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3     Die Phylogenie wichtiger Merkmale

3.1    Generationswechsel als Grundlage zum Verständnis der Evolution höherer Pflanzen

3.1.1       Der Hauptzyklus

3.1.2       Die Nebenzyklen

3.1.3       Isomorphe und heteromorphe Generationszyklen

3.1.4       Die Anzahl der Generationen in einem Zyklus

3.1.5       Die Geschlechtlichkeit in den einzelnen Phasen des Generationswechsels

3.1.5.1       Die Differenzierung der Gameten

3.1.5.2       Die Differenzierung der Gametophyten

3.1.5.3       Die Differenzierung der Sporen

3.1.5.4       Die Differenzierung von Sporangium und   Sporophyt



3 Die Phylogenie wichtiger Merkmale

 

3.1 Generationswechsel als Grundlage zum Verständnis der Evolution höherer Pflanzen

 

3.1.1   Der Hauptzyklus

 

Eine der evolutiv bedeutendsten Erfindungen war die Erfindung der Sexualität. Von nun an gibt es im Lebenszyklus eines Organismus mindestens zwei unterschiedliche "Generationen". Die eine ist haploid (Haplont) und bildet früher oder später Geschlechtszellen (Gameten). Aus diesen entsteht durch Verschmelzung von zwei Zellen und nachfolgend durch Verschmelzung von deren Kernen (Karyogamie) die diploide Zygote. Die Zygote ist die erste Zelle der anderen, diploiden Generation. Die diploide Generation (Diplont) bildet irgendwann durch Reduktionsteilung haploide Meiosporen, die jeweils die erste Zelle eines neuen Haplonten darstellen. Ein Lebenszyklus oder Generationswechsel, in dem Meiose und Karyogamie durchlaufen werden, wird Hauptzyklus genannt.

 

Durch Variation des Anteiles der haploiden und der diploiden Generation am Zyklus entstehen drei prinzipiell verschiedene Typen, der heterophasische (antithetische, zweiphasige), der gametische und der zygotische Generationswechsel. Den gametischen und den zygotischen Generationswechsel kann man als homophasischen (einphasigen) Generationswechsel zusammenfassen (Abb. 27 ).

 

Von einem zygotischen Generationswechsel wird gesprochen, wenn die Zygote die einzige diploide Zelle im Generationszyklus ist. Die Zygote macht also hier als erste Teilung sofort eine Reduktionsteilung durch, der ganze Zyklus ist mit Ausnahme der Zygote haploid. Der gametische Generationswechsel ist dagegen durch einen vollständig diploiden Zyklus gekennzeichnet. Im gametischen Generationswechsel verschmelzen die aus der Meiose hervorgehenden Zellen sofort und ohne eine einzige mitotische Teilung durchzuführen mit einer anderen haploiden Zelle zur Zygote. Im gametischen Generationswechsel gehen also aus der Meiose direkt Gameten hervor.

 

Ein heterophasischer Generationswechsel liegt immer dann vor, wenn die Zygote mindestens eine mitotische Teilung durchführt bevor die Reduktionsteilung erfolgt, und wenn die aus der Reduktionsteilung hervorgehenden haploiden Zellen ebenfalls mindestens eine Mitose durchlaufen, bevor es zur Zygotenbildung kommt. Der heterophasische Generationswechsel ist also nicht notwendigerweise symmetrisch (Abb.27 mittlere Reihe).  

 

Bei Moosen, Farnen und Samenpflanzen liegt immer ein heterophasischer Generationswechsel vor, und in beiden Phasen werden mehrzellige Organismen gebildet. Der in der haploiden Phase gebildete mehrzellige Organismus wird Gametophyt genannt, weil auf ihm die Gameten gebildet werden. Der in der diploiden Phase gebildete mehrzellige Organismus wird Sporophyt genannt, weil auf ihm unter Reduktionsteilung die Sporen gebildet werden, aus denen die Gametophyten hervorgehen. Der evolutive Fortschritt von Moosen zu Farnen und Samenpflanzen ist mit einer unterschiedlichen Ausgestaltung eines heterophasischen Generationswechsels gekoppelt.

