Restaurierungsarbeiten und Ruinenpflege > Programme für das  Ruinengelände von Milet
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.Prof. Dr. Volkmar von Graeve

Programme für das  Ruinengelände von Milet

 

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Die Ruinen der ehemals stolzen Seestadt Milet liegen heute inmitten einer landwirtschaftlich genutzten Schwemmebene (Abb. 1). Verschiedene Faktoren, die im Rahmen der Miletgrabung erforscht worden sind, haben dazu geführt, daß der ursprünglich offene Golf, an dem die Stadt gegründet worden war, durch die Alluvion des Mäander nach und nach verlandete. Die gewandelte topographische Situation und der Verlust der Häfen haben die Stadt bereits vor dem Ende der Antike schwer geschädigt und Milet (Balat) dann im Mittelalter endgültig zur Landstadt gemacht..

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I. Vegetation und Ruinenstätte 

 
Heute sind große Teile des ehemaligen Stadtgebietes von Vegetation bedeckt. In der unausgegrabenen südlichen Stadthälfte dehnen sich bis zu den Stadtmauern Felder aus, die jedes Jahr neu bestellt werden. Auf der größten Agora der Stadt, dem sog. Südmarkt, der nur teilweise durch Grabungen erforscht ist, befindet sich heute ein Baumwollacker. Nur der Stadtbereich um das Theater und um das 1899-1913 ausgegrabene Stadtzentrum sowie der nördliche Stadthügel (Hometepe) sind heute frei von landwirtschaftlicher Intensivnutzung. In diesen Gebieten wird ganzjährige Weidewirtschaft betrieben. Dadurch wird das Gelände zwar stark überdüngt, andererseits aber auch das Hochkommen eine
r wild wuchernden Macchia verhindert.


In der Südstadt liegen einige bereits früher ausgegrabene Ruinen wie Inseln in einem grünen Meer. Das Heilige Tor in der südlichen Stadtmauer, an dem Th. Wiegand seine Ausgrabungen im September 1899 begann (Miletarchiv), war im Lauf der letzten Jahre vollständig unter der Vegetation verschwunden (Abb. 2). Erst durch aufwendige Reinigungsmaßnahmen konnten die Baustrukturen wieder sichtbar gemacht werden (Abb. 3). Solche Maßnahmen müssen sich in kürzeren Zeitabständen wiederholen, weil die Düngung der benachbarten Felder den Strauch- und Baumwuchs immer wieder hochtreibt. Ähnliche Probleme bietet das antike Stadtzentrum, das ebenfalls schon von Th. Wiegand ausgegraben worden ist. Die Hauptvegetation bilden hier Tamarisken, die den von der Winterüberschwemmung (siehe unten) zurückbleibenden salzhaltigen Boden bevorzugen (Abb. 4). Wenn man sie nicht jedes Jahr bekämpft, würden auch hier die antiken Reste bald nicht mehr sichtbar sein.

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Bäume nisten sich selbst auf den höher anstehenden Ruinen ein. Da viele Fugen dieser Bauten nicht mehr, wie zur Zeit der Erbauung, geschlossen sind, sammelt sich Flugerde, die den Wurzeln Nahrung gibt. Eine Jahrzehnte alte Terebinthe wie etwa diejenige, die hoch auf der Westseite des Theaters von Milet (Abb. 5) wuchs, mag zwar die Ruinenromantik gefördert haben, richtete aber tatsächlich durch die Kraft ihrer Wurzeln beträchtliche Schäden an der Bausubstanz an. Selbst tonnenschwere Blöcke können so aus ihrer Lage gedrängt werden. Auch Mörtelmauerwerk wird durch Wurzeln regelrecht gesprengt. Um schädliche Wurzeln zu beseitigen, müssen oft große Blöcke aufwendig gehoben und wieder zurückversetzt werden. Die Abbildungen 6-7 zeigen eine solche Prozedur, die an einer anderen Stelle des Theaters notwendig wurde sowie die entfernte Wurzel, die diese Kraft entwickelt hat.

