DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 18

gesetz macht handeln


EINLEITUNG

 

Im Mittelpunkt der westlichen theoretisch-feministischen Grundsatzdebatten der 90er Jahre stand lange die Frage nach den Konstitutionsbedingungen geschlechtlicher Identität. Die Frage, wie wir als geschlechtliche Subjekte immer schon durch diskursive Praktiken und durch Institutionen konstituiert sind, basiert auf der Frage nach den Spielregeln der Macht. Foucault formulierte sie in „Sexualität und Wahrheit" als Frage, was „die Macht macht". Nun führt diese Frage auf der einen Seite zu immer komplexeren Einsichten in die Mechanismen der Macht, auf der anderen jedoch ganz offensichtlich zu einer zunehmenden politischen Ratlosigkeit. Diese Ratlosigkeit hat, wie auch die Beiträge dieser Nummer aufzeigen, unterschiedliche Ursachen. So erfüllt sich der Wunsch, den Andrea Maihofer 1995 in unserem Interview über die politischen Möglichkeiten feministischer Theorie formulierte, und die „in ausführlicheren Auseinandersetzungen über mögliche Kriterien politischen Handelns oder in der Präzisierung politischer Forderungen" liegen, trotz einem wiedererwachenden Interesse an Realpolitik, nur sehr zögerlich. Die Umsetzung theoretischer Überlegungen in die Formulierung politischer Forderungen erweist sich bei genauerem Hinschauen als schwierig und fraglich, verlangt konkrete Politik doch immer die Reduktion von theoretischer Komplexität, die leicht zu einer Verfälschung der politischen Realität selbst führen kann.

Einfache Lösungen, politische Rezepte, haben auch die Autorinnen dieses Bandes nicht zu bieten. Sie untersuchen in ihren Beiträgen vielmehr die politische Wirkmächtigkeit der Konstitutionstheorien selbst und die in diesen Theorien wirksamen Auffassungen von Macht und Herrschaft, von Gesetz und Repräsentation und die Ent- bzw. Ermächtigung von Sprach- und Handlungsfähigkeit durch Geschichte und politische Realität.

Die Autorinnen ziehen die Möglichkeit einer allgemeinen Theorie politischen Handelns in Zweifel und sind dennoch davon überzeugt, daß die „Entwicklung einer adäquaten feministischen politischen Theorie ein dringendes Desiderat" ist, wie Cornelia Klinger in unserem Interview betont. Dabei geht es in erster Linie darum, gesellschaftliche Hierarchie- und Herrschaftsverhältnisse nicht aus dem Blick zu verlieren und sich nicht - wie Klinger es dem „verknöcherten", akademischen Auslaufmodell der Schulphilosophie vorwirft - in einem Elfenbeinturm den Problemen der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verschließen. Feministische Theorie würde dann ihr kritisches Potential verspielen. Zu recht gibt Klinger freilich zugleich zu bedenken, wie ungesichert der Status feministischer Theorie an den philosophischen Instituten der Universitäten immer noch ist. So weist sie auf die indirekten Ausgrenzungsprozesse hin, in denen durch „periphere Kooptierung", durch kurzfristige Arrangements mit feministischer Theorie unterhalb der Institutionalisierungsebene bestehende inflexible Machtverhältnisse nach wie vor reproduziert werden.

Aus dem Elfenbeinturm herausgekommen ist nun in den letzten Jahren ein Teilbereich der Philosophie: die sogenannte Bioethik. Unter dem Titel „Philosophy goes public" stellt Stefanie Wenner das Konzept und die theoretischen Hintergründe, die unhinterfragten Voraussetzungen und das Menschenbild vor, die diesem jüngsten Zweig der Philosophie zugrundeliegen. 1977 definierte Samuel Gorovitz Bioethik als „kritische Prüfung der moralischen Dimension der Entscheidungsfindung in gesundheitsnahen Kontexten, die die biologische Wissenschaft einbeziehen". Bioehtik verspricht Entscheidungshilfen in moralischen Situationen, in denen durch die Entwicklung der medizinischen Technik bisher geltende moralische Grundsätze nicht mehr greifen. Ja mehr noch: Bioehtik verspricht nicht nur Entscheidungshilfen in Situationen, in denen die medizinische Technik die Entscheidung über Leben und Tod von PatientInnen ÄrztInnen und Angehörigen aufnötigt, sie verspricht durch einen „Rückzug in die Rationalität" die Erlösung aus dem moralischen Dilemma selbst. Dies macht sie so mächtig und zugleich so öffentlichkeitswirksam. Genau durch dieses Versprechen einer Erlösung aus dem moralischen Dilemma verkehrt sich, wie Stefanie Wenner differenziert nachweist, die aus der Metaethik und sprachanalytischen Philosophie entstandene Bioethik in eine säkulare „Alltagsreligion". So wird den Angehörigen eines Hirntoten unter Bezugnahme auf die Theorie der „rationalen Wahl" und dem utilitaristischen Prinzipes des „größten Glücks der größtmöglichsten Zahl", vermittelt, es sei möglich, dem Tod durch die Beipflichtung der Organentnahme Sinn zu verleihen. Der Sinn der Bioethik liegt damit, wie Wenner schließt, in der Sinnstiftung. Die Frage freilich, wem die Sinnstiftung gilt, erweist die angebliche bioethische Entscheidungshilfe als unkritische Affirmation der medizinischen und der Gentechnologien. Denn mit Sinn wird nichts anderes als die normative Kraft des Faktischen ausgestattet, das freilich aufgrund der angeblich rational begründeten Wahl nicht mehr diskussionsfähig ist. Philosophie geht in die Öffentlichkeit und statt Kritik zu betreiben, vertritt sie eine neue Form der Metaphysik und verbündet sich „effektiv" mit den Vertretern der Biomacht und den Gesetzgebern.

