panel 2a | 10.11.2011 | 16:15-17:45 | room 1 | german
NAVIGATION & RÄUMLICHE ORIENTIERUNG
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UWE WIPPICH (Bochum)
Haltewunschtaste, Entwerter und ...

Eine Probe aufs Exempel medialer Raumtheorien bzw. der Medialität des Raumes ist ein Gehäuse mit Interface, ausgestattet mit einem Ein- und Ausgabesystem, in welchem Raum als Ware verhandelt wird, eine Rechenmaschine einprogrammierter Kategorisierung von Zeit, Raum und Subjekt.
Diese Materialisierung computanter Verrechnung von Nicht-Orten, Heterotopien, transitorischen Räumen und geografischer Orientierung, von Mittel und Zweck, von standardisierter Zeit und Bewegung ist der Fahrkartenautomat. In und mit dem Fahrkartenautomaten begegnet nicht nur die technische Verkörperung disziplinärer Strategien, sondern die Anforderung, das eigene Verhältnis zu Raum und Zeit mit dem maschinellen Angebot abzugleichen, es gleichsam durch einen Filter laufen zu lassen, um dann zu tun wofür der Apparat optiert - ohne je ganz sicher zu sein, ob diese Option auch optimal ist. Diese Anpassungsleistung erfordert ein mediales Ensemble, welches über den konkreten Ort hinausgreift, welches zugleich stationär und mobil ist. Denn schließlich geht es um die Ausdrucks-Berechtigung eines Wunsches, dessen interaktives Gegenstück während des erhofften und erwünschten Transportes die "Haltewunschtaste" ist.
Zum Fahrkartenautomaten gehört jedoch noch ein weiteres Gerät, eine Dependance, die den Fahrgast erwartet oder ihm in den Weg tritt: der Entwerter. In früheren Zeiten konnten der Erwerb der Mitfahrberechtigung und die Entwertung des dazu erforderlichen Ausweises in eines fallen: Das Mensch-Medium des Schaffners, der zugleich die Autorität einer institutionalisierten Beförderung verkörperte. Nun sind Fahrkartenautomat, Entwerter und Haltewunschtaste Teil eines medialen Handlungskomplexes, der diese Verkörperung in ein technisch-mediales Ensemble transformiert hat.
Erforderlich dafür ist eine Mensch-Maschine-Interaktion, deren Bedingung in gleich mehrfacher Hinsicht "Orientierung" erfordert: Die Orientierung zwischen Start und Ziel und das Versprechen anzukommen, die über einen geografischen Raum gelegte Struktur von Linien, Verkehr und Linienverkehr, die Orientierung über Zeit als Verhältnis von Warten und Eilen, die vorausgesetzte Akzeptanz niemals gelesener Beförderungsbedingungen, das Kosten-Kalkül sowie ganz einfach – oder eben nicht: Die Bedienung der Apparatur. So ist dieses maschinelle Versprechen der Orientierungskonvergenz immer wieder in hohem Maße dis-orientierend. Es erfordert eine Vielzahl von Übersetzungsleistungen, die nicht immer und nicht in jedem Fall zielführend sind, sondern eher verwirrend. Doch was für eine Art der Verwirrung ist das, die zugleich über-fordernd erscheint und hilflos machen kann, die aber zugleich ein widerständiges Moment gegen eine technisch organisierte Überschreibung von Ort und Raum beinhaltet? Was ist das kulturelle Potential des Fahrkartenautomaten – und wie ist dieses an seine spezifische Medialität gekoppelt? Welche narrativen Labyrinthe des öffentlichen Personennahverkehrs werden durch dieses Gerät generiert und welche Auswirkung hat die Transformation des Schaffners in eine Maschine auf das Verhältnis von Orientierung und Narration?
Diese Fragen eines konkreten Mediums der (Des-)Orientierung sind Gegenstand des Beitrags von Uwe Wippich.

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JANINE WAHRENDORF (Bochum)
Street Art und Culture Jamming als Zurückeroberung des urbanen Raumes

In den sechziger Jahren erkannten die Situationisten ein Problem der modernen kapitalistischen Gesellschaft. Mit Hilfe der Massenmedien kreiert diese auf visueller Ebene Pseudo-Bedürfnisse und macht ihre Bevölkerung damit zu einer passiven und affirmativen Masse. Guy Debord und andere Situationisten benannten dies als das Spektakel – eine Welt des Scheins. Durch aktuelle mediale Entwicklungen lässt sich nun vielleicht sogar das Spektakel 2.0 ausrufen. Die Stadt ist ein medial besetzter Raum. Überall, selbst auf öffentlichen Toiletten, wird man von Werbung eingehüllt.
Moderne Kunstströmungen wie die Street Art und vor allem Aktivisten des Culture Jammings (insbesondere des Adbusting) kämpfen für die Rückeroberung des mittlerweile immer mehr privatisierten öffentlichen Raumes und damit für ein Recht an der eigenen Umwelt. Ihre Projekte sollen die Stadt zu einem Ort der Kommunikation zwischen ihren Bewohnern machen und reihen sich somit in eine ganze Reihe von aktuellen Gegenentwürfen der bestehenden Konsumkultur ein. Street Art und Culture Jamming benutzen mediale Strukturen für ihre eigenen Ziele und hebeln so gekonnt ganze Werbekampagnen aus.
Gleichzeitig unterstützen Street Art Künstler die Wiederbelebung des Flaneurs. Die urbane Stadt wird kreativ erlebbar und der Beobachter weg gelenkt von Konsumtempeln und Einkaufsstrassen. So sollen gegebene Strukturen unterlaufen und neue Stadtteile belebt werden. Die Aktivisten bieten ästhetische Alternativen zu auferlegten Organisationen im städtischen Raum an und setzen künstlerische Akzente.
Kunst wird hier zu einem selbstreflexiven Mittel, um mit Strukturen, z.B. im Straßenverkehr oder auf Werbeflächen, zu spielen, diese abzuwandeln und zu unterlaufen. Dabei schaffen sie Möglichkeiten einer Form von Reorganisation, die kapitalistische Zwecke ignoriert und eine alternative Erfahrung der Stadt möglich machen soll.
Im Sinne der Situationisten werden damit Situationen erschaffen – Möglichkeiten um dem Spektakel zu entkommen und den Schein des modernen Kapitalismus zu entkräften. Situationen, die überraschen und den Betrachter kurzzeitig desorientieren und irritieren, um ihren Blick auf ein größeres Bild frei zu machen.
Im Vortrag soll also, nach einer Klärung der theoretischen und historischen Zusammenhänge, besonders auf die Spannung zwischen privatisiertem öffentlichen Raum, Flaneur und Kunst eingegangen und eine mögliche ästhetische Umorientierung im städtischen und politischen Wirkungsfeld aufgezeigt werden.


 



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