DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 13

Fetisch


EINLEITUNG

 

Fast scheint es natürlich, daß im Gefolge von Maskerade, Transvestismus, im Gefolge der Umwertung von Schein und Sein, von Täuschung und Wahrheit, Kultur und Natur der Fetischismus einen neuerlichen Triumpf feiert. Es ist noch nicht so lange her, daß die ideologiekritischen Diskurse um die Frage kreisten, wie dem Warenfetisch beizukommen sei. Nicht, daß man sich bloß um die ökonomischen Verhältnisse gesorgt hätte. Ähnlich wie heute, gestand man auch damals der Fetischstruktur unermeßliche und schier unbegrenzte Macht zu. So unterlagen nach Adorno nicht nur die Arbeitsverhältnisse, die öffentlichen und privaten Verkehrsformen, Kunst, Kultur, Sexualität, die Liebe, und das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur, sondern auch das Denken und die Philosophie der Macht des Fetischs. Der "Verdinglichung" inhärent ist nach damaliger wie heutiger Auffassung die Tendenz zur Totalisierung. "Verdinglichtes Bewußtsein", heißt es bei Adorno, "ist ein Moment in der Totalität der verdinglichten Welt."

Worin unterscheidet sich aber die aktuelle feministische Diskussion um den Fetisch von derjenigen der Kritischen Theorie? Worauf wollen Judith Butler, Marjorie Garber, und Teresa de Lauretis hinaus, wenn sie anstelle der Verwerfung ein lustvolles Bejahen des Fetischs propagieren? "Kritische Mimesis" nennt Judith Butler in offensichtlicher Anlehnung an den Adornoschen Mimesisbegriffs das Feiern des Fetisch. Dieses selbst sieht sie, - in Konzentration auf Lacan ganz phallisch orientiert - im ëlesbischen Phallusí verwirklicht. "Der ëlesbische Phallusí sitzt dem phallischen Fetisch als zweiter Fetisch auf, entschleiert also dessen fetischisierende Wirkung", faßt Claudia Öhlschläger in ihrem Beitrag Verschleiertes Geschlecht. Zum subversiven Potential des Fetisch bei Judith Butler und Marjorie Garber die intendierte Wirkung der Butlerschen Denkfigur zusammen. Wie in der Kritischen Theorie, und trotz aller Vorbehalte gegen die Rede vom Wahren, geht es auch hier um Entschleierung, Entlarvung und Aufdeckung.

Während jedoch von Kant bis Hegel und Adorno der Fetisch verworfen wurde, weil er Unernst, Aberglaube, Verstellung und Verdrehung mit sich führt, stellt gerade die Künstlichkeit und Scheinhaftigkeit das Versprechen dar, das den Fetisch für die Vertreterinnen des feministischen Dekonstruktivismus zu einem Hoffnungsträger werden läßt. Das gängige Verständnis der Konstruktion und die Zuschreibung des Fetischs selbst werden in der feministischen Adaption nicht angetastet, sie werden nur, wie die Filmwissenschaftlerin und Philosophin Getrud Koch in unserem Interview ausführt, anstatt verworfen, patriarchalisch und zwangshetereosexualistisch begründet. Das feministische Verfahren stellt also im Unterschied zur Kritischen Theorie die Doppelgesichtigkeit des Fetisch aus. Er wird zum "Satyr der Macht", und zugleich zu deren mimetischer Unterlaufung. Der Fetisch, so Getrud Koch im Interview, sei der Glücksbringer, an den man nur halb glaubt.

Die Konstruktion des "lesbischen Phallus" wirft freilich viele Fragen auf. Eine davon ist, ob sich ein Glaube, auch wenn es nur ein halber wäre, verordnen läßt. Denn um bloßes Spiel und eine pure Frage des Glaubens oder des zufälligen Begehrens zu sein, ist die Sache nun wieder zu ernst. Geht es doch immerhin darum, das Patriarchat, den Phallokratismus und die Zwangsheterosexualität zu unterlaufen. Hier scheinen sich die Ansprüche der Entschleierung des symbolischen Phallus mit der Kritik der Aufklärung und ihres Wahrheitsanspruches, wofür wiederum der symbolische Phallus steht, in die Quere zu kommen. Es ist ein bißchen wie in der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel. Hat man sich einmal auf das Spiel mit dem symbolischen Phallus eingelaßen, ist er einer immer schon voraus.

