DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 24

Cyberspace und virtuelles Geschlecht


EINLEITUNG

 

Um Missverständnissen und allfälligen Enttäuschungen vorzubeugen, sei vorausgeschickt: Dies ist kein Heft über Cyberfeminismus! Vielleicht ist es „cyberfeministisch“ in dem weiten Sinne, dass es die merkliche Veränderung unserer Realität durch die Computertechnik, die Biotechnik und die zunehmende Prägung unserer Selbstverständnisses durch Metaphorik und Diskurs der Kybernetik hinsichtlich der Folgen für eine mögliche (Geschlechter)-Politik befragt. Nun haben die Erfahrungen der letzten Jahre immer deutlicher gezeigt: Die Formulierung einer adäquaten (Geschlechter)-Politik setzt das Verständnis der Veränderungen voraus, die mit den Techniken der virtuellen Realität und den Reproduktionstechnologien einhergehen. Wir haben uns deshalb unter dem Schwerpunktthema „Cyberspace und virtuelles Geschlecht“ darauf konzentriert, uns diesen Veränderungen, die unsere Realitätswahrnehmung selbst betreffen, aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. „Cyberspace“ bezieht sich nicht allein auf den durch das Internet eröffneten dreidimensionalen und bewegten digitalen Bilder- und Tonraum, sondern umfasst zugleich die Wandlung des Verhältnisses von Menschen und Maschinen: Dies betrifft insbesondere die Verflüssigung der Grenzen zwischen beiden. Der Begriff „Cyber“ stammt aus dem Vokabular der Kybernetik, jener in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts erfundenen Wissenschaft des „Steuerns“, die uns beibrachte, das Augenmerk nicht mehr auf die bewusst handelnde Akteurin, eben den Steuermann, bzw. die Steuerfrau zu legen, sondern die vermeintlichen Subjekte als Teilnehmer innerhalb eines sich selbst steuernden Systems zu verstehen. Anstelle des alten, der Aufklärung verpflichteten Konzeptes einer Politik der verantwortlichen Individuen üben wir uns mehr und mehr in eine Wahrnehmung ein, die uns Maschinen und uns selbst eingeschlossen als Teile von kleineren und/oder – je nach Perspektive und Erkenntnisinteresse - größeren selbststeuernden, bzw. selbsterhaltenden Systemen zu erkennen lehrt. Die Begriffe „Information“, „Code“, „Rückkoppelung“, „Selbsterhaltung“, „System“, aber auch Spiel gehören zum Vokabular des aktuellen Selbstverständnisses. „Cyberspace“ ist somit zu einer Chiffre geworden, die nicht nur die am Netz beteiligten Nutzerinnen und –Nutzer in einem virtuellen Raum zusammenführt, sondern auch das Selbstverständnis und das Verhältnis der NutzerInnen zu den Maschinen betrifft, über die wir am Netz teilhaben. Die Berliner Philosophin Sybille Krämer deutet den Umgang mit den Computer als eine neue „kulturelle Technik“, die uns den Eintritt in virtuelle Welten und dort die Interaktion mit symbolischen Strukturen ermögliche. Während wir bis anhin mit anderen Personen interagierten, zeichne sich die virtuelle Welt und die ihr entsprechende „kulturelle Technik“ dadurch aus, dass sie erstmalig eine Interaktion auch zwischen Personen und Zeichen eröffne. Diese Interaktion mit symbolischen Strukturen lässt, wie Sybille Krämer in unserem Gespräch deutlich macht, die Nutzerinnen jedoch nicht unberührt. So betont sie, die Voraussetzung dafür sei, „dass der menschliche Nutzer selbst eine semiotische Metamorphose realisieren, also sich selbst in eine Zeichenkonfiguration verwandeln muss, um mit symbolischen Universen in ein Wechselverhältnis zu treten. Daher ist die Aufspaltung in einen physischen und einen symbolischen Körper, in einen Leib und einen Datenkörper die Voraussetzung des Eintretens in virtuelle Realitäten.