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Dr. Bilal Bay

Anthropogen induzierte Bodenerosion und Deltavorbau im Büyük Menderes Delta (SW-Türkei)

> Einleitung 

Gerade im ägäischen Raum in Gebieten gut dokumentierter früher Hochkulturen, wie z.B. Troja, Ephesos oder Milet, bieten sich hervorragende Möglichkeiten interdisziplinärer Umweltforschung (vgl. Abb.1). Die Kulturlandschaft, wie sie heute existiert, stellt nicht die ursprüngliche Naturlandschaft, die vorherige Kulturen vorfanden dar und wurde durch den siedelnden Menschen lokal z.T. stark verändert.

 Neben der einzelnen Fundstätte werden heute in Surveys kombiniert mit geoarchäologischen Untersuchungsmethoden die Besiedlungsgeschichte und der Naturraum früherer Kulturen rekonstruiert, um so die geogen oder anthropogen bewirkten Veränderungen zu erfassen und zu interpretieren.

Besonders verfüllte Meeresbuchten, wie der 500 km2 große Unterlauf des Büyük Menderes Delta, stellen bedeutende Archive zur Bilanzierung von natürlichen und anthropogen erzeugten Stofftransportes dar. Gestützt auf Bohr- und historischen Daten wurden die Verlandungsstadien und die maximale Ausdehnung des ehemaligen Latmischen Golfes untersucht. Keramikscherben dienten zur Datierung von Hangablagerungen im Umland von Milet.

Das Naturraumpotential für das milesische Umland war bisher noch ungeklärt und wurde kontrovers diskutiert. Seit 1990 laufen intensive archäologischen Survey-Arbeiten in der Chora von Milet mit einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit (Geologie, Geomorphologie, Geophysik).

   
 
  1. Übersichtskarte von SW-Anatolien mit dem Arbeitsgebiet im Unterlauf des Büyük  Menderes (gerahmt). 

 

> Paläogeograhie und Deltavorbau im ehemaligen Latmischen Golf 

Marine Sedimente unter der Deltaebene reichen in der etwa in 5000 Jahren verlandeten Meeresbucht („Latmischer Golf“) von der Deltamündung etwa 60 km landeinwärts bis südlich der Provinzhauptstadt Aydin (vgl. Abb. 3). Die Sedimentverteilung unter der Talebene des Büyük Menderes konnte flächendeckend aus über 200 Bohrungen rekonstruiert werden (vgl. Abb. 2). Der Delta-Vorbau konnte, beginnend in chalkolithischer Zeit (6000 BP) bis heute, in 6 Verlandungsstadien unterteilt und deren Suspensionsfracht nach Zeit und Volumen aufgeschlüsselt werden (vgl. Abb. 4). Die Sedimentraten steigen in der dicht besiedelten Phase von archaischer bis in die römische Zeit auf das 15-fache an und besitzen ein Maximum in klassisch/hellenistischer Zeit (vgl. Abb. 4 u. 8). Der mechanische Sedimentabtrag im 25 000 kmgroßen Einzugsgebiet des Büyük Menderes erreichte in den letzten 5000 Jahren insgesamt 0,2 – 0,5 m.  

Eine lokale Kurve des holozänen Meeresspiegels wurde anhand Radiokarbondatierungen (Mollusken/Korallen) von Kernproben aus dem Büyük Menderes Delta näherungsweise ermittelt. Der wesentliche Anstieg auf etwa - 5 m u. NN war ca. 3500 BP erreicht. Dies war vermutlich auch der Zeitpunkt max. Meeresvorstoßes in den Buchtraum.

 

2. Verteilung der erfassten Bohrungen westlich von Aydın. In der marinen Fauna zeichnet   sich die maximale Ausdehnung des ehemaligen Latmischen Golfes ab.

3. 3-D Darstellung des Latmischen Golfes. Die maximale Buchtausdehnung war vermutlich schon 4000 BP erreicht

 

4. Delta Verlandungsstadien (A-F), die sich an historischen Daten orientieren.

 

5. Auflistung der Sedimentakkumulationsraten seit dem Beginn des Delta-Vorbaus im mittleren Holozän. Die Raten steigen mit dem anthropogenen Eingriff ab 1000 BC (Verlandungsabschnitt B) rapide auf das 15-Fache an und halten dieses hohe Niveau bis zur römischen Zeit (Verlandungsabschnitt D). Erst in spätrömisch-byzantinischer Zeit (Verlandungsabschnitt E)  nehmen die Sedimentationsraten wieder ab.

