DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 19

Intellektualität und Weiblichkeit


EINLEITUNG

 

Im letzten Jahr wurde in der „Tageszeitung" (TAZ) eine Diskussion über die Funktion und Bedeutung der Intellektuellen geführt. Aufhänger war Sartres Definition: „Ein Intellektueller ist jemand, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen." Auffallend schien uns, daß nicht nur über keine intellektuelle Frau geschrieben wurde, sondern daß auch keine intellektuelle Frau in die Diskussion eingegriffen hat. So, als gebe es in der öffentlichen Selbstdarstellung männlicher Intellektueller, wie frauenfreundlich — wie im Falle Bourdieus geradezu erdrückend — sie auch argumentieren, keine Stelle, an der einzuhaken ist. Ähnliches ist in der Walser-Bubis Debatte zu beobachten, in der es im Kern auch um die Funktion der Intellektuellen ging, um ihre Sprache, ihren Umgang mit der Geschichte, mit der Wirklichkeit. Hier haben sich nur wenige Frauen öffentlich zu Wort gemeldet.

Frauen, die schreiben, Frauen, die Philosophie betreiben, Frauen, die in der Wissenschaft forschen, arbeiten und lehren, hat es vor allem im 20. Jahrhundert viele gegeben. Die historische Frauenforschung der letzten 20 Jahre hat mit dem Vorurteil aufgeräumt, daß es da, wo man keine intellektuellen Frauen sah, auch keine gab. Doch trotz der immer umfangreicheren und differenzierteren Aufarbeitung der Geschichte der Künstlerinnen, der Schriftstellerinnen, der Philosophinnen, bleibt das wechselvolle und komplizierte Verhältnis von Intellektualität und Weiblichkeit unklar.

Das liegt auch am schillernden Begriff des/der Intellektuellen. Der Begriff selbst ist noch jung: Ende des 19. Jahrhunderts wurde er im politischen Kontext der Dreyfussaffäre in Frankreich geprägt. Intellektuelles Agieren von Schriftstellern, ihre Selbstbezeichnung als Stimme des Gewissens der Nation standen Diffamierungen von Beginn an direkt gegenüber. Doch trotz der gleichzeitig einsetzenden Kritik am Schriftsteller, der sich in die Tagespolitik einmischt, war der Begriff des Intellektuellen in Frankreich bis heute positiv besetzt.

In den letzten 20 Jahren hat sich allerdings auch in Frankreich das Bild der großen Wahrheitsträger verändert. Dessen letzte Inkarnation war der Schriftsteller und Philosoph J.-P. Sartre. Die Figur Sartre wird von Bourdieu der „totale Intellektuelle" genannt. Die Repräsentanten des „allgemeinen Intellektuellen", die sich „in Dinge einmischen, die sie nichts angehen", diese alten Intellektuellen werden abgelöst.

So nimmt die französische Philosophin Geneviève Fraisse in unserem Gespräch Foucaults Konzept des „speziellen Intellektuellen" auf. Nicht erst nach einem Jahr politischer Praxis in der französischen Regierung, aber durch diese Erfahrung nachdrücklich bestätigt, hält sie seine Vorstellung eines auf seinen speziellen Wissensbereich beschränkten, sich machtkritisch engagierenden Intellektuellen für intellektuelle Frauen akzeptabel und praktizierbar. Ihre Kritik an anderen aktuellen Figuren vom Intellektuellen zielt einerseits auf Bourdieus Modell, der die herrschaftskritischen Intellektuellen als notwendig für das Funktionieren der Demokratie erachtet und damit einmal mehr die Selbstüberschätzung des - vor allem männlichen -Intellektuellen in Bezug auf seine gesellschaftliche Macht zum Ausdruck bringt. Andererseits auf die in den 90er Jahren entstandenen „Experten", die als Wissenschaftler über ihr Wissen je nach Bedarf mit der Macht kooptieren. Diese neuen Intellektuellenfiguren werden mit der Geschichte der intellektuellen Frauen seit der Aufklärung und mit der emblematischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, mit Simone de Beauvoir konfrontiert. Wie Sartre, war Beauvoir eine „allgemeine Intellektuelle", eine Schriftstellerin und Philosophin, „die sich in Dinge einmischte, die sie nichts angingen"; aber als Autorin des „anderen Geschlechts" und von „Das Alter"mischte sie sich gleichzeitig - als weibliche Intellektuelle - in Dinge ein, die sie etwa angingen. Damit nähert sie sich dem späteren Konzept Foucaults an. Die Möglichkeit einer Frau in der Zeit der 40er und 50er Jahren zu einer solch überragenden Intellektuellen zu werden, war in Deutschland, nicht zuletzt durch die Zäsur durch den Nationalsozialismus, nicht gegeben. Zwar wurde und wird die Debatte über die Intellektuellen auch hier geführt, doch während im republikanischen Frankreich die Tradition der Aufklärung den Begriff inhaltlich prägt, ist die Verständigung und Selbstverständigung der Intellektuellen in Deutschland seit den Anfängen im Kaiserreich sehr viel schwieriger.