3.1.2 Die Nebenzyklen

 

Organismen sind vielfach in der Lage, stark reduzierte Vermehrungs- oder Verbreitungseinheiten oder Dauerstadien zu bilden, ohne daß ein Wechsel in der Kernphase von diploid nach haploid oder umgekehrt stattfindet. Aus solchen Stadien entwickeln sich wieder ganze Organismen, und man erhält Lebenszyklen, die keinen Wechsel der Kernphase beinhalten.

 

Zyklen ohne Wechsel der Kernphase werden Nebenzyklen genannt. In einem heterophasischen Generationswechsel kann ein haploider und ein diploider Nebenzyklus vorkommen, in einem zygotischen Generationswechsel nur ein haploider und in einem gametischen Generationswechsel nur ein diploider Nebenzyklus (Abb. 28 ). Von einem Nebenzyklus spricht man in der Regel nur, wenn in ihm typische Vermehrungs- oder Verbreitungseinheiten auftreten (z.B. Sporen). Bei vegetativer Vermehrung höherer Pflanzen durch Rhizomstücke, clonales Wachstum, Apomixis oder dergleichen wird der Terminus "Nebenzyklus" i.A. nicht benutzt, obwohl es sich faktisch um einen solchen handelt. Obwohl alle Landpflanzen einen heterophasischen Generationswechsel aufweisen, gibt es hier nirgends einen haploiden Nebenzyklus.

 

Von manchen Organismen kennt man nur den Nebenzyklus. Wenn zum Beispiel von einem Organismus mit heterophasischem Generationswechsel und zwei Nebenzyklen nur die beiden Nebenzyklen, nicht aber der Hauptzyklus bekannt sind, so hat dies zwangsläufig zur Folge, daß nicht erkannt wird, daß die aus den Nebenzyklen bekannten Organismen zur selben Art gehören. Selbst wo Haupt- und Nebenzyklus bekannt sind, ist der Nachweis, daß es sich um die Zyklen eines Organismus handelt oft schwer und nur in Kulturexperimenten zu führen. Das gilt vor allem, wenn ein Organismus unbegrenzt in einem Zyklus verharren kann, und Haupt- und Nebenzyklus nicht in gesetzmäßiger Abfolge durchlaufen werden müssen. Beispiele für gesetzmäßige Abfolgen beim Durchlaufen mehrerer Zyklen und Generationen findet man bei vielen parasitischen Organismen mit Wirtswechsel.

3.1.3 Isomorphe und heteromorphe Generationszyklen

 

Wenn die Organismen in den einzelnen Phasen des Generationswechsels sehr verschieden aussehen (heteromorpher Generationswechsel), kann es leicht passieren, daß sie als verschiedene Organismen angesehen werden und dann unter Umständen sogar unsinnigerweise systematisch verschieden eingruppiert werden. Sieht der Organismus dagegen unabhängig von der Kernphase in Haupt- und Nebenzyklen gleich aus (isomorpher oder auch homomorpher Generationswechsel), so werden die Teile systematisch richtig eingeordnet, aber unter Umständen ohne daß erkannt wird, daß verschiedene Kernphasen vorliegen.

3.1.4 Die Anzahl der Generationen in einem Zyklus

 

Bisher wurde unterstellt, daß in einem Hauptzyklus maximal zwei Generationen und in einem Nebenzyklus höchstens eine Generation vorkommen kann. Dies ist jedoch nicht zutreffend. So kommen z.B. im Generationswechsel des Getreiderostes fünf verschiedene Sporentypen vor, die in gesetzmäßiger Folge nacheinander auftreten. Die aus Ihnen hervorgehenden Organismen sind völlig verschieden und kommen teilweise auf verschiedenen Wirtspflanzen oder sogar freilebend vor. Die einzelnen Stadien aus einem solchen Zyklus können als eigene Generationen aufgefaßt werden. In solchen Fällen wechselt die Generation innerhalb eines Zyklus, ohne daß die Kernphase von diploid nach haploid oder umgekehrt wechselt. Es gibt also einen Wechsel der Generation, ohne daß ein Wechsel der Kernphase eintritt. Der umgekehrte Fall, ein Wechsel in der Kernphase ohne einen Wechsel der Generation, ist jedoch ausgeschlossen. Komplizierte Generationswechsel mit mehr als zwei Generationen kommen jedoch bei Moosen, Farnen und Samenpflanzen nicht vor. Sie treten vor allem bei parasitischen Tieren und Pilzen mit Wirtswechsel auf.

