Die Rolle religiöser Feste hinsichtlich antiker Integrationserwartungen:

Am Beispiel der Saturnalien im Römischen Reich der Kaiserzeit

Ein Forschungsprojekt von Alina Krentz (Stand: 29 Nov 2021 v1.1).

Abstract:

Vor dem Hintergrund des Kulturkontakts zwischen westlichen und nicht-westlichen Gesellschaften und den sich daraus entwickelnden Integrationserwartungen, wie sie vor allem in Westeuropa lebenden Menschen muslimischen Glaubens entgegengebracht werden, ist das Ziel dieser Ausarbeitung die Suche nach ähnlichen Erwartungshaltungen im Römischen Reich der Kaiserzeit. Es wurde der Versuch unternommen, mögliche Erwartungshaltungen aus der Betrachtung religiöser Feiertage abzuleiten. Hierfür wurden das Weihnachtsfest für die Moderne sowie die Saturnalien für die Antike als Fallbeispiele ausgewählt. Es zeigte sich jedoch, dass die Beantwortung der Frage nach derartigen Erwartungshaltungen zunächst den Blick auf damit verbundene Bereiche wie die jeweilige Bedeutung von Religion, das Selbstverständnis und die Wahrnehmung des jeweils anderen erfordert. Auch wenn die gewonnenen Erkenntnisse keine eindeutige Antwort zulassen, zeigt sich doch, dass verschiedene Kontexte ähnliche Dynamiken und Haltungen hervorrufen können.

Tags: Römische Antike — Kulturkontakt — Feste und Rituale Integration — Gesellschaft — Westeuropa

DownloadPDF 


Disclaimer: Dieser Artikel befindet sich noch in der Begutachtungsphase. Es handelt sich um einen vorläufige Veröffentlichung.

Einleitung

Bevor der Blick auf die Antike gerichtet wird und um zu verstehen vor welchem Hintergrund das Thema dieses Beitrags entstanden ist, müssen wir uns zunächst die Situation im heutigen Westeuropa anschauen, die als Ausgangspunkt für die im Weiteren folgenden Fragestellungen dient.

Das Thema „Kulturkontakt“ ist in der heutigen öffentlichen Diskussion, in der Politik, in den Medien, aber auch in der Wissenschaft im christlich geprägten Westeuropa stark vom Interesse an Themen der Integration geprägt. Nicht nur Sprache, Gepflogenheiten und politische Haltungen, sondern vor allem Wert- und Moralvorstellungen und damit eng verknüpft Religion und Tradition sind Faktoren, die in der Debatte um Integration von Menschen mit Zuwanderungshintergrund eine wichtige Rolle spielen. Westeuropäer:innen, besonders in Deutschland, legen großen Wert darauf, dass Menschen anderer Herkunft und Kultur sich integrieren, indem sie die westlichen Werte kennen, akzeptieren und nach ihnen leben. Die westliche Kultur jedoch steht, auch nach dem Empfinden der Westeuropäer:innen, in engem Zusammenhang mit dem Christentum (Pollack 2013, 101). Selbst wenn die institutionalisierte christliche Religion bzw. Kirche zunehmend an Bedeutung verliert (Knoblauch 2009, 16–17), haben christlich-religiöse Elemente einen festen Platz in der westeuropäischen Kultur. Ein Beispiel dafür bilden die christlichen Feiertage, die teilweise sogar gesetzlich verankert sind. Das populärste und für viele christlich geprägte Menschen in der westlichen Welt gleichzeitig eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste, religiöse Fest ist Weihnachten. Vor dem Hintergrund der Integrationsforderungen, die gerade in Deutschland immer wieder laut werden, ergibt sich daher die Frage:

Ist es für Menschen in Deutschland wichtig, wie Menschen mit anderen religiösen und kulturellen Prägungen der Tradition des Weihnachtsfests begegnen und gegenüberstehen? Welche Erwartungen stellen sie diesbezüglich und worin könnten diese begründet sein?

In verschiedenen Artikeln und Beiträgen über Muslime und Musliminnen, die Weihnachten feiern, ist auffällig, dass häufig die Einstellung der Muslime/Musliminnen zum Christentum bzw. zu christlich-westlichen Traditionen und Werten im Vordergrund steht.