 

II. Restaurierung und Bausanierung  

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Die größte Aufgabe für die Miletgrabung stellt z.Zt. Restaurierung des Theaters dar, weil dieser Bau die Hauptruine von Milet ist und auch die meisten Besucher anzieht. Das darf aber nicht davon ablenken, dass auch an anderen Stellen des Stadtgebietes immer wieder Bausubstanzen saniert werden müssen, um sie in ihrem Zustand als Ruine zu erhalten und vor dem weiteren Verfall zu schützen. In byzantinischer Zeit, als die Stadt auf ihren innersten Kernbereich zurückgeschrumpft war, wurde über dem zur Befestigungsanlage ausgebauten Theater ein Kastell errichtet. Seit 1990 werden an diesem das Ruinenfeld beherrschenden Bau Sanierungsarbeiten durchgeführt.
 

 

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Wie bei allen diesen Restaurierungsarbeiten in Milet gilt auch hier das Prinzip, nur den Bestand zu erhalten und zu sichern, d.h. den Ruinenzustand zu bewahren und nicht etwa, den Bau in seiner ursprünglichen Gestalt bis zu den Zinnen wieder aufzubauen. Daher beschränken sich die Maßnahmen beispielsweise darauf, Mauerlücken (Abb. 8) auszuflicken, weil nur so ein weiterer Verfall verhindert werden kann (Abb. 9). Wo die Außenschalen der Mauern abgefallen sind und die empfindliche Innenfüllung freigegeben haben (Abb. 10), werden sie auf den erhaltenen Fundamenten und mit dem originalen Material, das in der Regel noch an der Absturzstelle liegt, wieder hochgezogen (Abb. 11).Eine Rollschicht aus Ziegeln zeigt dabei die Grenze zwischen dem alten und dem wiederhergestellten Mauerwerk an. Bei allen diese Arbeiten wird vollkommen auf Beton verzichtet, sondern nur der schon damals verwendete und damit altbewährte Kalkmörtel eingesetzt. Mauern werden nur auf erhaltenen Fundamenten nur so weit hochgezogen, wie der erhaltene Bestand reicht, den sie stützen sollen. Aber auch mit diesen vorsichtigen Maßnahmen gelingt es, die ursprüngliche Gesamtsubstanz sichtbar und den Bau für den Besucher wieder erfahrbar zu machen.

Eine Luftaufnahme von 1998 zeigt den auf diese Weise sanierten Grundriß des Kastells (Abb. 12). Vergleicht man den hier sichtbaren Zustand mit demjenigen auf einem alten Luftbild (Abb. 15), dann wird der Umfang der geleisteten Sanierungsarbeiten deutlich. Besonders die weitgehend verfallene Ostfront des Kastells, hier in einer Aufnahme von 1991 (Abb. 13), hat sich durch die geschilderten Maßnahmen beträchtlich verändert (Abb. 14). In der Kampagne 2001 wurde zusätzlich die komnenische Verteidigungsmauer mit ihrer Tordurchfahrt restauriert, so daß die gesamte Verteidigungsanlage jetzt viel von ihrer alten Wehrhaftigkeit zurückgewonnen hat.

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III. Anlage von Besucherwegen

 
Milet gilt als Muster einer geplanten antiken Stadt mit rechtwinkelig angelegtem Straßensystem, als dessen Erfinder Hippodamos von Milet gilt (Stadtplan von Milet). Da aber der Gesamtbereich der Stadt nur sehr unvollständig ausgegraben ist, kann man heute von dieser Stadtplanung kaum etwas im Gelände sehen. Eine Luftaufnahme aus den 70er Jahren (Abb. 15) zeigt daher beispielsweise im Bereich östlich des Theaters mit seinem damals noch verfallenen Kastell keinerlei Straßen, sondern lediglich die offenen Wiegand’schen Suchgräben mit ihrem nie beseitigten Grabungsschutt. Durch diesen Bereich mußten die Besucher gehen, wenn sie sich nach dem Besuch des Theaters in das ausgegrabene Stadtzentrum begeben wollten, das gerade noch rechts im Bild erscheint. Es blieb kaum eine andere Möglichkeit als sich - ohne etwas über die antike Urbanistik zu erfahren - auf Trampelpfaden vorwärts zu bewegen, die sich durch Gräben und Grabungsschutt schlängelten.