 
 

> Paläoböden im Umland von Milet 

Am Nordhang des Dorfes Yeniköy, etwa 4 km südöstlich vom antiken Milet entfernt, entstand ab 1995 für geoarchäologische Untersuchungen eine einmalige Gunstsituation mit zahlreichen Hangaufschlüssen in Form von großdimensionierten Brunnengrabungen (vgl. Abb. 6), die eine Einsicht in die komplette Hanggeschichte ermöglichten.

 Für die Datierung der holozänen Einheit diente die Keramik, die schichtweise beprobt und anschließend durch die Zusammenarbeit mit der Archäologie bestimmt werden konnte. Überraschend war eine dichte Verteilung von spätchalkolitischer Keramik, die auf eine erste dichte Besiedlung des Hanges in 4 Jt. v. Chr. schließen lässt. Der untere dunkle Horizont wies ein spätchalkolithisch-archaisches Alter, die helle Zwischenlage ein frühklassisch-römisch und die obere dunkle Lage ein römisch-frühbyzantinisches Alter auf (vgl. Abb. 7). 

Detaillierte bodenkundliche Untersuchungen zeigten, dass es sich bei den markanten dunklen Lagen in dem Beispielprofilen (vgl. Abb. 7) um z. T. in situ erhaltene Paläoböden handelte. Die Stratigraphie deckte eine aufeinanderfolge von Bodenhorizonten auf, die von kolluvialen Erosionssedimenten zwischengelagert werden. Anschließende Mikrogefügeuntersuchungen belegten , dass es sich um stark anthropogen genutzte Pflughorizonte handelt, die durch Erosion gekappt wurden und ein nährstoffarmer, überverdichteter Pflugunterboden erhalten blieb. Der ältere Paläoboden wurde in archaischer Zeit durch Düngeeintrag stark überprägt. Es bildete sich ein ca. 1 m mächtiger homogener Bodenhorizont, der vergleichbar ist mit Plaggenböden oder heutigen Gärtenböden. Der untere Pflughorizont wird in der spätarchaischen/frühklassischen Zeit einsetzenden Erosionsphase durch Hangablagerungen überlagert. Erst in römischer Zeit konnte sich erneut ein Boden bilden, der ebenfalls durch intensive landwirtschaftliche Nutzung fast vollständig erodiert wurde.

Diese Befunde gaben massive Hinweise auf intensive anthropogene Nutzung des Umlandes von Milet, die mit dicht besiedelten Phasen korreliert werden konnten.  

 

6. Verteilung der Brunnengrabungen im Umfeld von Milet.

7. Detailansicht der Brunnengrabung S 348 A. Die dunklen Lagen repräsentieren kultivierte Paläoböden (Pflughorizonte). Die holozäne Einheit beginnt mit der unteren dunklen Lagemit chalcholithischer Keramik (~5500 BP).

 

 
 
> Anthropogen induzierte Bodenerosion 
 

Der menschliche Einfluss im Umland von Milet beginnt im Spätneolithikum auf fruchtbaren, humusreichen Böden. Auf den silikat- und karbonatreichen neogenen Lockergesteinen der Balat-Fomation hatten sich seit Ende der letzten Eiszeit (8000 v. Chr.) fruchtbare Böden entwickelt. Schon im frühen 4 Jt. v. Chr. war dieser Gunstraum von den Chalkolitikern bereits dicht besiedelt und landwirtschaftlich genutzt. Dabei kam es zum ersten intensiven Eingriff in die Naturlandschaft mit verstärkter Rodungstätigkeit des damals dicht bewaldeten Gebietes. Der Waldrückgang wird sowohl durch Holzkohleanreicherung in dem unteren Päläoboden als auch durch Pollendaten angedeutet. Nach einem starken Siedlungsrückgang in der Bronzezeit erfolgte eine dichte Wiederbesiedlung des Umlandes in früharchaischer Zeit, wobei es zu einer intensiven Umwandlung der Natur- in eine Kulturlandschaft mit der Bildung von ca. 1 m mächtigen Pflughorizont kam. Tierknochenauswertungen für die archaische Zeit zeigen eine gut entwickelte Viehwirtschaft mit der Dominanz des Schafes. Der Anteil der Bauern an der Gesamtbevölkerung wird in archaischer Zeit auf 80-90% geschätzt. Nach der intensiven Zerstörung der Vegetationsdecke setzt spätarchaisch/ frühklassischer Zeit verstärkter Hangabtrag ein, die bis in römische Zeit andauerte. Der archaische Bodenhorizont wurde mit einer bis zu 3 m mächtigen kolluvialen Lage bedeckt. In römischer Zeit kommt es durch Siedlungsrückgang des Umlandes wieder zu einer Erholung der Landschaft und zu einer Bodenbildung. Nach einer kurzen intensiven landwirtschaftlichen Nutzung in frühbyzantinischer Zeit setzte ein erneuter Abtrag des Bodens ein. 

