DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 11

Provokation Politik


EINLEITUNG

 

Der Vorwurf, feministische Theorie entferne sich immer weiter von der politischen Realität der Frauenbewegung, verselbständige sich, sei nicht mehr nachvollziehbar, unverständlich selbst für interessierte Frauen, ist fast so alt wie die feministische Theorie selbst. "Auch Theorie ist eine Praxis", lautete immer wieder die Standardantwort der kritisierten Expertinnen, die damit ihr Denken und ihre Forschungsarbeit vor allzu schneller politischer Vereinnahmung schützten. "Frauen zur philosophischen Argumentation zu befreien ist selbst Desiderat heutigen Denkens von Frauen", formulierte Brigitte Weißhaupt einmal und brachte damit das Selbstverständnis vieler feministisch orientierter Philosophinnen auf den Punkt. Doch reicht das heute noch aus? Die Frauenbewegung, aus der heraus die feministische Theorie entstanden ist, existiert nur noch fragmentiert, in Form von vielen vereinzelten Projekten, in denen die engagierten Frauen ihre Einzelinteressen vertreten und durchsetzen. Eine gemeinsame Politik scheint es nicht mehr zu geben, selbst die Hoffnungen auf eine neue Frauen-Power, während der deutschen Vereinigung aufgeflammt, scheinen an der Realität schnell gescheitert zu sein. Die Entdeckung immer neuer Differenzen, die mit der (notwendigen) Kritik der Schwarzen Frauen an der Frauenbewegung mit ihrer Universalisierung der weißen Mittelstandsfrau begonnen hat, trägt die Gefahr einer heillosen Zersplitterung in sich. Parallel und durchaus dazu passend hat eine Theorie Konjunktur, in der die "Kategorie ëFrau(en)í" abgeschafft und zum Sturz des Subjekts und der "Zwangsheterosexualität" aufgerufen wird. Welche Folgen hat es, wenn das Politische, wie Judith Butler es in ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter tut, aus dem Bereich der Gesellschaft in "jene Bezeichnungsverfahren" transferiert wird, "durch die Identität gestiftet, reguliert und dereguliert wird"?

Provokation Politik. - Ist die Frage nach dem Verhältnis von feministischer Theorie und Politik zur Provokation geworden? So verschieden die Antworten in den Beiträgen dieses Bandes sind, so haben sie doch eines gemeinsam: in keinem wird die bis dahin übliche Replik gegeben:"Auch Theorie ist politische Praxis". Dafür ist die Problematik zu brisant, dafür steht zu viel auf dem Spiel. In einem Rückblick auf die Geschichte des Feminismus in den USA und in direkter Reaktion auf die Herausforderung durch Judith Butlers Thesen zeigt die us-amerikanische Philosophin Seyla Benhabib, warum ausgerechnet das Konzept der Identität "zu einem Schauplatz heftiger politischer und theoretischer Auseinandersetzungen" geworden ist. Anders als für Butler ist das Individuum, das Subjekt, für Benhabib keine "Konstruktion", kein "performativer Akt", den es als wichtigste politische Aufgabe zu dekonstruieren gilt, sondern eines, das sich immer schon in einem labilen, ungesicherten Gleichgewicht befindet, eines, das sich durch Kommunikation mit anderen seiner eigenen Geschichte vergewissern muß, ja, das, so Benhabib, gerettet werden muß, soll die feministische Theorie nicht jedes Konzept von politischer Handlungsfähigkeit und damit ihren theoretischen Biß verlieren.

