denn oft
verwenden beide Seiten dieselben Worte und merken erst nach längerer
Diskussion, daß sie mit demselben Wort ganz verschiedene Dinge bezeichnen.
Wenn also Fachleute
verschiedener Disziplinen ernsthaft miteinander arbeiten wollen, braucht das
von beiden Seiten eine ungeheure Anstrengung; es bedeutet, daß sich jeder auf
ein intensives Studium des anderen Faches für einige Zeit einlassen muß. Das
ist normalerweise im Alltagsbetrieb der Wissenschaft gar nicht möglich. Es wäre
vielleicht an dem neu gegründeten Institut in gewissem Maß möglich gewesen,
wenn alle Beteiligten bereit gewesen wären, sich unabhängig von weiteren Rücksichten
darauf einzulassen. Dazu waren aber die meisten weder Willens noch in der Lage,
denn es war abzusehen, daß vor allem die Jüngeren ihre Karriere woanders als gerade in diesem
Institut würden fortsetzen müssen, und daß sie dazu nur Chancen haben würden,
wenn sie sich auf dem Arbeitsgebiet ihrer „Zunft“ profilierten und nicht
allzuviel „Allotria“ trieben. So war zwar theoretisch eine interdisziplinäre
Arbeit denkbar, aber unter den konkreten Umständen doch faktisch unmöglich.
Nach der ersten Zeit der
intensiven Programmdiskussion, die durch ihren chaotischen Charakter ungeheuer
strapaziös war und schon deswegen nicht lange dauern konnte, etablierten sich
die einzelnen Arbeitsgruppen, die ich oben beschrieben habe. Je mehr sie sich
auf eine einheitliche Wissenschaft als Grundlage stützen konnten, desto
stabiler war der Gruppen-Zusammenhalt im Inneren und die Abschottung der Gruppe
nach Außen. Die Umweltgruppe, in der am ehesten interdisziplinäre Arbeit
gefordert gewesen wäre, hatte deswegen auch am wenigsten internen Zusammenhalt
und wirkliche Kooperation und am meisten Fluktuation der Mitarbeiter. Man muß
wohl resümieren, daß die interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht gelungen ist
oder doch jedenfalls sehr weit hinter dem Geplanten und Erwarteten zurückblieb.
Erweiterungspläne
Schon bei der Berufung von Habermas hatte die Max-Planck-Gesellschaft
die Erwartung ausgedrückt, daß noch ein dritter Direktor berufen würde, dessen
Arbeit mehr empirisch ausgerichtet sei. Weizsäcker und später auch Habermas
dachten vor allem an einen empirisch arbeitenden Ökonomen. Das Problem war dabei
natürlich von vornherein, daß ein Wissenschaftler mit empirischen Arbeiten
einen viel größeren Apparat brauchen würde, als dieses Institut ihm bieten
konnte. So hat Weizsäcker, nach Absagen
von Kissinger und Dahrendorf, weitere
bekannte große Leute auf diesem Gebiet gar
nicht erst nach einer Mitarbeit gefragt. Alle anderen Versuche, von Habermas und Weizsäcker als geeignet angesehene
Leute zu berufen, zerschlugen sich, und das ganze Berufungsprojekt wurde
schließlich dadurch beendet, daß sich in der Max-Planck-Gesellschaft die
Meinung durchsetzte, daß es für Weizsäcker keinen geeigneten Nachfolger geben
würde und daß man deswegen auch keinen dritten Direktor mehr für das Institut
würde berufen wollen.
Vielleicht wäre es bei einer
realistischen und zielstrebigen gemeinsamen Politik möglich gewesen, einen
ökonomischen Direktor zu bekommen und mit seiner Hilfe das Institut am Leben zu
erhalten. Aber auch dann wäre sicher die Weizsäckersche Abteilung aufgelöst
worden, so wie es ja faktisch geschehen ist, obwohl zunächst die Abteilung
Habermas weiterbestehen sollte. – Die einzige Mitwirkung eines etablierten
Ökonomen bestand darin, daß Winfried Vogt, der in Regensburg lehrte, extern die
Leitung des ökonomischen Projekts von Habermas übernahm.