Die Historikerin Susanne Omran untersucht für diese Anfangszeit den Zusammenhang von Weiblichkeit, Intellektualismus und Rasse in den Schriften der österreichisch-tschechischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Grete Meisel-Hess. Sie zeigt damit an der damals vielgelesenen Autorin des wilhelminischen Deutschland auf, in welchem wissenschaftlichen und politischen Zusammenhang zu Beginn des Jahrhnderts der unversöhnliche Gegensatz der damaligen Norm von Weiblichkeit und Intellektualität thematisiert wurde. In ihrem 1911 veröffentlichten Roman „Die Intellektuellen" erfaßt Meisel-Hess „bereits zeitgenössisch die wesentlichen Schattierungen"des neuen Intellektuellentyps. In ihren Abhandlungen zu Fragen des modernen Geschlechterverhältnisses führt sie aus, daß „Intellektualität (...) sich immer eines instinkthaften Fundaments versichern (muß), wenn sie mit der weiblichen Natur in Einklang bleiben soll". Durch die von ihr „betriebene Zusammenführung des Intellekts mit den Kräften der Intuition aber wird dieser zum ‘Geist’, zu einer okkulten Größe". Kultureller Hintergrund für die Verbindung dieses Okkulten mit dem Rassebegriff bilden die Schriften von Moebius, die Rasse- und die Evolutionstheorien und die Geschlechternormen vom Ende des 19. Jahrhunderts. Für die Frauenrechtlerin Meisel-Hess konnte jedoch die Versöhnung von Intellektualität und Weiblichkeit, die sich in den Augen ihrer Zeitgenossen ausschlossen, nur in der „Reinerhaltung" des Geschlechtlichen in der „monogamen Lebensführung" bestehen, die als solche der „Reinerhaltung" der „weissen Rasse" besteht. In „Die Intellektuellen" führt Meisel-Hess, die jüdischer Herkunft war, das Motiv der „Reinigung" im beschriebenen Assimilationsprozeß der Jüdin Olga aus.

Nach ihrem Tod wurde Meisel-Hess in Nachrufen durch eben die Macht der Diskurse ihrer Zeit als Intellektuelle pathologisiert, an denen sie sich abgearbeitet hat.

Die Entstehung des Begriffs zu Beginn des Jahrhunderts, seine Polarisierung in der Weimarer Zeit mündete im Nationalsozialismus in eine negative Besetzung und wurde mit den Rassetheorien verknüpft. Diese negative Besetzung hat sich zwar geändert, doch ist sie, wie immer wieder in aktuellen Diskussionen zur deutschen Geschichte zu beobachten und an den benutzten Sprachbildern ablesbar ist, latent durchaus immer noch zu finden.

