DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 25

Feministische Theorie, Bioethik und Biopolitik


EINLEITUNG

 

Die Frage nach dem, was im so genannten biotechnischen Zeitalter als Leben bezeichnet, bzw. konstruiert wird, ist auch eine Frage nach der Wahrnehmung von und dem Umgang mit unserer Wirklichkeit. Es ist eine Frage, die ins Zentrum der Ethik und der Erkenntnistheorie führt. In dieser Diskussion steht viel auf dem Spiel. Denn wenn mit Begriffen wie Verwundbarkeit und Verletzlichkeit, Endlichkeit und Verantwortlichkeit die Frage nach dem sich unumkehrbar verändernden Verhältnis zur Wirklichkeit im Kontext der Praxis der neuen Technologien gestellt wird, dann steht damit das Verständnis von Selbst und Anderen, von Autonomie und Handlungsfähigkeit, von Mensch und Maschine und Gattungen grundlegend zur Diskussion, zumindest in der westlichen Welt. Um so erschreckender ist es, dass die Debatte der letzten Jahre über die neuen Reproduktionstechnologien, über Gentechnik und Biopolitik fast ausschließlich von Experten geführt wird. In der Expertensprache der Gentechnologen, Biologen und Kommunikationstechnologen wird zwar die Unbestimmtheit der Grenzen zwischen Natur und Kultur immer deutlicher. Diese Sprache ist angereichert mit Metaphern und wird illustriert durch konstruierte Bilder, die wirkmächtig Repräsentationen kleinster natürlicher Lebens-Einheiten suggerieren - beides wird von den Medien zu großen Teilen unreflektiert übernommen und beherrscht die öffentliche Wahrnehmung. Diese Unbestimmtheit ruft als Reaktion jedoch immer klarer den Versuch herbei, Eindeutigkeit wieder herzustellen. In diese Diskussionen haben sich Frauen als direkt Betroffene, als Feministinnen, als Bioethikerinnen, als Politikerinnen und Medizinerinnen durchaus auch eingemischt. Diese Einmischungen haben aber weder zu einer eindeutigen Positionierung feministischer Standpunkte geführt, die öffentlichkeitswirksam in den politischen (Entscheidungs- und Regulierungs-)Diskurs hätte eingehen können. Noch haben gendertheoretische wissenschaftskritische oder ethische Diskurse zu den Biowissenschaften in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit wirksame Irritationen ausgelöst. Nun lässt sich das nicht darauf zurückführen, dass die Veränderungen in ihrer Brisanz und Reichweite von Frauen zu spät erkannt worden oder sie in den Expertengremien überhaupt nicht vertreten wären. Erklären lässt sich die öffentliche Zurückhaltung (zumindest im deutschsprachigen Raum) zunächst mit den kontroversen Positionen von Frauen zur Gentechnologie, die von Faszination, Hoffnung und Zustimmung bis zu Ratlosigkeit, Ekel, Angst und Abwehr reichen. Frauen sind zwar durch die Konvergenz von Gentechnik und Reproduktionstechnik, das hat vor allem Regine Kollek mit Nachdruck beschrieben, in einer besonders verantwortlichen Position in Bezug auf den Umgang mit dem genetischen Wissen, selten sind sie allerdings in der Rolle der praktizierenden Experten anzutreffen. Im Kontext der Reproduktionstechnologien spielt der ungeklärte Status des Autonomiebegriffs, ein Schlüsselbegriff der Frauenbewegung und der feministischen Theorie der 70er und 80er Jahre, eine mehrdeutige Rolle, wird er doch einerseits von der Ärzteschaft im Namen von z.B. Frauen mit Kinderwunsch gegen Kritikerinnen der Reprotechniken eingesetzt als Legitimation eben dieser Techniken. Andererseits wird von Frauen im Namen der Selbstbestimmung der betroffenen Frauen der Raum für wirkliche eigenverantwortliche Entscheidungen (solche mit Alternativen) teilweise gegen die