Ein ähnliches Schicksal wie der
dritte Direktor erlitten die Neubaupläne für das Institut. Schon mit der
Ankunft von Habermas war das ursprünglich angemietete Gebäude in Starnberg zu
klein geworden, nach einigen Jahren war das Institut schließlich auf ein halbes
Dutzend Gebäude im Stadtgebiet von Starnberg verteilt und es lag nahe, einen
Neubau für die gemeinsame Unterbringung zu planen. Die Münchner
Rückversicherung, über ihren Vorstandsvorsitzenden Jannott eng mit der
Max-Planck-Gesellschaft verbunden, besaß eine große Wiese nicht weit vom
Bahnhof Starnberg. Darauf gab es zwar kein Baurecht, aber für ein
wissenschaftliches Institut würde sich das wohl schaffen lassen, zum Wohl und Ruhm der Stadt. Längere Zeit wurde intensiv geplant, in Zusammenarbeit mit
der Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft, und mit der Stadt über das
Baurecht verhandelt. Als die Pläne dann aber einigermaßen konkret dastanden,
wurde die Finanzierung „höheren Orts“ abgelehnt. Gerüchtweise
verlautete, daß die Münchner Rück
die Institutsarbeit inhaltlich nicht
billigte; es war auch die Rede davon, daß Franz-Josef Strauß sich dagegen
gewendet habe. - Die Münchner Rück hat ihre
Wiese anschließend an einen Bauträger verkauft, der eine Wohnsiedlung
daraufgestellt hat.
Mitbestimmung
Max-Planck-Institute werden, nach den Vorstellungen der
Max-Planck-Gesellschaft, um einen in seiner Wissenschaft erfahrenen verdienten
Direktor herum errichtet und dienen ihm als Arbeitsinstrument. Die Verfassung
eines Max-Planck-Instituts ist demgemäß die einer Monarchie, allenfalls
gelockert durch den liberalen Geist des Monarchen im Interesse einer gemeinsamen
Wahrheitssuche.
Unser Institut war politisch
weitgehend bestimmt von Ideen der 68er Jahre. Daraus folgte, daß unmöglich das
Institut im traditionellen Stil von einem Direktor oder den Direktoren
gemeinsam geleitet werden konnte, und die Mitarbeiter sich nach den Beschlüssen
dieser Direktoren zu richten haben würden. Weizsäcker war sich seiner
überragenden Stellung, auch was die Macht im Institut betrifft, sicher genug,
und auch seinem Temperament nach dazu geneigt, alle möglichen Mitbestimmungsexperimente
nicht nur selbst mitzumachen, sondern auch der Max-Planck-Gesellschaft
gegenüber zu vertreten und zu decken. Da wir, die jüngeren Mitarbeiter,
entschlossen waren, nicht nur die Wissenschaft sondern auch die Verwaltung der
Macht auf ganz neue Füße zu stellen, begann dieses Experiment damit, daß jeder
alles machte – wie oben schon geschildert. Es gehört zu den großen Erlebnissen
und Erfahrungen aus diesem Institut, daß wir wirklich einen sonst kaum
vorstellbaren Freiraum hatten, alles Mögliche – wenn auch spielerisch –
durchzuprobieren, so daß wir mit den Folgen unmittelbar konfrontiert wurden.
Nach einigen Wochen des
kompletten Chaos der Institutsleitung durch alle war es klar, daß einzelne
Leute für einzelne Aufgaben zuständig sein mußten. Dazu wurden die
verschiedensten Ämter erfunden und – selbstverständlich rotierend – besetzt;
aber auch das erwies sich als nicht praktikabel. Außerdem erschien es natürlich
wichtig, die errungenen Mitbestimmungskompetenzen auch formal festzuschreiben,
etwa in einer neuen Satzung für das Institut, die auch von den Gremien der
Max-Planck-Gesellschaft verabschiedet wäre und als Muster für andere Institute
dienen könnte. Für eine solche Institutssatzung war aber durch die Satzung der
Max-Planck-Gesellschaft ein Rahmen gezogen, wie er faktisch auch an unserem
Institut bestand: Die letzte Verantwortung hatten immer die Direktoren, denen
das Institut von der Max-Planck-Gesellschaft sozusagen anvertraut war.