“ Verbunden blieben der „physische Körper“ und der „Datenkörper“ über eine „elektronische Nabelschnur“. Was bedeutet dies jedoch für die Wahrnehmung des Geschlechtskörpers? Einen Hinweis auf diese Frage gibt die us-amerikanische Theaterwissenschaftlerin Sue-Ellen Case - die bei uns vor allem durch ihren Entwurf einer Butch-Femme Ästhetik bekannt geworden ist - in ihrem Beitrag Cyberbodies auf der transnationalen Bühne. Case geht davon aus, dass die Gesellschaft die neuen Formen von Hybridität zwischen Mensch und Maschine in sich aufgenommen und in ihr kulturell Imaginäres integriert habe: „Geschlecht, Sexualität und Technologie verbinden sich miteinander, um Leben von Grund auf zu verändern.“ In diesem Prozess fungieren die Diskurse über Geschlecht und Technologie als Schnittstelle zwischen den menschlichen NutzerInnen und den neuen Räumen. Entlang der Arbeiten der französischen Künstlerin Orlan, der australischen Performancekünstlerin Susan Stryker und der von Shu Lea Cheang entworfenen Brandon-Teena-Web-Site verfolgt Case, wie die neue Technokultur den „Fleischkörper“ selbst als jenen Ort ausstellt, auf dem das aktuelle Theater der Veränderung stattfindet. Dabei spielen die im Zusammenhang mit den neuen Informationstechnologien und der Biotechnik entwickelten Methoden der Medizin eine Hauptrolle. Case fokussiert ihr Interesse auf den transgeschlechtlichen Körper, da sich an ihm die „medizinische Neuzuschreibung von Geschlecht“ als „eine der strukturell maßgeblichsten Praktiken unserer Zeit“ erweise . Insbesondere Susan Stryker, eine Mann-zu-Frau Transsexuelle führt am eigenen Körper vor, dass die sozialen Codes von biologischem und sozialem Geschlecht am transsexuellen Körper bis in seine innerste Hormonstruktur implodiert: „Die Rekonstruktion von sozialem Geschlecht ist somit biochemischer Natur, sie wird durch medizinische Technologie ermöglicht und durch das Einnehmen von Hormonen veranlasst.“ Beinhaltet für Sibylle Krämer die Geschlechterdifferenz noch ein „subversives Potential“, so weist Sue-Ellen Case drauf hin, dass die Verschränkung von Technik und NutzerInnen die „Natur“ des Geschlechts mitumfasst. Anstatt diesen Siegeszug der Technik entweder auf der einen Seite zu beklagen oder auf der anderen Seite kritiklos zu feiern, plädiert Case für ein genaueres Hinschauen. Dieses erweist denn, dass die Verschränkung von Technologie und Sexualität in zwei sehr unterschiedlich Richtungen weist: Laden Projekte wie die Brandon-Teena-Website zum Experimentieren mit neuen sozialen Räumen ein, die sich gegen die Gewalt abgrenzen, die im Namen des natürlichen, heißt „richtigen“, Geschlechts die Geschichte des transsexuellen Körpers prägten, so reproduzieren global im Internet agierende multinationale Konzerne über eine Sexualisierung wirtschaftlicher und ökonomischer Inhalte die dualistische und hierarchische Heterosexualität. Beide weisen auf eine Virtualisierung des Geschlechts und des Geschlechtskörpers hin - und tun dies doch auf eine sehr unterschiedliche Weise. Führt die eine zu einer Politisierung der neu eröffneten sozialen Räume, so befördert die Sexualisierung des Internets genau das Gegenteil: die Entpolitisierung und das Hinnehmen der wirtschaftlichen Globalisierung als Schicksal. Aus einer