3.1.5 Die Geschlechtlichkeit in den einzelnen Phasen des Generationswechsels

 

3.1.5.1 Die Differenzierung der Gameten

 

Obwohl die sexuelle Differenzierung im Prinzip eine einfache Sache ist, entsteht hier leicht große Verwirrung. Das rührt daher, daß die verwendeten Begriffe ohne Rücksicht auf die Kernphase dieselben sind.

 

Im einfachsten Fall gibt es weder in der haploiden, noch in der diploiden Phase eine geschlechtliche Differenzierung. Alle gebildeten Geschlechtszellen sehen gleich aus und sind auch in Bezug auf ihr Paarungsverhalten nicht unterscheidbar. In diesem Fall spricht man von Isogamie (Abb. 29 oben). Die ersten Differenzierungsschritte betreffen die Gameten. Sie sind dann zunächst zwar noch nicht morphologisch verschieden, es kann aber bereits nicht mehr jede Zelle mit jeder anderen Zelle kopulieren, Anisogamie ist entstanden. Wenn sich die Keimzellen bereits morphologisch unterscheiden, ist die Stufe der Heterogamie erreicht. Der größere und meist unbewegliche Gamet wird als weiblicher Gamet oder Makrogamet und der kleinere und meist bewegliche als männlicher Gamet oder Mikrogamet bezeichnet.

 

Die Tatsache, daß alle drei Fälle auch heute noch vorkommen zeigt, daß dem Vorkommen von Aniso- und Heterogamie alleine noch kein entscheidender evolutiver Vorteil zukommt. Anderenfalls wäre die Isogamie im Verlauf der Evolution längst verschwunden. Die geschlechtliche Differenzierung der Keimzellen ist nur im Zusammenhang mit anderen Gegebenheiten des Generationszyklus zu verstehen.

3.1.5.2 Die Differenzierung der Gametophyten

 

Wenn erst einmal ge-schlechtlich verschiedene Keimzellen gebildet sind, dann stellt sich als nächstes die Frage, wo sie gebildet werden. Die Gameten werden immer in speziellen Behältern, den Gametangien gebildet. Dabei wird in einem Gametangium immer nur eine Sorte von Gameten gebildet. Unterschiede kann es also nur noch in der Verteilung dieser Gametangien geben.  Im einfachsten Fall werden beide Typen von Keimzellen auf ein und demselben Gametophyten gebildet. Ein solcher Organismus wird haplomonözisch genannt. Selbstbefruchtung auf einem Gametophyten, d.h. daß Makro- und Mikrogamet vom selben Gametophyten stammen, würde zu 100% Homozygotie führen, da beide Keimzellen in diesem Fall durch Mitosen von einer einzigen Ausgangszelle abstammen. Die negativen populationsgenetischen Konsequenzen der Homozygotie werden durch Polyploidi-sierung etwas abgemildert, da in einem polyploiden Organismus mehrere Allele auch im Fall von Homozygotie   vorhanden sein können.

 