In diesem Rahmen wurde nun eine
Institutssatzung entwickelt. Darin sollte zunächst das Plenum aller Mitarbeiter
die Befugnis zu Grundsatzentscheidungen haben. In der endgültigen Fassung blieb
aber das Plenum allenfalls als Verzierung übrig, Grundsatzentscheidungen über
das wissenschaftliche Programm wurden in der Wissenschaftlerkonferenz getroffen
– bei Vetorecht der Direktoren. Für das laufende Geschäft der Institutsleitung
war ein Institutsrat eingerichtet, bestehend aus den beiden Direktoren und zwei
gewählten Institutsmitarbeitern. Auch im Institutsrat hatten die Direktoren ein
Vetorecht, aber mit der Verpflichtung, ein eventuelles Veto ausdrücklich
auszusprechen und zu begründen.
Die Sitzungen der
Wissenschaftlerkonferenz waren, solange es etwas zu entscheiden gab,
langwierig, anstrengend und eher unangenehm – es wurde sichtlich hinter einer
Nebelwand aus scheinbar sachlichen Argumenten um Positionen und Finanzen
gekämpft. Als später die Gruppen einigermaßen etabliert waren und es klar
wurde, daß keiner dem anderen würde dreinreden können, wurden die einzelnen
Gruppenberichte zunehmend sachlich intensiv und auch interessant diskutiert.
Die Arbeit des Institutsrats
war, wohl auch wegen seiner Kleinheit, effektiv und vernünftig. Die
wöchentlichen Sitzungen entlasteten die Direktoren von der sonst üblichen
Verwaltungsarbeit und gaben die Möglichkeit, die laufenden Entscheidungen
kompetent vorzubereiten und ihre Ausführung zu kontrollieren. In meinen
Unterlagen aus der Zeit finden sich immer neue Ergänzungen zur Geschäftsordnung
oder Beschlüsse über Verfahrensweisen, die sich im Stil von ursprünglich eher
Manifesten eines Revolutionstribunals immer mehr ministeriellen Runderlassen
annähern. Verwaltung funktioniert so, und die Geschichte des Instituts gab eine
ausgezeichnete Gelegenheit, am Modell im Kleinen diese Entwicklung zu erfahren.
Einen Zug an dieser
Mitbestimmung haben wir damals nicht sehr stark wahrgenommen, er ist mir aber
später sehr bewußt geworden: das immer noch spielerische Element. Auch im Text
der Institutssatzung erscheint ja – wenn auch eher versteckt und durch die
Erfordernis eines begründeten Vetos formal erschwert – die letzte Verantwortung
der Direktoren. Die Satzung spiegelt hier eine Tatsache wider, die auch
faktisch die Entscheidungen sehr stark bestimmt hat: Das Institut war von
Anfang an, auch von den Befürwortern in der Max-Planck-Gesellschaft, als eine
Möglichkeit für Weizsäcker und später auch für Habermas gedacht, die Arbeiten
zu machen, die sie für richtig hielten. Dazu konnten sie auch Leute
beschäftigen, wie sie es für richtig hielten. Deren spezielle Eigenheiten hat
man dann teils wohlwollend, teils deutlich mißbilligend eben in Kauf genommen.
Alles, was Institutsmitarbeiter unternommen haben, sei es in den Fragen der
Mitbestimmung, sei es in der Wissenschaft, konnte nur unter dem großen Schirm
geschehen, den Weizsäcker und Habermas darüber aufspannten.
