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Beata Pascevica
"MAN KANN UNS NIEDRIG BEHANDELN, NICHT ERNIEDRIGEN"
Schillers Maria Stuart in der Sowjetunion des Massenterrors - ein hochaktueller Klassiker, gedeutet von dem Regisseur und Theaterkritiker Bernhard Reich


Dass Klassiker der Weltliteratur immer wieder neu gelesen und interpretiert werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Interessant wird es, wenn die Lektüre oder Interpretation mit dem persönlichen tragischen Schicksal des Interpreten in Verbindung steht und sich dadurch ungeahnte Sichtweisen auf das scheinbar gut bekannte Werk eröffnen. So geschieht es mit Schillers Maria Stuart, uraufgeführt im Theater Lensowjet im Jahre 1938 , gesehen und nachempfunden von einem von Angst um die eigene Existenz und vor allem um das Leben seiner Frau bangenden Menschen inmitten der Epoche des stalinistischen Terrors, kurz vor dem Anfang des Großen Vaterländischen Krieges. Der Mann und seine Frau überleben, aber 1940 stehen sie am Anfang ihres Leidensweges, der erst einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für sie eine Rückkehr und einen Neu-beginn bedeuten wird. Im Juliheft der Zeitschrift Teatr im Jahr 1940, kurz nach Kriegsbeginn, erscheint der Aufsatz des Regisseurs und Theaterkritikers Bernhard Reich mit dem Titel Klassika vsegda sovremenna (Klassik ist immer zeitgenössisch).
Der österreichisch-jüdische, zum Theater übergewechselte Doktor der Rechtswissenschaft ist schon Mitte der zwanziger Jahre Wahlsowjetbürger geworden, aus Liebe zu dem Theater von Wsewolod Mejerhold, aus Liebe aber auch zu einer Frau, der lettischen Regisseurin Asja Lacis, die in Berlin und Moskau Aufsehen erregt hatte, indem sie den Deutschen über die russische Thea-terrevolution berichtete und die Russen wiederum mit ihren Publikationen und Vorträgen von der neuesten deutschen Dra-maturgie in Kenntnis setzte. Reich, seinerzeit Regisseur am Deutschen Theater Berlin, lernt Asja Lacis hier im Jahre 1922 kennen. 1925 geht er nach Moskau, wohin ihm kurz daraufhin Asja Lacis folgt. Die Beziehung der beiden dauert ein Leben lang. Zur offiziellen Verbindung jedoch, zur Heirat, kommt es erst nach zahlreichen Prüfungen durch Verhaftung, Krieg und Trennung im Jahre 1957. Bernhard Reich ist dem theaterinteressierten Publikum vor allem durch sein Erinnerungsbuch Im Wettlauf mit der Zeit bekannt, in dem er über die Zusammenarbeit mit Max Reinhardt, Erwin Piscator, Bertolt Brecht und Alexander Moissi schreibt. Bernhard Reich gehört zu den ersten, die sich in der Sowjetunion für die Verbreitung des Werks von Bertolt Brecht engagieren und seinen Stücken auf die russischen Bühnen verhelfen. In dieser Hinsicht ist er bis heute noch zu wenig gewürdigt, in den Schatten gedrängt von anderen sowjetischen Theaterkritikern, teilweise seiner Sprache, teilweise seines weltbürgerlichen Bildungsniveaus wegen. Wieviele Manuskripte von Bernhard Reich in den Moskauer Archiven noch verborgen liegen, wird die Zukunft zeigen.
Für die Arbeit am Berliner Ensemble, wohin ihn Bertolt Brecht ausdrücklich einlädt - Brecht übernimmt auch die Abwicklung aller Formalitäten - , verfasst Reich einen Lebenslauf: "Dr. Bernhard Reich, geb. 20. Juni 1894 in Brerau, CSR. 1915 wurde ich zum Dr. jur. an der Wiener Universität promoviert. Vom Jahre 1914 bis 1920 war ich als Regisseur und Dramaturg an verschiedenen Wiener Theatern. Im Jahre 1920 wurde ich an das Deutsche Theater Max Reinhardts als Regisseur berufen, arbeite-te dort bis zum Jahre 1925, mit einer einjährigen Unterbrechung, wo ich als Oberregisseur an den Münchener Kammerspielen war. Ich führe einige der wichtigsten Inszenierungen: "Nachtasyl" von Gorki, "Russenabend: Er ist an allem schuld" von Leo Tolstoj, "Die Spieler" von Gogol; "König Lear" von Shakespeare, "König der dunklen Kammer" von Tagore, "Ein Glas Wasser" von Scribe. Von 1925 ab befinde ich mich in der Sowjetunion, wo ich als Regisseur, Theaterkritiker, Wissenschaftler arbeite. Seit 1934 gehörte ich dem Schriftstellerverband als Mitglied an. Im Jahre 1942 bis 1943 war ich in Taschkent der Sekretär der Gruppe antifaschistischer Schriftsteller. Ich war 1929 bis 31 wis-senschaftlicher Sekretär der Theatersektion an dem Literaturinsti-tut der Kommunistischen Akademie, wirkliches Mitglied der Staatlichen Akademie der Künste, von 1931 bis 34 Leiter des Lehrteils der Staatlichen Theateruniversität, 1935 bis 1937 Chefredakteur der MORT . Usw. Seit 1932 habe ich die Sowjetische Staatsbürgerschaft. 1931 wurde ich als Kandidat in die Kommunistische Partei aufgenommen. 1938 wurde ich aus der Partei ausgeschlossen wegen Be-kanntschaft mit Knorren. 1943 wurde ich repressiert, im Januar 1951 wieder entlassen. Seitdem lebe ich in Valmiera und betätige mich schriftstellerisch. Moskau, den 25.5.1955" Im Jahre 1940 befindet sich Bernhard Reich noch in Moskau, seine Frau ist im Januar 1938 zusammen mit vielen anderen Mitgliedern des lettischen Emigrantentheaters Skatuve (Die Bühne) verhaftet worden. Die Tochter von Asja Lacis, Dagmara Kimele, damals noch Schülerin, schreibt in ihrem 1997 in lettischer Sprache unter dem Titel Asja erschienenen Erinnerungsbuch über ihre Mutter: Die Mutter wurde am 12. Januar 1938 verhaftet. Schon lange vorher konnte man spüren, daß die Luft dick wurde. In dem lettischen Theater "Skatuve", wo Asja arbeitete, hatte man begonnen, Men-schen zu verhaften. Darüber wurde nicht laut gesprochen, sie verschwanden einfach. Einer nach dem anderen … In der Erinnerung von Dagmara Kimele wurde Reich zum KGB geladen, ihm wurde vorgeschlagen zu unterschreiben, dass As-ja Lacis in einer antisowjetischen Organisation mitgewirkt habe und er sich von ihr nun lossage. Reich unterschrieb nicht, ob-wohl ihm sehr wahrscheinlich bewusst war, was ihn das kosten wird. Er wurde entlassen und aller Funktionen im Theaterinstitut enthoben. Er war nicht länger Dekan der Regiefakultät, und auch Vorlesungen durfte er nicht länger halten. Aus Gnade durfte er eine Arbeit im Archiv des Instituts übernehmen. Seit Asjas Verhaftung wartete Reich jede Nacht, dass auch er abgeholt würde. Er hatte die allernötigsten Sachen in einen Sack gepackt, um jederzeit bereit zu sein. [...]
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Letzte Änderung: 05.09.2003  | Ansprechpartner/in: Inhalt & Technik