Feministische Theorie ist nicht politische Praxis, aber eine besondere Erkenntnis und das soll sie, meint Brigitte Rauschenbach in ihren Aufsatz "Erkenntnispolitik als Feminismus", auch bleiben. Um dieser besonderen Erkenntnis einen Namen zu geben, hat Rauschenbach den Begriff "erkenntnispolitisch" geprägt. Damit will sie die Ansätze feministischer Theorie nicht als unwissenschaftlich oder durch politische Erwägungen verunreinigt denunzieren, sondern im Gegenteil auf die ganz besondere wissenschaftskritische Instanz dieser Ansätze hinweisen. Feministische Theorie hat sich im "geschlechtserfahrenen Widerspruch zum kategorialen Gerüst vorhandener Philosophien und Gesellschaftstheorien" entwickelt. Das heißt, sie bezieht ihren Existenzgrund aus dem Aufweis des Politikums von Denkformen, die im allgemeinen nicht auf dem Terrain des Politischen verhandelt werden. Wie ernst es Rauschenbach mit dem kiritschen Potential der feministischen Theorie als erkenntnispolitischer ist, bekräftigt sie in der Replik auf Käthe Trettin, die den Begriff in einem Artikel in der "Frankfurter Rundschau" verwendet hat, um den Erkenntniswert feministischer Kritik zu relativieren. "Nur" erkenntnispolitisch sei die Geschlechtskategorie relevant, mein Trettin, nicht jedoch epistemologisch. "Erkenntnispolitische Analysen zielen", so führt Rauschenbach dagegen aus, "auf das Politikum der Epistemologie, das diese von sich abweist" und weiß sich in diesem Punkt einig mit Judith Butler. Ebenso kritisch wie Seyla Benhabib beurteilt jedoch auch Brigitte Rauschenbach die Ausblendung der ökonomisch-politischen und gesellschaftlichen Fragen und den Rückzug auf eine politische Strategie, die nicht mehr als subversiv sein kann und will.

Hart geht Kornelia Hauser mit der feministischen Theorie ins Gericht. Ernüchternd fällt aber auch ihre Bilanz über den Zustand der Frauenbewegung aus. Während die eine den Kontakt mit dem Alltagsverstand verloren habe, ja sich um den Kontakt und das Gespräch mit jenen Subjekten, die nicht zur "scientific community" gehören, nicht schere, beschränke sich die andere auf die Formulierung von Forderungen an den Staat. Kornelia Hausers Fazit: "Wir finden eine klassisch staatliche ëFrauenpolitikí, eine klassisch universitär insititutionalisierte Frauenforschung und mehr oder minder in Nischen stattfindende Selbstveränderungspraxen." Eine Wiederbelebung des Unternehmens kritische feministische Theorie setzt nach Hauser die Rückbindung der wissenschaftlichen Arbeit an den Alltagsverstand voraus, da der Alltagsverstand das retardierende Moment in den Geschlechterverhältnissen darstelle. In Anlehnung an Antonio Gramscis Philosophie der Praxis unternimmt sie die Refomulierung eines zu erstrebenden Verhältnisses von feministischer Theorie und Politik, in deren Mittelpunkt der Begriff der "kulturellen Hegemonie" steht. Zu dessen Realisierung wäre allerdings - wie Hauser selbst einräumt "paradoxerweise" - die Wiederauferstehung der Frauenbewegung notwendige Bedingung.

Und was tut sich in der Frauenbewegung? Gibt es nicht doch irgendwo kleine, hoffnungsversprechende Ansätze? Wo sind die Kräfte geblieben, die die Vereinigung der beiden deutschen Staaten freigesetzt hatte, diesem, so Susanne Diemer, für die zukünftige Frauenpolitik in der Bundesrepublik "folgenreichsten Ereignis seit dem Entstehen der zweiten Frauenbewegung"? Sie sind unter der Bedrohung als welche die Erfahrung der Differenz zwischen West-und Ostfrauen begriffen wurde, erstarrt; gebannt durch die Sprachlosigkeit und die Tabuisierung der Probleme, die als unmittelbare Folge der Bedrohung eingesetzt hatte. Um sie erneut zu mobilisieren, plädiert Diemer für die Entwicklung einer frauenpolitischen Streitkultur. Die Angst, dem Solidaritätsanspruch nicht gerecht zu werden, habe allzu lange jede Kommunikation blockiert, was jetzt anstehe, sei eine genaue Analyse und die Anerkennung der Differenzen, die sich sowohl auf die Ungleichzeitigeiten der verschiedenen Gleichberechtigungspolitik bezieht, als auch auf die Alltagserfahrungen und die spezifischen Emanzipationsvorstellungen in Ost und West.