Eine weitere Frage, auf die in den Beiträgen in verschiedener Form eingegangen wird, ist jene nach dem Status der Psychoanalyse. Denn - und darin unterscheidet sich der Mainstream der feministischen Diskussion um den Fetischismus von der Kritischen Theorie: In Frage steht nicht der marxsche Warenfetisch und die Gesellschaft, sondern der Freudsche Fetischismus und mit ihm der Ursprung der Geschlechterdifferenz. In seinem kurzen Aufsatz Fetischismus aus dem Jahr 1927 hatte Freud die Struktur des Fetischismus als "doppelte Verleugnung", als die Verleugnung von etwas beschrieben, was es gar nicht gibt. Um der Entdeckung der Penislosigkeit der Mutter vorzubeugen, dichtet der kleine Junge und spätere Fetischist der Mutter einen Ersatzpenis an. Der Fetisch ist der Penis, den die Mutter nicht hat - und gerade nicht der Penis der Mutter. Motiviert ist diese doppelte Verleugnung durch die Kastrationsdrohung, die durch die Penislosigkeit der Mutter unerträglich aktualisiert würde. Diese raffinierte Struktur, in der über die Verleugnung des nicht existierenden Phallus ein Ersatz materialisiert wird, bietet sich nun dazu an, den Glauben an den "natürlichen Unterschied der Geschlechter" seinerseits als Produkt der Verleugnung auszustellen. Man muß dafür nur den sexuellen Fetischismus generalisieren und ihn vom Verdikt der Perversion befreien. Denn tatsächlich fällt der Ursprung des Fetischismus gemäß Freud mit der "Entdeckung" des Geschlechterunterschiedes zusammen. Im feministisch-dekonstruktivistischen Verfahren wird diese angebliche Entdeckung des Unterschiedes der Geschlechter mit Hilfe der doppelten Verleugnungsstruktur als fetischisierende Konstruktion gedeutet.

Doch wird mit der Totalisierung des Fetischs nicht zugleich die Konstruktion des Ödipuskomplexes und der Kastration der Frau ontologisch festgeschrieben? Und die psychoanalytische Theorie der Geschlechterdifferenz als überhistorische Bezugsgröße vorausgesetzt? Sowohl der Ödipuskomplex als auch die Kastrationsdrohung sind konstitutive Bestandteile des freudschen Fetischbegriffs. Wenn der Fetisch als mimetische Unterlaufung der Macht in Anspruch genommen wird, muß dann nicht zugleich die Definition des Ödipuskomplexes und die Defininition der Frau als kastriertem Mann billigend in Kauf genommen werden?

Nicht zuletzt wegen solcher Bedenken löst Elizabeth Goodstein in ihrem Beitrag Eine spezifisch moderne Begehrlichkeit. Fetischismus und George Simmels Phänomenologie der Moderne die Diskussion von der Fixierung auf die Psychoanalyse und führt sie zurück auf das geschichtsphilosophische Feld. Ausgehend von Georg Simmels Deutung des Fetischismus schlägt sie vor, Fetschismus als geschichtliche Lebensform zu verstehen, "die um eine begehrende Beziehung zu Dingen orientiert ist, unter Bedingungen, wo weder das subjektive Begehren noch die Objekte selbst metaphysische Bedeutung haben." Konkretisiert hat sich diese Lebensform bei Simmel in der Koketterie, jener Form, in der die Unentschiedenheit des Lebens zu einem positiven Verhalten kristallisiert ist, und die aus dieser Not zwar keine Tugend, aber eine Lust macht. Für Elizabeth Goodstein wird die Koketterie zum Anknüpfungspunkt für eine säkularisierte Lebensform, die es erlaubt, die Stukturen der modernen Begierde und der Subjektivität jenseits metaphysischer Begrifflichkeiten historisch, psychologisch und philosophisch zu untersuchen.

Auch Julika Funk und Elfi Bettinger stoßen in ihrem umfassenden und kenntnisreichen Überblick über die Diskussion des Fetischismus im Kontext feministisch-dekonstruktivistischer Ansätze immer wieder auf die Ambivalenz des Fetischs und die kritischen Nachfragen, die sich daraus ergeben. So weisen sie bereits in der Einleitung ihrer Darstellung Weiblichkeit als Maskerade und der Fetisch Phallus auf das Unbehagen hin, das sich angesichts der sexistischen und rassistischen Hypothek der Geschichte des Fetischbegriffs beim Gedanken einer feministischen Adaption einstellt. Der Fetisch ist ein moderner, aus der unheiligen Allianz von Aufklärung und Kolonisation entstandener und mit dieser untrennbar verbundener Begriff für künstlich hergestellte und doch mit magischen Zauberkräften ausgestattete Dinge, die in ëanderení, ëfremdení, sprich ëwilden und unzivilisiertení Kulturen als rituelle Gegenstände dienen. "Das Ablehnung und Faszination zugleich hervorrufende Fremde bestimmt das Denken des Fetisch von Anfang an", konstatieren die Autorinnen und befragen vor diesem Hintergrund die diversen Fetischkonzepte nach der Reichweite ihrer kritischen Intentionen. Freilich gelingt ihnen, da sie den Bedenken gegen die Adaption des Fetisch den ihnen gebührenden Platz einräumen, auch die Darstellung der Gründe, die für die Konstruktion des ëphallischen Fetischsí als mimetischer Unterlaufung sprechen, in überzeugender Weise.

