History
Woher kommt eigentlich die Kunst des Graffiti und wie ist sie entstanden? Diese Fragen kommen schnell auf, wenn man jeden Tag die Ein- und Ausfahrt der unterbrückten Universitätsstraße der Universität Mitte durchfährt. Sehr große Flächen die künstlerisch gestaltet werden und eine große Zahl von Graffiti enthalten, die die grauen Wände lebendig werden lässt, finden sich an der Ruhr-Universität-Bochum. Die so genannten Freiflächen (insgesamt 20) sind auch an anderen Stellen Bochums vorhanden, jedoch findet sich gerade an dieser Unterführung eine von vielen tausend Menschen am Tag gesehenen Kunst, deren Ursprung nun näher beleuchtet werden soll.

Vor mehr als vier Jahrzehnten, in den späten sechziger Jahren, entstand in New York das Bomben oder Taggen als Vorform der heutzutage sehr komplexen und umfangreichen Graffiti-Kultur. Jeder, der in die Geschichte dieser Kunst eintaucht, wird bei dem Ursprung des Graffiti, dem Markieren mehrerer Bezirke mit dem eigenen Namen, einem Kürzel oder einem Pseudonym, anfangen. In New York gelten „TAKI 183“ und „JULIO 204“ als die ersten beiden, die öffentliche Territorien mit ihren Namen markierten. Sehr schnell wurden sie so in der ganzen Stadt bekannt und 1971 erschien sogar ein Artikel über die beiden, was natürlich zur Folge hatte, dass viele Jugendliche den beiden nachahmten. So wurde das Taggen und Bomben populär und nahm in sehr kurzer Zeit stark zu. Dies erhöhte auch die Konkurrenz zwischen den Writern, da die Zahl der Tagger und Bomber enorm zunahm und desto weniger reichte es nun aus nur noch seinen Namen zu schreiben. Bald darauf wurden Spraydosen und Fatcaps benutzt und nicht nur die Größe, die Farbe und das graphische Design der Buchstaben (auch „Style“ genannt) ergänzten den bald umfangreichen Katalog den ein guter Writer beherrschen sollte, sondern auch regionale Stilrichtungen bildeten sich heraus. Der Bronx-, Manhattan- und Brooklyn-Style wurden bekannt und natürlich auch zahlreiche persönliche Spielarten graphischer Innovation, wodurch die Style Wars geboren waren. Wer war nun der Bessere und hatte den ausgefeilteren Stil? Das erste Piece entstand somit 1972 von SUPER KOOL. Die Gestaltung der Buchstaben wurde nun auch von der Community beurteilt und immer komplexer, denn es ging nicht mehr nur darum an gewagte oder ungewöhnliche Stellen sein Markenzeichen zu hinterlassen. Die U-Bahnzüge ergaben sich als Hauptarbeitsmedium und die Pieces wurden größer und breiter. Zunächst füllten sie einen Wagon aus, erstreckten sich aber schon bald auch über den ganzen Zug. Die Chronisten der New Yorker Graffiti-Bewegung sind sich nicht einig ob der erste vollständig besprühte Zug, in der Szene Whole Car genannt, 1973 entstand oder zwei Jahre später, jedoch ist sicher, dass das Bombing der Züge zu einem immer komplexer werdenden Bildaufbau ermunterte. Ein Grund hierfür könnte die Tatsache sein, das durch das Fahren der Züge von Bahnhof zu Bahnhof die Tags und Pieces einer breiteren Masse zugänglich gemacht werden konnten, wenn nicht schon zuvor eine Reinigung dieser Züge stattfand. Die Schriftzüge stellten immer noch das Zentrum der Pieces dar, jedoch wurden sie noch mehr durch auffällige Hintergründe oder Charaktere, die neben Menschen und Tieren auch Monster sein konnten, in Szene gesetzt. Nun waren bis 1974 die wichtigsten Buchstabenstile eingeführt und in den darauffolgenden Jahren wurden sie vielfach variiert und professionalisiert. Ein gängiges Sprühverfahren bildete sich letztendlich Ende der 70er Jahre heraus:

Sprühverfahren:
  1. Das Andeuten der Buchstaben und anderer Bildelemente durch First Outlines
  2. das Ausfüllen größerer farbiger Flächen (Fill-ins)
  3. Das Anbringen von Ornamenten und Effekten (Designs)
  4. Schließlich das Sprühen der letzten Konturen (Second Outlines)

Da Konflikte auch mit den Straßengangs üblich waren bildeten sich ebenfalls unter den Writern eigene Gangs heraus. Neben der Graffiti- wuchsen auch die HipHop- und Breakdance-Kultur in den Ghettos der Harlem, der Bronx und Brooklyn. Dies führte dazu, dass nicht selten die Ansprüche der Gangs auf ihr Territorium mit der Mobilität der Writer kollidierte.

Wichtige Gangs waren in dieser Zeit die VAN GUARDS, LAST SURVIVORS und die EX-VANDALS. Sie verstanden sich zwar in erster Linie als Sprayer, jedoch kam es ab und zu auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit anderen Gangs. Spätere Gruppen gingen Gewalt vollkommen aus dem Weg und widmeten sich ausschließlich dem Bombing von Zügen (Train Bombing). Zwei dieser bekannten Crews waren die THREE YARD BOYS oder THE FABULOUS FIVE, die sich bewusst als Crew und nicht als Gang sahen. Zwar gab es auch innerhalb ihrer Crew „Rangordnungen“ beim Sprühen, wobei dem erfahrensten und besten Sprüher andere Aufgaben zufielen, als den unerfahrenen, möglicherweise neu dazugekommenen Crew-Mitgliedern.

Das Ziel eines jeden jungen Writers ist und war es auch schon damals Fame zu erlangen. Das heißt innerhalb der Szene Anerkennung und Bewunderung zu erhalten. Natürlich stellt das Übersprühen von Pieces eine Notwendigkeit dar, jedoch stellt das Crossing-Out auch manchmal eine gezielte Provokation dar. Diese Batteles wurden nicht selten auch gezielt ausgetragen und bezeichnen sich, wie schon zuvor erwähnt, als Style Wars.
Konflikte gab es natürlich nicht nur unter den Crews, sondern häufig mit der Bahnpolizei. 1971 gab es bereits 100 Beamte die regelmäßige Kontrollgänge machten. Große Reinigungsaktionen waren ebenfalls keine Seltenheit. Ein Resultat der Sprayaktionen war das Anti-Graffiti-Gesetz von 1975. In diesem Jahr wurde ebenfalls von der Bahnpolizei eine Sondereinheit ins Leben gerufen um gegen die Writer und ihre illegalen Graffiti vorzubeugen. Kein Gesetz dieser Zeit oder die Bahnpolizei konnten jedoch den Ehrgeiz der Tagger und Sprayer stoppen.
Erst zu Beginn der 80er Jahre wurde die Kunst des Graffiti salonfähig und war nicht mehr ausschließlich negativ behaftet. Nun fanden gezielt Ausstellungen statt, jedoch gab es nun einige Künstler die ein Kunststudium absolviert hatten, was gegen die ursprüngliche Intention und Idee der Sprayer und Graffiti-Bewegung stand und nicht zur Folge hatte, dass die Maßnahmen gegen das Sprayen abnahmen, im Gegenteil, sie nahm sogar immer noch zu.

Mittlerweile gibt es glücklicherweise öffentliche Freiflächen wie in Bochum und einigen anderen Städten, um dieser Kunst Raum zu schaffen und Sprayern die Möglichkeit zu bieten die aufwendigen Pieces einer großen Zahl von Menschen zu präsentieren. Es gibt Hinweise und es gibt Regeln für die Nutzung und den Umgang mit den Freiflächen, was, wie unschwer zu erkennen ist, an den Freiflächen der Unibrücke sehr gut funktioniert und eine beeindruckende Hall of Fame bietet. Pieces sind nicht für die Ewigkeit, aber ein bisschen Ewigkeit kann durch das Archivieren und Präsentieren der unglaublich vielfältigen Kunst erreicht werden.