Mitte der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts verfasste der
Cremoneser Priester Marcantonio Vida (ca. 1485-1556), durch zahlreiche Dichtungen längst
berühmt, den staatsphilosophischen Dialog De dignitate reipublicae, der als das
bedeutendste Prosawerk der damaligen Zeit gilt. Er ist dem Kardinal Reginald Pole gewidmet
und spielt am Rande des gegenreformatorischen Konzils von Trient (1545).
Vida will mit dem Dialog nach eigenem Bekunden Ciceros zu seiner Zeit
verlorengeglaubtes staatsphilosophisches Werk De re publica ersetzen und damit den
noch ausstehenden Teil der moralphilosophischen Literatur in lateinischer Sprache
komplettieren, sicher aber auch Ciceros Werk krönen und sich in den Rang des bewunderten
Vorbilds erheben. Vida lässt an seinem Dialog, der in der fürstbischöflichen
Gartenanlage vor den Toren Trients spielt, die drei Kardinäle Giovanni Maria Del Monte
(später Papst Julius III.), Marcello Cervini (später Papst Marcellus II.) und Reginald
Pole, den venezianischen Adeligen Alvise Priuli, den Dichter Marcantonio Flaminio und sich
selbst teilnehmen.
In zwei Büchern in Rede und Gegenrede wird das Thema des Dialogs, die utilitas et
dignitas rei publicae et civilis societatis, behandelt. Der Rede Flaminios, der für
den vorstaatlichen Zustand der aurea aetas eintritt und zahlreiche mala rei
publicae anprangert, setzt Vida eine an akademisch-peripatetischem Gedankengut und
stoischer Naturrechtslehre orientierte Verteidigungsrede auf den Staat entgegen.
Der Band bietet zum erstenmal eine vollständige, auf der editio princeps von
1556 basierende Ausgabe des lateinischen Textes mit deutscher Übersetzung, ausführlichem
Kommentar sowie einem Stellenregister und einem Index verborum, nominum et locorum. In
einer Einleitung werden u.a. der Autor und sein literarisches Werk sowie der Dialogpartner
vorgestellt. Zudem wird Vidas Dialogfiktion unter dem Aspekt der Cicerorezeption in der
Dialogliteratur der italienischen Renaissance im 16. Jahrhundert betrachtet.