Diese Tatsache wurde in der
täglichen Arbeit eher beiseite geschoben und in den Äußerungen versteckt, aber
faktisch hat sie doch, wie man nachträglich sehen kann, die Arbeit sehr stark
geprägt. In allem, was wir machten und überlegten, gab es für die Verantwortung
noch ein letztes Auffangnetz, auch wenn es nur die Veto-Möglichkeit der
Direktoren war; voll verantwortlich war doch keiner der jüngeren Mitarbeiter.
Das ist nun freilich generell an staatlichen oder para-staatlichen Institutionen
so; das schlimmste, was dort passieren kann, ist eine Rüge vom Rechnungshof –
während jemand, der wirklich verantwortlich wirtschaftet, im schlimmsten Fall
dabei sein Vermögen verliert. – Aber in diesem Institut gab es doch noch vor dieser
allgemeinen Beschränkung der Verantwortlichkeit die sehr viel spürbarere durch
die Verantwortung der Direktoren. Da sich dies als Konstante während der ganzen
Zeit des Instituts durchhielt, war es von daher nur konsequent, daß das
Institut mit dem Weggang der Direktoren
wieder aufgelöst wurde.
Auflösung
Das Institut ist in verschiedener Hinsicht gescheitert.
Der sichtbarste Punkt ist der, daß es aufgelöst wurde, sobald die
Max-Planck-Gesellschaft die Möglichkeit dazu hatte. Der genauere Hergang war
so: Schon einige Jahre vor der Emeritierung Weizsäckers,
als sich kein dritter Direktor fand, stellte der Senat der Max-Planck-Gesellschaft
fest, daß ein geeigneter Nachfolger für Weizsäcker nicht mehr zu finden sein würde und daß deswegen die unter seiner Leitung stehende
Abteilung mit seiner Emeritierung aufgelöst werden würde.
In der Öffentlichkeit ist dieser
Beschluß so empfunden worden, daß die Max-Planck-Gesellschaft eine unbequeme
und politisch mißliebige Gruppe zum Schweigen bringen wollte. Das ist, soweit
die Gefühle der Senatoren beteiligt sind, sicher nicht ganz falsch: Den
Wissenschaftlern aus anderen Max-Planck-Instituten war schon die Arbeitsweise
des Starnberger Instituts höchst suspekt: keine nachprüfbaren Fakten, keine
Theorien, die irgendwie nachvollziehbar getestet werden konnten – eigentlich
war das in ihren Augen gar nicht wirklich Wissenschaft, was da getrieben wurde.
Dazu noch das befremdliche Benehmen dieser Nach-68er: schlampige Kleidung,
chaotische Planungen, unmögliches Auftreten. Daß dann auch noch die politischen
Ansichten aus dem Institut praktisch allen Senatoren der
Max-Planck-Gesellschaft höchst zuwider waren, ist nur noch das Tüpfelchen auf
dem i. Innerhalb des Instituts war Weizsäcker ja ein extrem Rechter, einziger
und typischer Vertreter des Establishments; in den Gremien der
Max-Planck-Gesellschaft hingegen wirkte er ausgesprochen links; ein bißchen
angesteckt war er natürlich auch von der zum Teil durchaus berechtigten
Systemkritik aus dem Institut – abgesehen von den ihm ganz natürlichen
Vorbehalten gegenüber allem Bestehenden.
Das Institut war also den
meisten, die über sein weiteres Schicksal zu entscheiden hatten, ganz verständlicherweise
unsympathisch, und sie werden über die Entscheidung froh gewesen sein.
Andererseits ist es auch aus anderen Gründen plausibel, daß die Entscheidung
eigentlich nicht anders fallen konnte:
Auf die Abhängigkeit des
Instituts von der Person Weizsäckers (jedenfalls seiner Abteilung) hatte ich
schon hingewiesen. Das liegt in der Struktur der Max-Planck-Institute
begründet, und wenn sich ein Institut außerdem noch auf einem so ausgefallenen
Feld bewegt wie das Starnberger, dann ist schon von daher die Fortsetzung der
Arbeiten unter einem neuen Direktor nicht zu erwarten.