Ärzteschaft und gesellschaftliche Erwartungen im technisch assistierten Reproduktionsbereich eingeklagt. Hinzu kommt die Evokation der Abtreibungsregelung im gleichen Kontext, die von außen immer wieder in den unterschiedlichen Diskussionsbereichen z. B der Diskussion um den Import und die Forschung an embryonalen Stammzellen, um die Präimplantationsdiagnostik (PID) und den Status des Embryos in vitro als Legitimation der Forscher für verbrauchende Embryonenforschung angeführt wird, hinzu kommt vor allem auch die umstrittene Praxis der Spätabtreibungen bei embryopathischen Indikationen als Legitimation der PID; dies alles sind Gründe dafür, dass feministische Theorie sich mit den Fragen der Bioethik und der Biopolitik bislang, anders als in den USA , vergleichsweise vorsichtig und unauffällig und wenn dann hauptsächlich wissenschaftskritisch mit der Bioethik auseinandergesetzt hat. Zentral für die anstehenden Diskussionen in der feministischen Theorie und in der Genderforschung ist – und dies nicht zuletzt in anbetracht der Hintergründe der gerade aufgezählten ethisch umstrittenen Problembereiche - die Reflexion auf die eigenen Grundlagen. Standen in der gendertheoretischen Diskussion des letzten Jahrzehnts die Kontroverse um die konstruktivistische Auffassung von sex und gender mit ihren erkenntnistheoretischen und handlungstheoretischen Implikationen im Zentrum, so muss diese im Hinblick auf ethische und politische Implikationen radikalisiert und nicht etwa revidiert werden. Die Bedeutung der Kategorie Geschlecht als Wissenschaftskategorie liegt in ihrer methodischen Ermöglichung des Nachgehens der versteckt wirkenden Konstitutionsleistungen der Geschlechterdifferenz in den Wissenschaften und zusammen mit dem erkenntnistheoretischen Theorem der Konstruiertheit des biologischen Geschlechts in der Denaturalisierung und Historisierung der Geschlechterdifferenz und der Körper. Dieses Theorem ist kritisches Instrumentarium und kann, so die zentrale These der kanadischen Bioethikerin Kathryn Pauly Morgan in ihrem Aufsatz „Schöne neue Welt, schöne neue Mütter, schöne neue Babys“ nicht nur den naturalistischen Rückbezug von Technologiekritikerinnen auf den natürlichen Körper als eine Gefahr deuten, die in einer rückwärtsgewandten und un-verantwortlichen, Antwort verweigernden Verkennung von veränderter Wirklichkeit diese ausschließlich als Katastrophe zu sehen vermag, als Endprodukt einer techno-politischen Verfallsgeschichte. Sie kann vor allem aber auch die Gefahr einer faszinierenden, perfekten bemächtigenden Neonaturalisierung der Geschlechterkörper durch die Gentechnologie aufzeigen. Mit dieser Neonaturalisierung, die Morgan in ihrer zweiten Parabel als Handlungsmotor ihrer erzählten Geschichte vorstellt, geht eine gewaltsame Reinstitutionalisierung der dimorphen Geschlechter und der Heterosexualität, des fötozentrischen Modells von Schwangerschaft bei einer gleichzeitig paradoxen Vorstellung der Abschaffung der Mütter einher. Die Pathologie der „natürlich gewordenden“ (weiblichen) Natur wird in Normalität korrigiert, in (männlich konnotierte) Form gemacht und gebracht, von außen. Die Grenzen des Selbst werden nicht in einem prekären Verhältnis zum Anderen bestimmt, das Andere wird ausgeschnitten, wortwörtlich. Und damit scharf die Verletzlichkeit, Endlichkeit und Verwundbarkeit aus dem quasi-natürlichen, dem perfekten Desiderat entfernt: das Selbst wird, so formuliert Morgan im Anschluss an Hans Jonas, zum biotechnischen Subjekt und Objekt zugleich. Dass dabei Menschen mit Handicap nicht in das Bild des