Bild aus der Zeit. Bildquelle: Link

So schreibt die freie Autorin Esra Ayari1 in einem Artikel der Zeit Campus (2018) „Muslime glauben nicht, dass Jesus Gottes Sohn war. Doch das muss man auch gar nicht, um Weihnachten zu respektieren“2 und erinnert sich, wie sie Weihnachten als Kind erlebt hat. Sie betont vor allem den Respekt und die Akzeptanz, die dem Weihnachtsfest als wichtigem Bestandteil christlich-westlicher Kultur entgegengebracht wird und verteidigt sich damit gegen den Vorwurf, Muslime/Musliminnen würden Weihnachten abschaffen wollen.

Bild des NDR. Bildquelle: Link

In einem Beitrag für NDR kultur3 beschreibt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (2019) den Wandel der Bedeutung des Weihnachtsfests im Zuge der Globalisierung und Kommerzialisierung. Weihnachten habe sich vor allem als Familienfest in weiten, auch nicht-christlichen Teilen der Welt etablieren können und wirke sich positiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.

Es scheint, als sollten derartige Artikel in erster Linie zeigen, dass von Muslimen/Musliminnen keine Bedrohung für die christlich-westliche Tradition ausgeht, sondern dass diese – und das scheint wichtig zu sein – auch von Menschen muslimischen Glaubens als positiv empfunden wird. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion um Muslime/Musliminnen und Integration könnten Informationen über Muslime/Musliminnen, die christliche Traditionen respektieren und teilweise adaptieren, von westlich-christlich geprägten Menschen als Integrationswille gedeutet und damit positiv bewertet werden. Hieran schließt sich die Frage an, warum für die Integration in eine Gesellschaft, in der das institutionalisierte Christentum immer mehr an Bedeutung verliert (Knoblauch 2009, 16–17), doch an religiös-christliche Traditionen angeknüpft zu werden scheint. Die Bedeutung von Religion im Selbstverständnis des Einzelnen, aber auch bei der Identifizierung mit einer Gesellschaft, könnte hier Aufschluss geben.

Wie sich aus den Befragungen und Interviews von Mogahed und Nyiri (2007) und Attia (2009) ergibt, spielt Religion in diesem Zusammenhang durchaus eine wichtige Rolle.
Muslime/Musliminnen gaben an, sich selbst eher über ihren Glauben als über ihre Herkunft oder Nationalität zu identifizieren und Westeuropäer:innen identifizierten Muslime/Musliminnen ebenfalls als in erster Linie dem Islam angehörig (Mogahed and Nyiri 2007, 14; Schrode 2015, 45, 59).

Dies ist insofern problematisch, als dass hier die Annahme, eine Identifizierung mit dem Islam schließe die gleichzeitige Identifizierung mit westlichen Werten aus, zugrunde liegt. Hieraus folgt die Befürchtung, die westlich-christliche Tradition sei bedroht (Mogahed and Nyiri 2007, 14–15). Diese Angst führt zwar nicht zu einer direkten Forderung, die Muslime sollten Weihnachten als westlich-christliche Tradition als Zeichen der Integrationsbereitschaft feiern, dennoch scheint eine positive Einstellung der Muslime/Musliminnen zum Weihnachtsfest in gewisser Weise wichtig zu sein. Weihnachten ist in diesem Kontext weniger als christlich-religiöses Fest, sondern als Teil der westlichen Kultur zu verstehen. Das Begehen des Weihnachtsfestes seitens der Muslime/Musliminnen könnte damit durchaus von Westeuropäer:innen als teilweise Identifizierung mit den westlichen Werten und damit als Zeichen von Loyalität verstanden werden und so die Annahme der Unvereinbarkeit von islamischer und westlicher Kultur ein Stück weit widerlegen.

Um derartige Dynamiken des Kulturkontakts auf einer tieferen Ebene nachvollziehen zu können, lohnt es sich den Blick auf Kulturkontakte in einem anderen Kontext zu richten und zu schauen, ob diese dort möglicherweise zu ähnlichen Entwicklungen geführt haben.