Die Kritik der Repräsentationslogik verbindet die - ebenfalls der metaphysikkritschen Wende verpflichteten - Theorien der Postmoderne, des Dekonstruktivismus, der Diskursanalsyse und in ihrer Folge der Cultural Studies. Nun ist die Kritik der Repräsentation seit ihren Anfängen von immer erneut unternommenen Versuchen begleitet gewesen, Repräsentationspraktiken zu entwerfen, die der Opferlogik der klassischen Repräsentation entgehen. Nicht zufällig ging und geht der Wunsch nach Repräsentation von jenen aus, die traditionell als Spiegel dienten und der Selbstrepräsentation beraubt waren. Seien dies, worauf Stuart Hall weist, die „marginalisierten Völker und Kulturen", oder, wie Teresa de Lauretis gezeigt hat, das weibliche und insbesondere das lesbische Begehren. Repräsentation meint, wie Astrd Deuber-Mankowsky in ihrem Beitrag schreibt, nicht nur Verbildlichung, sondern auch Vergegenwärtigung und damit Präsenz. Ohne Repräsentation gibt es keine Präsenz und mithin auch keine politische Realität. Die Suche nach subversiven Repräsentationsmöglichkeiten hängt somit unmittelbar mit der Frage nach Handlungsmöglichkeiten zusammen. Deuber-Mankowsky geht in ihrem Beitrag von zwei Thesen aus, die sie zu einer kritischen Lektüre des III. Buch von Aristoteles Abhandlung über die Seele führt, in dem die Frage nach dem Verhältnis von Phantasie, von Vorstellung und Erkenntnis zum ersten Mal in aller philosophischen Ausführlichkeit gestellt und behandelt wurde. In der ersten These geht die Autorin davon aus, daß es ohne Repräsentation nicht nur keine politische Präsenz, sondern auch keine Erkenntnis gibt. Die zweite lautet, daß die Frau im philosophischen Diskurs nicht das Bild darstelle, sondern die Wahrheitsliebe erst dadurch am Laufen erhält, daß sie deren Referenz und damit die Repräsentation der Repräsentation verkörpere. Der Aufsatz endet in einem Plädoyer für die Anerkennung der realitätskonstituierenden Funktion der Phantasie. Eine greifende Kritik der Repräsentationslogik und damit der Faktizität und politischen Realität ist, so Deuber-Mankowsky, nur möglich über eine in die Darstellung mit aufgenommene Reflexion der Entstehungsgeschichte der Repräsentation.

Judith Butlers sprechakttheoretische Überlegungen zur Hate-Speech-Debatte bilden den Ausgangspunkt von Juliane Rebentischs Beitrag „Zur sprachpragmatischen Kritik der (post-) strukuralistischen Subjektkritik. Judith Bulter revisted." In einem ausführlichen Rückblick auf die von Butler ausgelöste Sex-Gender Debatte rollt Rebentisch die Aporien auf, in die sich Butler durch ihre Referenz auf die strukturalistische Machtanalyse Foucaults einerseits und die poststrukturalistische Subjektkritik Derridas andererseits verstrickt. Die daraus resultierende „Negativfixierung auf das ‘souveräne Subjekt’" und der dazu „analogen Fixierung in der postrukturalistischen Sprachphilosophie Derridas" führe, so Rebentisch, zu dem „problematischen Umkehrschluß, daß Subjekten ihre Diskurse konstitutiv entzogen seien". Die Reduzierung des Sprechaktes auf die Wiederholung von Sprechakten, wie es Butler in ihrem Buch „Hate Speech" unternimmt, relativiert, wie Butler selber anführt, den Begriff subjektiver Verantwortlichkeit. Sieht Butler darin ein unumgängliches ethisches Dilemma, so stellt sich für Rebentisch darin die logische Folge der theoretischen Voraussetzungen, von denen Butler ausgeht, dar: daß nämlich die Subjekte nur „wiederholen" können, was sie „konstituiert" hat. Als Ausweg aus diesem nach Rebentisch eben nicht ethischen, sondern theoretischen Dilemma schlägt sie ihrerseits vor, die vermeintlichen Paradoxien diskursiver Handlungsfähigkeit zu entdramatisieren. Dies sei möglich, wenn der Begriff der Wiederholung durch jenen des Gebrauchs ersetzt wird, den Rebentisch aus der späten Sprachphilosophie Wittgensteins entlehnt. Dadurch gewinnt sie nicht nur einen auf dem Gebrauch der Sprache selbst gründenden und das heißt nichtmetaphyischen Begriff der Verantwortung, sondern auch jenen der politischen Handlungsfährigkeit zurück. In ihrer Kritik geht es Rebentisch nicht um theoretische Haarspaltereien, sondern um die Frage, wie garantiert werden kann, daß Gewaltverhältnisse, die in kommunikative Praxis eingelassen sind, nicht aus dem Blick geraten. So wendet sie gegen Butler ein, daß sowohl zur Differenzierung, als auch zur Öffnung der Frage nach einem möglichen Widerstand gegen rassistische und sexistische Verletzungen zwischen einem normierenden und einem emanzipativen Sprachgebrauch unterschieden werden können muß. Von dieser Frage hängt, so Rebentisch, auch ab, ob es gelingen kann, einen postmodernen Feminismus zu entwerfen, in den auch das politische Projekt des Feminismus eingeht.