Die Schriftstellerin Esther Dischereit zeigt in ihren Assoziationen „Denkender weiblicher Torso" nicht nur die Brüche zwischen Weiblichkeit und Intellektualität. Sie verweist auf die negative äußere Besetzung von „Intellektueller" mit „jüdisch". „(...) die Kombination mit dem Frau-Sein (wurde) in polyphonem Sinn erst recht (negativ)." „Der Intellektuelle und der Jude? - ‘alle Intellektuellen sind Juden.‘ Und wenn denn der Jude der defizitäre ‘Normal’mensch sei, so kann er auch ebensogut eine Frau sein." Sie beschreibt, wie sie als intellektuelle Frau in einem Betrieb, in dem sie als Sekretärin arbeitet, durch Intellektuellenfeindlichkeit persönlich verfolgt wird. In einer anderen Assozation, wie Intellektualität mit einem spazieren geht. Wie sie das Denken nicht zum Stillstehen und den Körper nicht zur Unterwerfung bringt an, bzw. unter die Maschinen im Betrieb. „Weiblichkeit und Intellekt verbanden sich - vielleicht mit einer provozierend selbstverständlichen, provozierend nachlässigen Attitüde: Körper gewordener Intellekt. Was die vorgestellten Männerhelden jedenfalls rasend machte. Ich transportierte die Differenz. und wußte zu jeder Sekunde, daß ich eine Frau bin." Intellektuelle Leidenschaft, okkupiert sein durch intellektuelle Lust wird bei Frauen oft als Krankheit, als etwas Schlechtes angesehen. Intellektuelle und weibliche Potenz in einem macht Angst. Die Erfahrung der Lust und des Glücks durch Intellektualität, durch Denken hat für Frauen in der Öffentlichkeit keinen anerkannten Platz.

An dem Text Esther Dischereits wird deutlich, wie wichtig die Kenntnis der Geschichte des Begriffes ist, die nicht nur in Deutschland sehr komplex und auch nicht nur die eines Schimpfwortes ist. Denn nur dann kann man die heutigen Ressentiments gegen die Intellektuellen oder auch ihre Verteidigungen und Neukonzeptionen verstehen. Vor allem jedoch wird an ihrem Text deutlich, daß Intellektualität konfrontiert mit historischen Weiblichkeitsbildern, mit Subjektivitätsentwürfen von Frauen einen ganz anderen Zugang zu der Geschichte des Begriffs aufmacht und daß seine wertende Geschichtsschreibung ein ganz anderes Gesicht zeigen kann. Denn mit dieser Konfrontation stehen auch die in die nationalen Textmonumente der Intellektuellen eingelassenen Männlichkeitsbilder in einem anderen Licht.

So liest die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz Passagen berühmter deutscher Schriftsteller als Bilder der „Besatzer". Es sind Schriftsteller, die als große Intellektuelle gelten, und die Literatur schreiben wie von oben herab, die mit ihren Texten „die nationale Schatztruhe" füllen. Gegen die Position des erhöhten Gebildeten, die in den Zitaten zum Ausdruck kommt, setzt sie ein horizontales Denken, das Bilder aus „Fetzen von Alltag" in Sprache bringt und sich des Erlösung verprechenden Zugriffs auf die Wirklichkeit versperrt. Intellektuelle Frauen, die nicht in den gedachten Bildern die Versehrungen der nationalen Literatur wiederholen, sondern Möglichkeiten andenken, deren Zuweisungen zu entkommen, versuchen einen anderen Entwurf von Intellektualität zu verwirklichen. So ist in ihrem Satz „Denkbilder sind Vorschläge, die Welt zu deuten" in der Verknüpfung mit der Abwehr eines von oben herab gespochenen Zuweisungs- und Interpretationsanspruchs, eines Anspruchs, der immer mit Verletzungen, mit Opfern verbunden ist, ein Intellektualitätsentwurf zu lesen, der machtkritisch und sprachkritisch ist. Der aber weder - wie in vielen historischen und aktuellen Definitionen des Intellektuellen zu lesen ist - auf eine eindeutige Weltdeutung und Sinnvermittlung abzielt, die die Leserin oder der Leser zu übernehmen hat, noch auf eine notwendige Machtposition verweist, die der/die Intellektuelle als kultureller Störfaktor in der Gesellschaft besitzt. Sie führt vor, wie Intellektualität, weibliche Intellektualität positiv besetzt werden kann. Genau hinsehen, genau hinhören, genau lesen, sich einmischen, kritisch, ohne ausgrenzenden Wahrheitsanspruch, ohne geschlossene Bilder.