Ähnliche Arbeiten im mediterranen Raum zeigen Erosionsphasen, die ebenfalls je nach lokalem Besiedlungsmuster heterochron einsetzen (vgl. Abb. 8). Die Untersuchung der holozänen Bodenerosions- und Talboden-Akkumulationsgeschichte zeigen stabile Landschaftsphasen im frühem Holozän. Mit der  chalkolitischen Zeit setzt regional unterschiedlich verbreitete Bodenerosion nach Einzug von Siedlung und Ackerbau ein.

Instabile Hangphasen und Aufbau von Talfüllungen sind episodisch und tauchen in verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Intensitäten und verschiedenen Orten auf, die immer mit dichter Besiedlung und Phasen intensiver Landnutzung zusammenfallen. Dies spricht gegen klimatische Ursachen.

In zwei von drei untersuchten Gebieten in Griechenland waren die ersten Phasen der Bodenerosion mit Talverfüllung die am weitesten ausgebreiteten und volüminösesten. 

Die historische Bodenerosion in Griechenland und der westanatolischen Küste kann in dicht besiedelten Gebieten als „katastrophal“ bezeichnet werden.

   
 
 

8. Erosions-/Akkumulations-Sequenzen in geoarchäologisch gut untersuchten Gebieten in Griechenland im Vergleich mit den Siedlungsräumen des Büyük und Kücük Menderes. Die tabellarische Darstellung verdeutlicht die je nach Besiedlungsmuster lokal heterochron einsetzenden Erosionsphasen mit stark unterschiedlicher Dauer, Intensität und räumlicher  Verteilung. Dies spricht eindeutig für anthropogene und gegen klimatische Ursachen der holozänen Erosionsphasen.

 

> Zusammenfassung 

9. Sedimentkkumulationskurven ermittelt nach Bohr-  und Keramikdaten aus dem Büyük Menderes Tal. Der starke Anstieg der Sedimentationsraten erfolgt zeitgleich und koinzidiert  mit den dicht besiedelten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Phasen von archaisch bis römischer Zeit.

 

In dicht besiedelten Phasen mit intensiver Landnutzung (chalkolithisch, archaisch-römisch u. spätbyzantinisch) führte die anthropogen induzierte Bodenerosion zu stark erhöhten Suspensionsfrachtraten des Büyük Menderes und somit zu Zeitweise beschleunigter Verlandung des bis nach Aydın reichenden Latmischen Golfes. Sowohl die Sedimentakkumulationskurve an den Hängen von Milet als auch Sedimentraten aus dem Löwenhafen und an den Schuttfächern der Samsun Dağları belegen eine Haupterosionsphase in der dicht besiedelten archaisch bis römischen Zeit (vgl. Abb. 9).

Die Landschaftsgeschichte am Unterlauf des Büyük Menderes war von massiven anthropogenem Eingriff durch Ackerbau und Viehzucht geprägt, das sich mit Phasen von Entsiedelung und Regeneration der Landschaft abwechselte.

Das Naturraumpotential des milesischen Umlandes war sehr hoch. Dies wird durch in in situ erhaltene Paläoböden aus den zahlreichen Brunnengrabungen belegt. Fruchtbare Böden und das damals noch bewaldete Stefaniaplateau als Weideland bildeten ein produktives Umland. Für Milet´s Reichtum und das Aufstreben zur bedeutendsten Stadt an der anatolischen Küste in archaischer Zeit bildete dieses fruchtbare Umland vermutlich die Basis.

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