perfekten Menschen passen, dass die Gentechnologie Eugenik realisieren kann und dies auch tut, darauf verweisen fast alle Beiträge des Schwerpunktes, wenn auch aus ganz unterschiedlicher Perspektive und mit unterschiedlichen Intentionen. So entwickelt die Tübinger Ethikerin Hille Haker die Diskussion um Menschenwürde und Menschenrechte in der Bioethik im Bereich der Biomedizin aus feministischer Sicht und im Kontext der feministischen Ethik und thematisiert die Beziehung von Autonomie, Personalität und Würde im Anschluss an Kant. Den Geltungsbereich der Menschenwürde, die Menschenrechte, buchstabiert sie in Abgrenzung zu präferenzutilitaristischen Positionen wie der von Peter Singer normativ aus, in dem sie zwischen Freiheitsrechten, Schutzrechten und Anspruchsrechten unterscheidet. Damit kann sie die Ausgrenzungen und Vernichtung des imperfekten Lebens, das bei der genetischen Diagnostik am Lebensanfang beginnt aber auch das Unbestimmte des Übergangs am Lebensende betrifft, in den jeweiligen praktischen Kontexten abweisen. Dass diese Ausgrenzungen in der Perspektive der Biopolitik in einer historischen Tradition stehen, zeigt Ute Planert in ihrem Beitrag über Rassenhygiene und Körperpolitik im frühen 20. Jahrhundert. Mit Bezug auf Mary Douglas und Michel Foucault weist die Historikern auf die Produktion des Volkskörpers und das Erstarken der Eugenik hin, die durch die Wechselwirkungen unterschiedlichster Wissenschaften und Praktiken befördert wird, durch die soziobiologischer, medizinischer, ökonomischer und literarischer Diskurse, der Aktivitäten der völkischen und nationalistischen Verbände, der Sportvereine, der Familienpolitik und der Säuglingsfürsorge, religiöser Bilder und persönlichen Körpererfahrungen der Einzelnen. Auf Michel Foucault und seine Vorlesung „Von der Souveränitätsmacht zur Macht über das Leben“, die er am Collège de France im März 1976 gehalten hat, bezieht sich die Philosophin Anne Wolf aus Frankfurt. Foucault, so ihre These, bietet mit seiner Analyse der Biomacht und der Biopolitik Anschlussmöglichkeiten für eine fundierte feministische Kritik an der Gentechnologie. Die Wandlung des alten Machttyps, der Souveränitätsmacht, die dem Souverän die Macht über Leben und Tod gab, hat sich in der bürgerlichen Gesellschaft zum Recht und somit zur Macht zum Leben gewandelt. „Leben zu machen und sterben zu lassen“, diese Wende zur Biomacht braucht, um Töten zu begründen, die Verbindung zum Staatsrassismus. Foucaults nicht-normative Analytik der Macht benutzt Wolff dazu, um die durch die normativen Positionen in der Bioethik, der kantischen Pflichtethik und der Utilitaristischen Position unsichtbar gewordenen Phänomene in den Blick zu bekommen. Im Zentrum steht für sie der Lebensbegriff, der in den Arbeiten der Autoren Thomas Lemke, Giorgio Agamben, Paolo Napoli und Maurozio Lazzarato eine große Rolle spielt. Alle Autoren berufen sich explizit in ihrer Analyse der aktuellen Situation auf Foucault. Sie verstehen den Lebensbegriff nicht biologisch wie die von ihr vorgestellten bioethischen Positionen und aus eben diesem Grund möchte Wolff sie für die feministische Diskussion beerben. Im Gespräch mit der Grazer Philosophin Elisabeth List laufen viele der Gedanken aus den einzelnen Aufsätzen zusammen, wenn auch teilweise in einer anderen Ausrichtung. Ausgehend von den Thesen ihres Buches „ Grenzen der Verfügbarkeit. Die Technik, das Subjekt und das Lebendige“ stellt sie ihren, in bezug auf die Theorien des Lebendigen kritischen Begriff des „lebendigen Subjekts“ vor. In wissenschaftstheoretischen