Das Scheitern liegt aber tiefer,
und jeder der Mitarbeiter einschließlich Weizsäcker hat das Scheitern in einem
tieferen Sinn sehr stark empfunden. Die ursprünglich gestellte Aufgabe, nämlich
in interdisziplinärer Zusammenarbeit Lösungen für die großen durch die
Wissenschaft und Technik verursachten Probleme vorzuschlagen, und das im
Zusammenhang mit den großen philosophischen Fragen, diese Aufgabe ist nicht
erfüllt worden. Sie konnte wohl nicht erfüllt werden, weil so etwas einfach zu
schwer ist. Man wird also das Scheitern schon da ansetzen müssen, wo überhaupt
ein solcher Plan ernsthaft erwogen wurde bzw. wo er nicht ausdrücklich durch
einen anderen ersetzt wurde. Es ist bezeichnend, daß der Erfolg der Arbeit am
ehesten da lag, wo die Beteiligten ihre Ansprüche sehr bald auf ein viel
bescheideneres Programm zurückschraubten, etwa in der Gruppe „Entwicklung und
Unterentwicklung“, soweit ihr Ziel nur noch war, empirische Erhebungen über das
Faktum der internationalen Arbeitsteilung anzustellen, oder bei der Gruppe
„Alternative Wissenschaft“, die schließlich nicht mehr wollte, als einen
ordentlichen Beitrag zur laufenden wissenschaftshistorischen Diskussion zu
leisten.
Gescheitert ist aber auch in
gewisser Weise jeder einzelne Mitarbeiter, und dieses Scheiten bestimmt sehr
stark den Wert der Institutsjahre in jeder individuellen Biographie. Jeder
hatte nämlich durch das Institut die Möglichkeit, genau das zu machen, was er
für richtig hielt, mit den Mitteln, die er für notwendig hielt. Die
Möglichkeiten waren praktisch unbegrenzt: Jeder konnte reisen, Kongresse
besuchen, selber Kongresse veranstalten, Hilfspersonal beschäftigen, Literatur
beschaffen; die Arbeitsatmosphäre war angenehm und ruhig, Kontakte aller Art
innerhalb und außerhalb des Instituts wurden erleichtert – kein gigantischer
Apparat, aber doch so, daß keiner mehr die Möglichkeit hatte, seine mangelnde
Produktivität auf die Ungunst der Umstände zu schieben. Daß ich trotzdem nun
nichts wesentlich Besseres produzierte als vorher, daß nun trotzdem nicht ein
Geniestreich dem anderen folgte, das mußte erst einmal verkraftet werden. Das
hatte auch Weizsäcker beobachtet, daß keinem, der an dem Institut Wissenschaft
machte, eine tiefe persönliche Krise erspart blieb.
Die Erfahrungen in diesem
Institut waren andererseits für jeden Mitarbeiter zweifellos ungeheuer
wertvoll. Von mir jedenfalls kann ich sagen – und ich glaube, daß es auch den
anderen, die lang genug dort gearbeitet haben, ähnlich ergeht –, daß die Jahre
in diesem Institut mein weiteres Leben sehr stark geprägt haben, einerseits
durch die Erfahrung des Arbeitens unter optimalen Bedingungen, einschließlich
der damit verbundenen Krise, andererseits durch die Erkenntnis, sowohl
inhaltlich von der Institutsarbeit her wie auch unmittelbar im Institutsalltag,
daß die meisten Probleme rational, etwa mit Hilfe von Wissenschaft, gar nicht lösbar
sind: Es läuft sowohl im Weltmaßstab
wie im Maßstab eines solchen kleinen Instituts doch vor allem auf Fragen wie
die hinaus, ob ich mich durchsetzen kann, ob meine Wünsche erfüllt werden, wie
weit ich mich gegen Angriffe anderer schützen kann, wie weit ich anderen
vertrauen kann – letztendlich, wenn man es auf einen Nenner bringen will, auf
Probleme des Mißtrauens bzw. der Macht. Diese Erkenntnis hätte man, so schier
und unmittelbar, wohl nirgends sonst gewinnen können.