 

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Um diese Situation mit ihren verschiedenen negativen Aspekten zu verbessern, wurde nach dem von W. Eder entwickelten Konzept zur touristischen Erschließung der Gesamtruine von Milet mit der Anlage von Besucherwegen in diesem Bereich begonnen. Das Konzept sah vor, dass die Besucherwege in ihrer Richtung und ihrer Dimensionierung den hippodamischen Straßen folgen sollten, deren System von B. F. Weber für diesen Teil der Stadt erschlossen worden ist (Stadtplan von Milet). Statt Straßen auszugraben, was eine jahrzehntelange Arbeit erfordert hätte, sollte dieses „hippodamische System“ gewissermaßen auf die heutige Geländeoberfläche „aufgezeichnet“ werden (Abb. 16). Damit konnte der rein pragmatische Zweck der Wegeerschließung mit einem didaktischen Hinweis auf die ursprüngliche Stadtplanung kombiniert werden. Um Ausgrabungsarbeiten nicht zu behindern, die später hier vielleicht einmal stattfinden, sollten diese Maßnahmen reversibel, d.h. rückgängig zu machen sein. Diesen Zweck konnten am besten aufgeschüttete Erdwege erfüllen, die jederzeit wieder zu entfernen sind und nicht in unausgegrabene Schichten eingreifen. Für diese Erdwege ließ sich wiederum der überall herumliegenden Grabungsschutt verwenden, der auf diese Weise in der Ruine blieb, gleichzeitig aber mit seinen negativen Wirkungen aus dem Ruinenbild verschwand.

    
Seit 1997 wird an dem beschriebenen Wegebau gearbeitet. Der alte Grabungsschutt – hier das Bild einer großen Halde an der Ostseite des Theaters (Abb. 17), wird von Hand abgebaut, damit nicht etwa damals übersehene Kleinfunde wie Keramikscherben in die neuen Wege gelangen. Die Abbildungen 1
8 bis 19 zeigen Etappen beim Bau des Weges, der von dem hellenistischen Heroon zum Bischofspalast führt. Man erkennt noch die ursprüngliche Hügellandschaft aus altem Grabungsschutt und den seitlichen Auswurf des großen Suchgrabens aus dem Jahre 1903, der gerade eingeebnet wird. Die alten Suchgräben bleiben, wenn immer möglich, offen, da sie als Denkmäler der Archäologie auch schon zur Geschichte der Ruinenstätte von Milet gehören.

        
Im Verlauf der Grabungskampagne 2001 konnten die Arbeiten zur Anlage von Besucherwegen in diesem Bereich abgeschlossen werden (Abb. 20). Jeder, der vom Theater zum Stadtzentrum herabsteigt, kann sich ungehindert im Gelände bewegen. Er geht auf simulierten „hippodamischen“ Straßen und kann gleichzeitig eine Vorstellung von der Größe der Insulae gewinnen, die hier noch nicht ausgegraben sind.

 

 

 

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IV Die Straße südlich des Bouleuterion

 

Die Stadtruine von Milet ist, wie eben gesagt, arm an ausgegrabenen und heute wieder begehbaren Straßen. Eine von ihnen, die mit gut erhaltenen Kalksteinplatten gepflasterte Straße zwischen der Südseite des Bouleuterions und der Nordhalle des Südmarktes, liegt zwar heute an der Erdoberfläche, war aber trotzdem bis vor kurzem nicht begehbar.
 

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Wie die Luftaufnahme (Abb. 21) zeigt, war die Ursache ein die gesamte Straßenbreite einnehmender Steinversturz, der sowohl von dem Bouleuterion wie wohl auch von der iustinianischen Stadtmauer stammte, die auf den Außenfundamenten der Nordstoa des Südmarktes errichtet worden war. Das Bild des Versturzes vor (Abb. 22) und nach (Abb. 23) der oberflächlichen Reinigung von Bewuchs und dem Tang der Winterüberschwemmungen zeigte ein dichtes Feld von Baugliedern, das jedes Durchkommen unmöglich machte.