Wie sah es bezüglich religiöser/gesellschaftlicher Akzeptanz im Römischen Reich der Kaiserzeit aus?

Auch im kaiserzeitlichen Rom und den römischen Provinzen begegneten sich Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen, lebten mit- und nebeneinander. Erwarteten die Römer von Menschen anderer Religion und Herkunft sich anzupassen bzw. zu integrieren? Und bedeutete dies, dass wichtige römische Feste von Nicht-Römern mitgefeiert wurden?

Um sich den Antworten auf derartige Fragen anzunähern, sollten zunächst weitere Voraussetzungen beleuchtet werden. Die heutige west-europäische Kultur ist stark durch das Christentum geprägt. Auch wenn die Institution Kirche nicht mehr den Einfluss hat wie einst, erkennen auch “Nicht-Gläubige” das Christentum als maßgeblichen Prägungsfaktor an.

Wie standen also die antiken Römer zu ihrer Religion und Kultur? Welchen Stellenwert hatten diese und wie beeinflussten sie das Selbstverständnis der Römer?

Grundlegend entsprach “römisch” zu sein keiner festen ethnischen Zugehörigkeit. Der Status als Römer konnte erlangt und ebenso verloren werden (Lomas, Gardner, and Herring 2013, 4). Römer konnte sein, wer römische Traditionen annahm und praktizierte (Lomas, Gardner, and Herring 2013, 4). Es war jedoch nicht das Römische Reich als Ganzes oder die Religion, sondern die Stadtgemeinschaft, die die stärkste integrative Kraft ausübte (Rüpke 2001, 25).

Doch auch wenn so eine Stadtgemeinschaft oder der Status als Römer Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinschließen konnte, bedeutete dies nicht, dass die regionale und ethnische Herkunft keine Rolle spielte. Es kursierten sehr wohl Vorurteile über fremde Länder und Regionen, mit denen die Römer auch aufgrund der Expansion ihres Reiches in immer engeren Kontakt gerieten. Diese bezogen sich vor allem auf Morallosigkeit und Korruption, aber auch Kult und Religion blieben von Vorurteilen nicht unberührt (Isaac 2006, 305–6, 466). Vor allem der Exklusivismus, durch den sich die monotheistischen jüdischen und christlichen Glaubenssysteme auszeichneten, wobei für Letztere insbesondere auch dessen Neuheit ein maßgeblicher Faktor war, dem die Römer mit Skepsis begegneten, führten dazu, dass ein Kult oder eine Religion als potenziell gefährlich für das Römische Reich eingestuft wurde (Isaac 2006, 467–69).

[…] und wenn wir allgemein unsere Verhältnisse mit denjenigen fremder Völker vergleichen, so wird es sich zeigen, dass wir in allen übrigen Dingen ihnen gleich oder gar unterlegen sind, doch in der Frömmigkeit, nämlich in der Verehrung der Götter, weit überlegen. (Cicero, Vom Wesen der Götter, 2,8)

Das Zitat des Marcus Tullius Cicero verdeutlicht, wie stolz die Römer auf ihre religio, hier mit “Frömmigkeit” übersetzt, waren. Vor allem die korrekte Durchführung von öffentlichen Ritualen wie zum Beispiel Opferungen war absolut notwendig, denn von ihr konnte das Schicksal der ganzen Stadtgemeinschaft, der populi romani, abhängen (König and König 1991, 30). Der Begriff religio zielt vor allem auf das tatsächliche kulturelle bzw. religiöse Handeln ab, während der individuelle Glaube in dieser Hinsicht eher zweitrangig war. Dementsprechend verwundert der Umstand kaum, dass es in der “römischen Religion” i.d.R. keine festen theologischen Lehren und Richtlinien gab (Paiva Bondioli 2017, 50). Jede Stadt konnte ihre eigene lokale Variante der römischen Religion haben und praktizieren (Rüpke 2001, 26).

Ein paar religiös-kultische Verpflichtungen waren den römischen Städten dennoch auferlegt. So war die Verehrung bestimmter Götter obligatorisch für alle Stadtgemeinschaften. Zu diesen obligatorischen Ritualen zählten beispielsweise die Verehrung der Kapitolinischen Trias, die aus den Gottheiten Iuppiter, Iuno und Minerva bestand, und die der Venus als Schutzgöttin des Stadtgründers (Rüpke 2006b, 74).