In ganz ähnliche Richtung geht Karin Aleksander, "Ost-Philosophin" und Mitarbeiterin am Zentralistitut für interdisziplinäre Frauenforschung (ZIP) an der Berliner Humbolduniversität, wenn sie schreibt: "Vier Jahre nach dem 3. Oktober ist es immer noch erforderlich, öffentlich dazu aufzurufen, sich wechselseitig die persönlichen Lebensgeschichten zu erzählen..." . Nicht nur, weil es immer noch passiert, daß sie von einer westdeutschen Studentin gefragt wird, ob sie in der Diktatur, in der sie gelebt habe, auch einmal lachen durfte, sondern auch weil sich die unterschiedlichen Erfahrungen bis in das Verständnis und den Gebrauch von einzelnen Wörtern und Begriffen niederschlagen. Bevor man sicher sein kann, daß wirklich vom Gleichen gesprochen wird, ist es, so Aleksander, nötig, sich über die Wörter zu verständigen: "Welche Kette von Emotionen, Reaktionen lösen wir aus, wenn wir solche Begriffe wie ëDemokratieí, ëDiktaturí, ëPatriarchatí, ëFeminismusí u.a. gebrauchen?"

"Bekanntes erkennen" lautet der Titel ihres Beitrages, mit dem sie bereits auf ihre These anspielt, daß, gerade weil sich die Alltagserfahrungen so tief in die Sprache eingraben, es auch wichtig ist, daß die Frauenforschung in der und über die ehemalige DDR und den "Transformationsprozeß" von Wissenschaftlerinnen aus den östlichen Bundesländern "auf der Folie der gelebten DDR-Geschichte" geleistet wird. Da es auch um ihre eigene Geschichte geht, bringen sie etwas mit, was Wissenschaftlerinnen aus dem Westen nicht ersetzen können.

"Informationen zur Frauenforschung Ost" verspricht Karin Aleksander im Untertitel. Sie hat für die "Philosophin" die bisher wohl umfassendste Darstellung über Geschichte und Fakten der Frauenforschung in den östlichen Bundesländern zusammengestellt.

Im Gespräch mit Andrea Maihofer kommen wir noch einmal zurück auf den Anfang und den Ausgang zu sprechen, auf Seyla Benhabibs Kritik an Butlers Thesen und die Frage, ob feministische Kritik wirklich ihren theoretischen Biß verliert, wenn sie kein Konzept einer normativen Handlungsfähigkeit festhält. Die Philosophin aus Frankfurt hatte nach der deutschen Vereinigung zusammen mit anderen Frauen versucht, in die Verfassungsdebatte einzugreifen. Damals hatte sie in Anlehnung an das Konzept der Mailänderinnen die Notwendigkeit einer geschlechterdifferenten Rechtsprechung vertreten. In der Diskussion um Judith Butlers Thesen setzt sie sich unter Zuhilfenahme des Begriffs der "Existenzweise", den sie anstelle der Kategorie des Geschlechts setzt, für die "Vervielfältigung der Geschlechter" ein. Was heißt es, daß "das Geschlecht erstmals insgesamt zu einem gesellschaftlichen Phänomen" wird? Welche politischen Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Wird damit die Rede von "Frauen" und Männern" obsolet? Anders als für die Autorinnen der Beiträge eröffnet der diskurstheoretische Ansatz Butlers und ihre Kritik der herkömmlichen feministischen Theorie für Maihofer neue Denkmöglichkeiten und neue politische Strategien.

 

Es bleibt noch die traurige Mitteilung, daß sich die französische Philosophin und Schriftstellerin Sarah Kofman am 15. Oktober letzten Jahres das Leben genommen hat. Sie war Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der "Philosophin". Wir haben ihrer Hilfe und ihren Schriften viel zu verdanken.

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