anderen Perspektive beleuchtet die Kunstwissenschaftlerin Ingeborg Reichle die vielschichtige Wechselwirkungen zwischen Kunst und den sogenannten „Lebenswissenschaften“ und kommt doch, ähnlich wie Case, zum Schluss, dass es zum einen gilt, entlang der einzelnen Projekte über den (geschlechter)-politischen Gehalt zu entscheiden und zum anderen, dass es nicht die Technik selbst ist, die über diesen Gehalt entscheidet, sondern – die Künstlerinnen und Künstler selbst. Sie fragt in ihrem Aufsatz Kunst und Genetik. Zur Rezeption der Gentechnik in der zeitgenössischen Kunst nach dem Beitrag, den die Kunst im Rahmen der neu eingegangenen Verbindung mit der Bio- und Gentechnik, leistet. Lässt sie sich einspannen, um die gesellschaftliche Akzeptanz der neuen Techniken über eine Ästhetisierung der neugeschaffenen lebendigen Objekte zu erhöhen? Oder dechiffriert sie über die Verknüpfung mit den Bildern der Biowissenschaften die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser wissenschaftlichen Bildern, um sie einer neuen Lesart zuzuführen? Reichle erinnert daran, dass die wechselseitige Beeinflussung von Kunst und Naturwissenschaften nicht neu ist, sondern am Ursprung der Genetik selbst mitwirkte. So basieren die ersten Publikationen von Darwin ihrerseits auf der Visualisierung seiner Thesen durch gezielt eingesetzte fotografische Strategien. In der Auseinandersetzung mit den neuesten künstlerischen Arbeiten von Suzanne Anker, Pam Skelton und Nell Teenhaf zeigt sie, dass und wie es ihnen gelingt, die wissenschaftlichen Bilder der Gentechnik in einen Dialog mit der Kunst zu bringen und auf ihre autoritative Funktion hin kritisch zu befragen. Anders fällt Reichles Urteil in bezug auf die sogenannte „Transgene Kunst“ aus. Hier arbeiten hochdotierte Künstler wie Eduardo Kac und Joe Davis in engster Verbindung mit gentechnologischen Labors zusammen, um gentechnisch veränderte Lebewesen künstlich herzustellen. Bekannt geworden ist in jüngster Zeit vor allem das grün leuchtende Kaninchen von Kac mit dem Titel „Bunny 2000“. Weniger bekannt ist Joe Davis’ „Microvenus“, ein gentechnisch veränderter Bakterienstamm. „Microvenus“ basiert, wie der Name bereits andeutet und Reichle ausführt, auf der gentechnischen Realisierung eines alten germanischen Symbols für das Leben und die weibliche Erde. Ist es ein Zufall, dass die Urheber dieser Selbstschöpfungsphantasien, zu denen auch das „Künstlergen“ von Kac gehört, männlichen Geschlechts sind? Anders als in den vorgestellten Arbeiten der Künstlerinnen bleiben, so Reichle, die „Metaphern, die diese Technologie umgeben, deren vielschichtige Beeinflussung und die Wechselwirkung zwischen kulturellen Normen und technischer Entwicklung unreflektiert“. Vielleicht könnte man sagen, dass die genannten Künstler das Spiel mitspielen, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, was von den Spielregeln als ausgeschlossene Realität außen vor bleibt? In der Diskussion um Cyberspace und virtuelle Realitäten wird mit hohen Erwartungen auf den Begriff des Spiels verwiesen. Die Züricher Philosophin Ursula Renz ist in ihrem Aufsatz Spiel Ernst und die Erfahrung von Kontingenz der Rolle nachgegangen, die der Begriff des Spiels in der Geschichte der philosophischen Reflexion gespielt hat, um daraus die systematische Frage zu stellen, welchen Beitrag die philosophische Perspektive für eine Theorie des Spiels leisten könnte. Dabei kommt sie vorerst zum Schluss, dass „philosophisches Denken vom Phänomen des Spiels mehr herausgefordert ist, als ihm lieb ist“. Warum dies? In einer exemplarischen Lektüre von Platons Nomoi zeigt Ursula Renz, dass der Ernst in der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Spiel dort anfängt, wo es gilt, die Unterscheidung zwischen Ernst und Spiel zu begründen. Denn es ist just diese Unterscheidung, die nicht begründet werden kann, sondern, so Renz „einem unumgänglichen ethischen Desiderat Rechnung trägt.