Nachdem die Schließung der
Weizsäcker-Abteilung endgültig feststand, wollte
Habermas die Verantwortung für die Arbeit der verbliebenen Mitarbeiter – mit
unbefristeten Verträgen – nicht allein übernehmen. Daher entschloß er sich
schon sehr bald, sein Amt ebenfalls niederzulegen und wieder als Professor an die Universität zurückzukehren. Damit war praktisch das gesamte Institut aufgelöst,
wenn auch einige (vor allem die nicht-wissenschaftlichen) Mitarbeiter in ein neues Max-Planck-Institut
übergingen, das noch heute in München arbeitet. Aber die spezifische Geschichte
des Starnberger Instituts war damit zu Ende.
Die Mitarbeiter, die aufgrund
des Schließungsbeschlusses das Institut verlassen mußten, wurden von der
Max-Planck-Gesellschaft traditionsgemäß großzügig abgefunden – im Fall dieses
Instituts vielleicht noch etwas großzügiger, weil die Mitarbeiter ihre
überdurchschnittliche Verwaltungserfahrung nutzen konnten. Die meisten
Mitarbeiter erhielten die Möglichkeit, nach der endgültigen Schließung des
Instituts noch fünf Jahre lang ihr Gehalt weiter von der
Max-Planck-Gesellschaft zu beziehen, wenn sie sich in dieser Zeit an einem
anderen Institut einarbeiteten mit der Aussicht, von dem betreffenden Institut
als Mitarbeiter übernommen zu werden.
Die Gruppe „Entwicklung und
Unterentwicklung“ gründete ein privates Forschungsinstitut, dessen Etat
ebenfalls fünf Jahre lang von der Max-Planck-Gesellschaft getragen wurde, und das noch
lange Zeit durch Aufträge und Spenden finanziert wurde. Die Gruppe „Strategie
und Außenpolitik“ arbeitete unter der Leitung von Horst Afheldt mit überwiegend
neuen Mitarbeitern noch weiter bis zu Afheldts Pensionierung im Jahr 1989;
Weizsäcker hatte nach seiner Emeritierung sein Büro in unmittelbarem
Zusammenhang mit dieser Gruppe und arbeitete auch weiterhin eng mit Afheldt
zusammen. In einem Resümee der Institutsarbeit meinte Weizsäcker einmal,
inhaltlich sei das wohl die wichtigste Leistung des Instituts gewesen, daß es Afheldt in Zusammenarbeit mit ihm die günstigsten
möglichen Arbeitsbedingungen gewährt habe.
Äußerlich ist das Institut also gescheitert,
ebenso ist es gescheitert, wenn man es an seinen eigenen ursprünglichen Ansprüchen
mißt. Nach Maßstäben, wie man sie an wissenschaftliche Institutionen
normalerweise anlegen würde, kann man es aber durchaus als erfolgreich ansehen.
Es sind ansehnliche Publikationen in dem Institut entstanden, es ist trotz des
anfänglichen Chaos sehr fleißig gearbeitet worden, und die Gunst der
Arbeitsbedingungen und die Möglichkeiten des Zusammenarbeitens haben, auch wenn
sie die anfänglichen Erwartungen nicht erfüllen konnten, doch dafür gesorgt,
daß keine der entstandenen Publikationen langweilig oder seicht geworden ist.
Dazu hat das Institut alle Mitarbeiter entscheidend und positiv für ihre weitere
Tätigkeit geprägt, so daß ich nicht zögern würde, die Bilanz des Instituts
trotz berechtigter Kritik als positiv anzusehen. – Sein Ende ist nicht auf
einen plötzlichen Coup seiner Gegner aus politischen Gründen zurückzuführen, es
war von vornherein vorauszusehen, wohl sogar unausweichlich. Wäre das Institut
nicht von außen beendet worden, so wäre es doch in der Art, wie ich es hier
beschrieben habe, ungefähr um dieselbe Zeit von selbst zu Ende gewesen; es
hätte wohl nur als eine Art von interessantem Konglomerat verschiedener
konventioneller Arbeitsgruppen weiter existieren können. So gesehen war die
Beendigung von außen sogar eher ein Glücksfall: sie ermöglichte die Entstehung
einer heroischen Legende.