Dem Aspekt der Kritik im schwierigen Verhältnis zwischen Intellektualität und Weiblichkeit geht die Würzburger Philosophin Bettina Schmitz nach. Sie nimmt die gängige Definition des Intellektuellen, in der immer Intelligenz zusammen mit Kritik gedacht wird, zum Ausgangspunkt, um die Position von intellektuellen Frauen auf die Bedingung der Möglichkeit dieser Kritik hin zu befragen. Sie versucht in einem Vergleich der Philosophinnen und intellektuellen Mandarine Simone de Beauvoir und Julia Kristeva deren unterschiedliche Beurteilung der Mütterlichkeit darzustellen. Und so kann sie zeigen, inwieweit bei Kristeva die Bedeutung des Mütterlichen zentral ist für das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlich distanzierter theoretischer Analyse und lebensweltlich verbundener Einstellung. Und damit zentral für Kristevas eigene Position einer politisch engagierten Intellektuellen, einer weiblichen, explizit nicht feministischen. Schmitz zeichnet die Entwicklung in Kristevas Denken nach. Von einer anfänglichen Unverbundenheit des eigenen gesellschaftlichen Engagements und ihrer Textanalyse bis zur Verknüpfung von Poesie und Politik, von Symbolischem und Semiotischem in der „Revoltuion der poetischen Sprache". Selbst wenn Kristeva oberflächlich eine andere Geschichte erzählt, steht im Zentrum ihrer Arbeiten die „kritische Intellektuelle, die weibliche Denkerin". Auch bei Kristeva geht es darum, „erstarrte Intellektualität (...) in bezug auf ihr Konträres" wieder in Schwung zu bringen, eine Öffnung der symbolischen Ordnung zu ermöglichen über einen neuen Zugang zum verworfenen „Abjekt: Mutter", als realer Voraussetzung für jede Intellektualität. Weiblichkeit und Intellektualität kann für Bettina Schmitz nur über eine Versöhnung der Bilder zusammen gedacht werden, die wir jeweils von der Intellektuellen und der Mutter haben. Und dies ist wichtig nicht zuletzt für ein kritisches Verhältnis zu den sich verändernden technischen Bedingungen und Möglichkeiten realer Reproduktion in der Moderne.

Der Text „An meine Großmutter, die aus Auschwitz zurückkehrte", ist am 15.4.1996 in der linken italienischen Zeitung „Unità" erschienen. Geschrieben hat ihn die Philosophin Tamara Tagliacozzo schon Jahre vorher. Der Entschluß, ihre persönliche Geschichte, die so eng mit jener der Großmutter verbunden war, an die Öffentlichkeit zu bringen, hing mit Ereignissen zusammen, die vor dem Fall der Mauer unvorstellbar waren: Neonazis waren in Auschwitz aufmarschiert. „A mia nonna, tornata da Auschwitz" erschien auf der ersten Seite der Unità und wurde von vielen ItalienierInnen gelesen. Tamara Tagliacozzo erzählt das Leben ihrer Großmutter, die nach Auschwitz verschleppt worden war, zurückkehrte, ihre Söhne aus Israel nach Rom zurückholte und in Rom im Kreis ihrer Familie starb. Die Großmutter war eine starke Frau, die wie sie selbst sagte, durch das Erlebte ein Mann geworden war, zu allem entschlossen, um zu überleben. Ein Leben, dem ein eigenes entgegenzuhalten für die Enkelin nicht leicht ist. Tamara Tagliacozzo studierte Philosophie, sie lernte deutsch, um die deutschen Philosophen lesen zu können. „Im süßen Deutschland" hat, so schreibt sie auf Hölderlins Gedicht „Blödigkeit" und Walter Benjamins Essay über die Gedichte „Dichtermut" und „Blödigkeit" von Hölderlin anspielend, ihre Großmutter den „Fuß auf Goethe und Hölderlin gesetzt wie auf Teppichen, denen mit Säure die Farbe genommen worden war". Das Schreiben ermöglicht der Autorin, das Leben der Grossmutter zu erinnern, um es ihr zurückzugeben und ihr eigenes zu beginnen; die Philosophie ermöglicht Reisen in den Norden, die Suche nach einer anderen Erfahrung mit Deutschland. Beides Gründe, diesen Text in diese Nummer mit dem Themenschwerpunkt Weiblichkeit und Intellektualität aufzunehmen.

Mit diesem Schwerpunkt haben wir versucht, die Vielschichtigkeit der Beziehung von Intellektualität und Weiblichkeit anzudeuten. Die politische Brisanz, die in dem Thema liegt, macht eine Öffnung und differenzierte Forschung und Diskussion in vielen Disziplinen notwendig und wünschenswert.

 

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