Claudia Öhlschläger konzentriert sich in ihrem Aufsatz Verschleiertes Geschlecht auf die Diskussion von zwei Fetischkonzeptionen. Dabei führt sie sowohl Butlers Fetischadaption, als auch die Figur des Transvestiten von Marjorie Garber an die Grenzen ihrer kritischen Potenz. Beide verirren sich, so Öhlschlägers kritische Einschätzung, in den Verleugnungsstrukturen des Fetisch - es gelingt ihnen nicht, aus dem Kreislauf des Fetischismus auszubrechen. "Judith Butlers Dekonstruktionsmodell", faßt sie zusammen, "stößt meines Erachtens dort an seine Grenzen, wo das Lacansche Koordinationssystem von ëHabení und ëSeiní zwar verschoben, jedoch nicht aufgegeben wird, wo die ëKomödie der Geschlechterí (Lacan) als eine Komödie zwangsheterosexueller Theorie ausgewiesen, die lacanschen Prämissen jedoch nicht eigentlich widerrufen werden." Wie Garber mit der Theorie des Transvestismus, gelingt es auch Butler mit dem ëlesbischen Phallusí, die Leerstellen und die Aporie der phallozentrischen Fetischismustheorie auszustellen, doch, so fragt Claudia Öhlschläger, lohnt sich der dafür bezahlte Preis?

Einen Ausweg weist die us-amerikanisch-indische Kulturkritikerin und Philosophin Gayatri Chakravorty Spivak. Sich auf zwei Kulturen berufend, ohne die eine gegen die andere auszuspielen, führt sie in Echo eine Lektüre ohne Macht vor. Nicht der Fetischismus, sondern der Narzißmus ist das Thema ihres Beitrages. Und doch muten ihre Einwände gegen die Narzißmustheorien wie kommentierende Beiträge zu den oben gestellten Fragen an. So weist sie gleich zu Beginn die unreflektierte Anwendung der Psychoanalyse wegen des mit ihr einhergehenden beiläufigen Rassismus in der Kulturkritik zurück. Anstelle einer Universalisierung von psychoanalytischen Kategorien wie des Narzißmus oder des Fetischismus schlägt sie ein ethisches, an der Tradition praktischer Ethik in Indien geschultes Philosophieren vor. Für ein solches Philosophieren als ethische Praxis ist das moralische Dilemma das wichtigste Anwendungsgebiet, nicht um es aufzulösen, sondern um es zu entfalten und um ihm gerecht zu werden. Dazu gehört die Sensibilität für den Erfahrungsgehalt der

Geschlechtermetaphorik ebenso, wie für die Bedeutung der Geschichtlichkeit und die Reflektion auf die eigene Gebundenheit bezüglich von Rasse, Klasse und Geschlecht. In einer, wie sie betont, ethisch motivierten dekonstruktivistischen Relektüre der Ovidschen Geschichte von Narziß und Echo zeigt sie nicht nur, daß in den verschiedenen Narzismußtheorien der Part der Echo unberücksichtigt bleibt, sondern auch, daß in dem zwischen Narziß und Echo sich entfaltenden moralischen Dilemma die Geschichte der Zeugung und Geburt von Narziß und die Vorgeschichte Echos selbst mitspielen. Behutsam legt Gyatri Spivak die Spuren Echos in der Geschichte frei und zeigt, daß die Narzißerzählung in den Rahmen einer asymmetrischen Struktur von "Überschreitung, Strafe und zweifelhafter Belohnung" eingebunden ist. Dabei stellt sie über die Rolle von Echo in der Narzißerzählung eine Verbindung zu einem anderen Ort eines moralischen Dilemmas her: Wie nämlich das Verhältnis der "weltweiten Gemeinschaft farbiger Feministinnen bürgerlicher Herkunft" zu den subalternen ëFrauení ohne Macht zu gestalten sei.

In unserem Interview mit der Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch kommt schließlich, wie bereits der Titel Gegen die Auflösung des Bildes in der Metapher andeutet, eine Facette des Fetischs zur Sprache, die ihm, fast möchten wir sagen, wesentlich zugehört und doch in den Diskussionen oft übergangen oder unterschlagen wird: das Bildhafte. Selbstverständlich läßt sich das Bild, gerade das Filmbild, nicht losgelöst von der Theorie der Psychoanalyse thematisieren, und doch bildet die Berücksichtigung der konkreten geschlechterspezifischen Schauerfahrung eine Korrektur gegenüber der von den Bildern in ihrer Vielfältigkeit abstrahierenden Subsumierung der Bildbedeutung unter die Herrschaft des symbolischen Phallus. Als ëkomfortabelí, aber doch als ëSackgasseí bezeichnet denn Getrud Koch das "semiotische Totalisierungsmoment der lacanschen Theorie", für die die Unausweichlichkeit der Fetischbildung eine Voraussetzung der Sprachbildung ist. Zu denken gibt freilich, daß in diesem Sprachbildungsmodell noch das Bildhafte am Fetisch selbst in der sprachlichen Metapher zum Verschwinden gebracht wird.

 

Die Herausgeberinnen