Die Aufräumungsarbeiten begannen im Jahre 1998 mit der Herstellung eines Aufnahmeplanes, der jeden Stein in seiner Fundlage festhält. Während der Kampagne 1999 begann die Freiräumung der Straße, die dann im Jahre 2000 abgeschlossen werden konnte (Abb. 24). Im Verlauf der Arbeiten wurden die Bauglieder, die zum Bouleuterien gehören, diesem wieder zugeordnet. Ein Teil von ihnen wurde an der Südseite des Hofes so aufgestellt, dass die hier nicht mehr vorhandene (Abb. 21) Gebäudekante neu betont wird.
 

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Die anderen Bauglieder erhielten ihren Platz auf den in situ erhaltenen Fundamenten der Nordhalle des Südmarktes, die auch von der Innenschale der iustinianischen Stadtmauer benutzt worden waren. Auf diese Weise entstand hier ein vertikales Steinlager, das die Bauglieder vor den periodischen Überschwemmungen schützt und gleichzeitig an die aus Spolien errichtete byzantinische Verteidigungsmauer erinnert. Mit der Aufschichtung von Bossenquadern auf den gleichen Fundamenten, aber weiter östlich und im Anschluß an die Reste des Markttores der Südagora (Abb. 25), die während der Sommerkampagne 2001 durchgeführt wurde, ergibt sich jetzt eine neue weite Sichtachse in dem nicht leicht zu erschließenden Stadtbild von Milet.

 

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V Das Stadtzentrum und die Überschwemmungssituation

       
Naturräumliche und klimatische Veränderungen seit der Antike sowie die landwirtschaftliche Nutzung (Baumwollbewässerung) im Umfeld von Milet haben dazu geführt, daß die tiefer liegenden Teile der Stadtruine von Milet im Winter und periodisch auch während der Sommermonate unter Wasser steh
en (Abb. 26). Die Ursachen dieser Überschwemmung und ihre Folgen für die Bausubstanzen  werden im Rahmen der Miletgrabung erforscht. Bevor eine grundsätzliche Abhilfe für das Problem geschaffen werden kann, muß diese Zone immer wieder gereinigt und gepflegt werden, um die hier vorhandenen antiken Reste wenigstens in den Sommermonaten einem ständig anwachsenden Besucherstrom in angemessener Weise präsentieren zu können.

 

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Das Luftbild (Abb. 27) zeigt den Zustand des Stadtzentrums nach Rückgang der Überschwemmung. An der tiefsten Stelle, dem Delphinion, das nur nach sehr regenarmen Wintern vollkommen trocken ist, steht noch Wasser, das sich in einer Lache bis zum Hafentor ausdehnt. Eingeschwemmte Erde bedeckt das Plattenpflaster der Heiligen Straße und des etwas weiter südlich liegenden zentralen Platzes. Nach dem Rückgang des Wassers ist das gesamte Gelände von Tang überzogen , der entfernt und abgefahren werden muß (Abb. 28).

    
Im Sommer 2001 wurden umfangreiche Reinigungsarbeiten im Stadtzentrum durchgeführt. Hierbei wurden die Tamarisken entfernt, die sich bis in diese Zone ausgedehnt hatten, und die eingeschwemmte Erde abgefahren (Abb. 29). Das Ergebnis der Aktion wird in der Gegenüberstellung mit dem Zustand von 1999 deutlich (Abb. 30 und 31), wobei die Fotos jeweils ungefähr aus dem gleichen Blickwinkel aufgenommen worden sind. Mit den Reinigungsarbeiten gingen weitere Aufräumarbeiten Hand in Hand. Herumliegende Bauglieder wurden neu geordnet, zurückgesetzt oder in ein höher gelegenes Bauteilelager gebracht, wo sie in Zukunft vor der Überschwemmung in Sicherheit sind. Diese Arbeiten sollen in den nächsten Kampagnen fortgeführt werden. Das Ziel ist in erster Linie, den weiträumigen Eindruck dieses Zentrums des hellenistisch-römischen Milet wiederherzustellen (Abb. 32), um damit die ursprüngliche geplante Raumgestaltung besser zur Anschauung zu bringen.

 

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