Der italienische Humanist Giovanni Battista Pio (ca. 1475-1546)
setzt in seinem zuerst 1519 in Bologna erschienenen Argonautica-Supplement die
unvollständigen Argonautica des Valerius Flaccus in zweieinhalb Büchern fort. Er
schildert die Rückfahrt der Argonauten aus Kolchis in enger Anlehnung an die Darstellung
des Apollonios von Rhodos. Auf diese Weise entsteht ein reizvolles Konglomerat aus
Apollonios-Übersetzung und Valerius-Fortsetzung, das daneben aber auch Reflexe auf
zeitgenössisches Gedankengut aufweist. Dieses typisch humanistische Nebeneinander von
Rezeption und Produktion spiegelt sich in besonderem Maße in Pios Iasondarstellung wider,
läßt sich aber auch in der Charakteristik der übrigen Figuren sowie auf
kompositioneller, sprachlicher und narrativer Ebene beobachten.
Der vorliegende Band bietet zunächst eine ausführliche Darstellung des biographischen
und kulturellen Kontextes, in dem das Argonautica-Supplement entstanden ist: Die
intensive Beschäftigung mit Giovanni Battista Pios Leben und Werk, das bisher in der
Forschung noch keine umfassende Würdigung erfahren hat, erweist ihn als ein
Musterbeispiel der humanistischen Existenz im 15./16. Jahrhundert. Eine angemessene
Beurteilung des Supplementes ermöglicht desweiteren ein Überblick über die Rezeption
des Argonautenstoffs und der Werke des Apollonios und Valerius in der Renaissance.
Der zweite Teil der Arbeit enthält die erste textkritische Edition des lateinischen
Supplementtextes mit Similienapparat und deutscher Übersetzung. In einem ausführlichen
Kommentar wird Pios Gestaltungsweise in direkter Auseinandersetzung mit der griechischen
Vorlage und unter Berücksichtigung der Darstellung des Valerius beleuchtet. Dabei stellt
sich Pios Argonautica-Supplement als Ergebnis des Zusammenspiels der
Gestaltungsprinzipien der interpretatio, imitatio und aemulatio dar,
das von der für den Renaissance-Humanismus charakteristischen, spannungsreichen Synthese
antiken und modernen Gedankenguts lebt.
ISBN 3-88476-686-4, 726 S., 2 Abb., geb., Euro 58,50 2004