[1] Abgedruckt in: Der Garten des Menschlichen, München (Hanser) 1977, S.553-597.
[2] C.v.Weizsäcker (Hg.): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung, München (Hanser) 1971.
[3] Vereinigung deutscher Wissenschaftler (Hg.): Welternährungskrise oder ist eine Hungerkatastrophe unausweichlich?, Hamburg (Rowohlt) 1968, rororo aktuell.
[4]
Kahn, Herman ; Wiener, Anthony J.: Ihr werdet es erleben. Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2000. Mit
e. Nachw. von Daniel Bell. Aus d. Engl. übertr. von Klaus Feldmann. Wien
(Molden) 1967
[5] Georg Picht: Prognose, Utopie, Planung. Stuttgart (Klett) 1967; abgedruckt in ders.: Wahrheit, Vernunft, Verantwortung. Stuttgart (Klett) 1969, S. 373-407. – C.F.v.Weizsäcker: Über die Kunst der Prognose. Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Privatdruck 1968. abgedruckt in ders.: Der ungesicherte Friede. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1969, S. 57-76.
[6] C.F.v.Weizsäcker: Der Garten des Menschlichen. München (Hanser) 1977 (Taschenbuchausgabe: Fischer-tb 6543)
[7] SZ-Interview 1970
[8] Arbeitsbericht Juni 1970 an die MPG.
[9] „Erforschung der Lebensbedingungen“. In: C.F.v.Weizsäcker, Der bedrohte Friede. München (Hanser) 1981; S. 472 ff
[10] Utz-Peter Reich, Philipp Sonntag, Hans-Werner Holub. Arbeits- und Komsumrechnung. Köln (Bund) 1977
[11] Vereinigung deutscher Wissenschaftler/Jürgen Heinrichs, Hrsg.: Welternährungskrise – oder – ist eine Hungerkatastrophe unausweichlich? rororo aktuell 1147. Reinbek (Rowohlt) 1968. Außerdem Jürgen Heinrichs: Hunger und Zukunft. Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht) 1969.
[12] Jan Myrdal: Bericht aus einem chinesischen Dorf. dtv 591. München 1969.
[13] Folker Fröbel / Jürgen Heinrichs / Otto Kreye: Neue internationale Arbeitsteilung. rororo aktuell 4185. Reinbek (Rowohlt) 1977.
[14] Edgar Zilsel (hrsg. von W.Krohn): Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1976. – Thomas S.Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1967
[15] Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele, Rainer Hohlfeld, Wolfgang Krohn, Wolf Schäfer, Tilman Spengler: Die gesellschaftliche Orientierung des wissenschaftlichen Fortschritts. Starnberger Studien 1. Edition Suhrkamp 177. Frankfurt/M. 1978.
[16] Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele, Wolfgang Krohn: Experimentelle Philosophie – Ursprünge autonomer Wissenschaftsentwicklung. stw 207. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1977.
[17] C.F.v.Weizsäcker (Hrsg.): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. München (Hanser) 1971
[18] C.F.v.Weizsäcker: Wege in der Gefahr / Horst Afheldt: Verteidigung und Frieden, Politik mit militärischen Mitteln / Guy Brossollet und Emil Spannocchi: Verteidigung ohne Schlacht. Alle: München (Hanser) 1976
[19] Vgl. die 'Selbstdarstellung'. In: C.F.v.Weizsäcker, Der Garten des Menschlichen. München (Hanser) 1977, S.572ff.
[20] Michael
Voslensky: Nomenklatura. Die
herrschende Klasse der Sowjetunion
[Aus d. Russ. von Elisabeth Neuhoff. Die Übertr. d. Gedichte besorgte d. Autor]
Wien (Molden) 1980