“ In dem Eingeständnis der Unmöglichkeit, die Differenz zwischen Ernst und Spiel in einem philosophischen Sinn zu begründen, kommt nun, wie Ursula Renz sehr klar zeigt, jenes Moment ins Spiel, das bei der herkömmlichen Spieletheorie oft zu kurz kommt: Die Frage nämlich nach dem Zusammenhang von Kontingenz und Freiheit. Denn das Eingeständnis der Grenze philosophischen Denkens öffnet die Diskussion über das Wesen des Spiels für einen Aspekt, der die ethische Frage, bzw. die Frage nach der Handlungsfähigkeit zu stellen erlaubt: er zielt nicht mehr auf die ontologische Unterscheidung zwischen Spiel und Ernst, sondern auf die „Haltung des Spielenden gegenüber seinen Handlungen“. Gegen eine euphorische Verwendung des Spielebegriffs wendet Ursula Renz ein: „Das Merken des Überschrittenhabens der Grenze des Spiels bedeutet zwar das Ende des Spiels, aber wie dieses Merken induziert wird, ist in den das Spiel konstituierenden Spielregeln gerade nicht angelegt“. Was nicht angelegt ist, ist mit anderen Worten der Übergang zum Ernst. Dieser spielt bereits dort ins das Spiel hinein, wo eine ethische Haltung im „Bewusstsein der grundsätzlichen Differenz von Perspektiven und das Akzeptieren der Grenze der eigenen Perspektive“ zum Ausdruck kommt. Sie fordert, so Renz, „dass die vom Vergnügen geprägte Sicht die nicht von Vergnügen geprägte Sich des Anderen zur Kenntnis nimmt und in Rechnung stellt“. Mit ihrem Beitrag zum Begriff des Spiels öffnet Ursula Renz die Diskussion über „Cyberspace und virtuelles Geschlecht“. Wie steht es, so ist im Anschluss ihre Ausführungen zu fragen, mit der Sicht der von der Teilhabe an den neuen Technologien Ausgeschlossenen, bzw. der Sicht der am Netz teilnehmenden, jedoch nicht zu unserem Kulturraum gehörenden Mitspielerinnen? Mit der letzten Frage haben sich Andrea Jana Korb und Andrea Hapke eingehend in ihrer Magisterarbeit über „Russische cyberfeministische Strategien“ auseinandergesetzt. Sie haben für dieses Heft die Erfahrungen protokolliert, die einem e-mail- Austausch mit russischen Feministinnen und Cyberfeministinnen gemacht haben. Lehrreich waren für sie in erste Linie die unterschiedlichen Grenzen, mit der sie konfrontiert wurden. Sie führten sie zum Schluss, der die Ausführungen von Ursula Renz unterstreicht: dass cyberfeministische Politik eine Frage der Haltung sei, die sich durch Gastfreundschaft und durch das Teilen und Wahrnehmung von Verantwortung auszeichne. Eine Einführung in die cyberfeministische Bewegung und deren Geschichte, gibt schließlich Jutta Weber. Als Ergänzung ist dem Heft eine ausführliche Literaturliste beigefügt. Hinweisen möchten wir zum Schluss auf den Bericht von Eva Hartmann über das gefährdete Netzwerk der virtuellen internationalen Frauenuniversität (Vifu). Die Vifu wurde von Heidi Schelhowe mit aufgebaut, die im Gespräch der letzten Nummer der Philosophin das Projekt ausführlich dargestellt hat. >Die Herausgeberinnen