„Direkte Zusammenhänge bestehen nie" lautet der Titel des Aufsatzes von Ines Geipel über zwei Schriftstellerinnen, die sich nie begegnet sind, obwohl sie sie leicht hätte treffen können, die fast zur gleichen Zeit geboren wurden, die beide (zu) früh starben und beide, die eine im Westen, die andere im Osten, die „unsprechbaren Zeichen der Wunden und die Nachgreifbewegungen von Zerstörung" im Nachkriegsdeutschland in ihrem Schreiben darzustellen suchten. Die Rede ist von Ingeborg Bachmann und von Inge Müller. In ihrer vergleichenden Analyse der Texte dieser ungleichen und sich doch nah stehenden Schrifstellerinnen arbeitet Geipel ein gleiches, aber variantes „Signum" des Stil heraus: „ die poetologische Konzeptionierung von Regression". Die „Regressionen von Text-Körpern" liest sie als Hinweise auf „die Geschichte andauernder Entmächtigung eines individuellen Sprach-Raumes", in die Isolation, in den Tod. Die poetologische Radikalität der beiden Autorinnen der deutschsprachigen Literatur nach 1945 stellt Geipel in die Realgeschichte, die mit der „Nachgeschichte des Nationalsozialismus", der Geschichte des Schweigens begann. Sie fragt nach den jeweiligen „politisch-geistigen und ästhetisch-sensitiven Räumen", in denen die Dichterinnen aus den beiden unterschiedlichen Teilen Deutschlands nach dem Krieg gearbeitet haben. Erschreckend deutlich wird anhand der Texte der beiden Schriftstellerinnen, wie sehr die entmächtigende Gewalt der Geschichte und der politischen Verhältnisse „die konstitutive Kraft poetischer Sprache" gefährdet, wie lebensgefährlich der Weg von Ingeborg Bachmann und Inge Müller war, einen eigenen „weiblich-poetischen Individualstil" zu schaffen.

Einen ganz ähnlichen Aspekt der Umdeutung von Bedeutungen, von Veränderungen der Sprache, von Kritik an bestehender Ordnung und Gewalt spricht Gesine Palmer in ihren Gedanken zu Gesetz und Geschichte an. Palmer fragt „nach den Folgen des Konflikts zwischen dem Judentums als „Vaterreligion" und dem Christentum als „Sohnesreligion", der zugleich ein Konflikt zwischen einer Gesetzesreligion und einer Religion des Konversionsprinzips ist, für die Geschlechterfrage.

Gegen eine vorschnelle Resignation angesichts des in den letzten 40 Jahren Erreichten und angesichts auch der zu beginn konstatierten Ratlosigkeit gibt schließlich Cornelia Klinger in unserem Interview zu bedenken, dass die Veränderungen des Geschlechterverhältnisses hauptsächlich in den Bereich der kulturellen Wandlungsprozesse fallen. Und für diese gilt, so Klinger: „langsam in Gang gebracht, werden sie als solche sofort aus dem kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft gestrichen, sobald sie stattgefunden haben." Gegen diesen Automatismus plädiert sie zu Recht sowohl für die bewußte Auseinandersetzung mit der Geschichte des politischen Feminismus als auch und gerade angesichts der zunehmenden Verschlechterung der ökonomischen Situation und der Verarmung von Frauen weltweit im Prozeß der globalen ökonomischen Liberalisierung, die gesellschaftlichen Bedingungen zu beachten und die sich daraus ergebenden - simplen - politischen Forderungen mit größerer Nachdruck zu vertreten.

 

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