und wissenschaftshistorischen Analysen zum Lebendigen arbeitet sie den Begriff des Kontingenten als das, das Normale abwehrende, befreiende Moment des Lebendigen heraus. Befreiend deshalb, weil die Grenzen des Verfügbaren auch zugleich auf eine Offenheit und Unabgeschlossenheit von Prozessen der Entwicklung verweisen. Die Technologien sieht sie sehr ambivalent und unterstreicht vor allem den Verlust, der mit ihnen für die einzelnen und ihre Leiblichkeit einhergeht. Die Diskussion um das zur Zeit heftig diskutierte Buch Homo sacer von Giorgio Agamben und seiner von ihm selbst behaupteten Weiterführung von Foucaults Theorie der Biomacht greift Astrid Deuber-Mankowsky in der Rubrik Diskussionen auf. Aus der Perspektive der kritischen Philosophie weist sie Agamben nach, dass er in dem „Versuch einer Philosophie der Biopolitik (zwar) tatsächlich lebenswichtige Fragen behandelt“, aber dort, wo er in seiner Fundamentalkritik des abendländischen Denkens durch Spekulation anstelle von deutendem Verstehen der Wirklichkeit die Treue nicht hält, Differenzen gewalttätig löscht. „...im ganzen Homo sacer, der sich zentral um das „nackte Leben“ dreht, (werden) weder Gebürtigkeit noch Geschlechtlichkeit, weder Sexualität noch das Verhältnis der Geschlechter, weder die heterosexuelle Prägung der symbolischen Ordnung und politischen Kultur noch der Anteil der Frauen an der Reproduktion des Lebens thematisiert.(...) Der ganze Bereich der sexuellen Differenz ist – ähnlich wie jener nach einer möglichen Beziehung von Recht und Gerechtigkeit – aus Agambens Horizont verbannt.“ Ihr Unbehagen über den Agambenschen Text belegt Deuber-Mankowsky mit einer Diskussion der philosophischen Grundlagen von Homo sacer, die u.a. von der Inanspruchnahme der Theorie der Souveränität von Carl Schmitt und dessen Nomosbegriff geprägt sind. Die Einführung rechtstheoretischer Fragen im Anschluss an Carl Schmitt in die Diskussion der Biopolitik, die Agamben als Weiterführung von Foucaults Analysen zur Biomacht ansieht, sind genau dies nicht. In der Orientierung an der Souveränitätsmacht, deren Wandel Foucault ja gerade beschreiben hat, wird das historische, als komplexes Verhältnis von Kräften gedachte Machtmodell Foucaults reduziert auf ein „monolithisches und statisches Modell der Macht“, das darüber hinaus „den Blick auf die historisch wirksamen Kräfte des Widerstandes“ versperrt. Von der Möglichkeit der Kritik, von der „Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“ handelt der zweite Text in den Diskussionen. Anja Tervooren, Pädagogin und Literaturwissenschaftlerin aus Berlin, hat für die Philosophin zwei Mitbegründer der Disability Studies interviewt: Sharon S. Snyder und David T. Mitchell aus den USA. In dem Gespräch über die Geschichte der Disability Studies und die Rolle der Geisteswissenschaften und der Literatur als Gegendiskurs zum medizinischen Diskurs über Behinderung, über Körper und Kultur, über deutsche Geschichte und über Gender Studies wird deutlich, wie zentral der Satz von Judith Butler ist, dass nämlich „die Art, wie eine Kultur sich einen Körper vorstellt, (…) ein Weg (ist), die Grenzen einer Kultur zu verstehen und auf diese Weise zu begreifen, was als wertvoll und wünschenswert angesehen wird.“ Ziel der Disability Studies ist es, die „Ideen und Erfahrungen von behinderten Leuten als wegweisend, begehrenswert und machtvoll in den öffentlichen Diskurs“ einzuspeisen. Dieses Heft erscheint aus Krankheitsgründen später als geplant. Vor allem unseren Abonnentinnen möchten wir für ihre Geduld danken. >Die Herausgeberinnen