Ein besserer Ausweg aus der Homozygotiefalle sind jedoch geschlechtlich verschiedene Gametophyten, die nur eine Sorte von Keimzellen bilden können (Abb. 29 Mitte). Solche Organismen sind haplodiözisch. In diesem Fall bezeichnet man den Gametophyten als weiblich, der nur weibliche Keimzellen bildet. Der Gametophyt, der nur männliche Keimzellen bildet, wird dagegen als männlicher Gametophyt bezeichnet. Die Differenzierung in männliche und weibliche Gametophyten kann modifikatorisch oder genetisch bedingt sein. Bei modifikatorischer Geschlechtsbestimmung wird durch die Umwelt, z.B. durch Ernährungsbedingungen oder durch das Geschlecht bereits vorhandener Gametophyten bestimmt, ob ein sich entwickelnder Gametophyt männlich oder weiblich wird. Da die weiblichen Gameten größer und von ihrem Materialaufwand her aufwendiger gestaltet sind, ist oft auch der sie hervorbringende weibliche Gametophyt aufwendiger gestaltet als der männliche Gametophyt. Da eine morphologische Differenzierung der eingeschlechtlichen Gametophyten aber nur dann vorkommt, wenn auch die Gameten morphologisch unterscheidbar sin, wird der Gametophyt, der Makrogameten hervorbringt, Makrogametophyt genannt. Derjenige Gametophyt, der die Mikrogameten hervorbringt, heißt Mikrogametophyt. Der Makrogametophyt ist fast immer größer als der Mikrogametophyt. Eine Ausnahme bilden nur die diözischen Moose, bei denen beide Gametophyten morphologisch gleich gestaltet sind.

3.1.5.3 Die Differenzierung der Sporen

 

Orientiert man sich an der Terminologie der Zoologie, so gehören die Sporen im Grunde einer   ungeschlechtlichen" Generation an. In der Botanik hat es sich jedoch eingebürgert, Sporen das Geschlecht zuzuschreiben, das die aus ihnen hervorgehenden Gametophyten aufweisen. In gleicher Weise hat der Sporophyt dann das Geschlecht der Sporen, die er zu bilden in der Lage ist. Kommt nur ein einziger Typ von Sporen vor, aus dem zwittrige Gametophyten hervorgehen, so liegt Isosporie vor.  Im einfachsten Fall der Differenzierung sind geschlechtlich differenzierte Sporen morphologisch gleich gestaltet. Dies kann als Anisosporie (analog zu Anisogamie) bezeichnet werden und kommt nur bei diözischen Moosen vor. Fast immer sind geschlechtlich verschiedene Sporen auch morphologisch unterscheidbar.   Dies liegt daran, daß für die größeren Makrogametophyten zweckmäßigerweise bereits größere, nährstoffreichere Sporen eingesetzt werden. Pflanzen mit großen und kleinen Sporen nennt man heterospor. Aus den größeren Makrosporen geht dabei immer ein Makrogametophyt hervor, auf dem auch ausschließlich Makrogameten gebildet werden. Aus den kleineren Mikrosporen gehen dagegen immer Mikrogametophyten hervor, die ausschließlich Mikrogameten bilden.

3.1.5.4 Die Differenzierung von Sporangium und Sporophyt

 

Die Sporen werden immer in Behältern mit einer wenigstens zu Beginn der Entwicklung mehrere Zellschichten dicken Wandung gebildet. Diese Behälter werden Sporangien genannt. Makrosporen und Mikrosporen können theoretisch in einem einzigen Typ von Sporangien gemeinsam gebildet werden. Dieser Fall ist jedoch äußerst selten und kommt nur bei wenigen Laubmoosen (z.B. Macromitrium ;Moose sind sonst isospor oder anisospor!). Sonst werden Makrosporen und Mikrosporen immer in verschiedenen Sporenbehältern gebildet. Das Sporangium, in dem Makrosporen gebildet werden heißt Makrosporangium, das in dem Mikrosporen gebildet werden heißt Mikrosporangium. Da Mikrosporen aus Gründen die noch zu erörtern sind, in größerer Zahl benötigt werden als Makrosporen, sind die Mikrosporangien einer Art häufig gleich groß und manchmal sogar größer als seine Makrosporangien. Die Begriffe Mikro- und Makrosporangium sagen nichts über die Größe des Behälters, sondern nur über seinen Inhalt!

 

Im einfachsten Fall werden auf einem Sporophyten Mikrosporen und Makrosporen gebildet. Solche Sporophyten sind monözisch. Als letzte Differenzierungsstufe können Mikro- und Makrosporangien auf verschiedene Individuen verteilt sein (Abb. 29 unten). Der Sporophyt ist dann diözisch. Individuen, die ausschließlich Makrosporangien, bilden werden als weiblich, solche die nur Mikrosporangien bilden als männlich bezeichnet, obwohl sie nie Geschlechtszellen (Gameten) bilden.