Die römische Religion, wenn man den Begriff “Religion” verwenden möchte, umfasst eine Vielzahl verschiedener Kulte und lokaler Variationen dieser Kulte. Das Fehlen einer einzigen für alle geltenden theologischen und praktischen Lehre bot einen fruchtbaren Boden für dynamische, synkretistische und transformative Prozesse innerhalb der römischen Religions- und Kultlandschaft, die auch die Adaption fremder Gottheiten und Kulte ermöglichte (Isaac 2006, 244). Neben den verschiedenen römischen Kulten wurden auch viele nicht-römische Kulte praktiziert. Vor allem Kulte aus Vorderasien wie der Isis- und Mithraskult fanden als Mysterienkulte großen Zulauf im Römischen Reich der Kaiserzeit (Kloft 2010, 62).

Wir wissen nun also, dass im Römischen Reich viele verschiedene Kulte und Religionen praktiziert wurden und dass religiöse Praxis für die Römer und die römischen Stadtgemeinschaften einen besonderen Stellenwert hatte. Wer sich als Römer identifizierte bzw. sich “Römer” nennen durfte, war dabei eine relativ dynamische Angelegenheit.

Aber wie stand es um die Identifizierung mit einer Religion oder einem bestimmten Kult? Lassen sich hier genauere Zuordnungen treffen?

Religions- bzw. Kultzugehörigkeit ist für das antike Römische Reich kaum rekonstruierbar (Rüpke 2001, 25), da Mitgliederlisten oder ähnliches nicht geführt wurden oder zumindest nicht überliefert sind (Price 2012, 2). Trotzdem kann man sagen, dass der soziale Status und die regionale Herkunft eine zentrale Rolle dabei spielten, welcher Kult für eine Person attraktiv war (Rüpke 2001, 24). Es war sogar nicht ungewöhnlich mehreren Kultvereinen anzugehören bzw. verschiedene Kulte zu praktizieren (Rüpke 2001, 24).

Die Konstruktion einer religiösen Unvereinbarkeit deckte sich nicht mit der Alltagspraxis. (Rüpke 2006b, 68)

Obwohl viele Kulte akzeptiert waren, war die öffentliche Kultausübung dennoch nicht allen gestattet, sondern durch Kontrollen und Beschränkungen geregelt (Rüpke 2001, 26).

Nur ausgewählte Kulte wurden staatlich finanziert. Dies betraf vor allem die Kulte, mit denen die Stadtgemeinschaft als Ganzes ihre Pflichten gegenüber den Göttern erfüllen musste (Rüpke 2001, 26–29). Im öffentlichen Kult (lat. sacra publica) fungierte ein römischer Beamter als Repräsentant der Stadtgemeinschaft (Rüpke 2001, 29). Die römische Bevölkerung war zwar nicht direkt in die öffentlichen Kulthandlungen involviert, diese waren für sie aber vermutlich zumindest zugänglich (Rüpke 1995, 607).

Wie sich die Bevölkerung des römischen Reichs auf verschiedene Kulte und Kultvereine verteilte, wissen wir also nicht genau. Aber die sacra publica war für alle Menschen innerhalb einer Stadtgemeinschaft wichtig. Auch wenn sie nicht unbedingt persönlich an öffentlichen Ritualen teilnahmen, waren vom öffentlichen Kult dennoch viele betroffen. Sei es, weil das Wohl der Stadtgemeinschaft davon abhing oder weil zum öffentlichen Kult auch Feste und Feiertage gehörten, in die diese öffentlichen Rituale eingebettet waren.

Wenn die öffentlichen Rituale für die Bevölkerung Roms von großer Wichtigkeit waren, wie sah es dann mit den Festen und Feiertagen aus?

Um der Frage nach der Bedeutung der Feiertage für die Römer nachzugehen, sollte man sich zunächst einen groben Überblick darüber verschaffen, was ein “Feiertag” im Römischen Reich der Antike ist und was ihn ausmacht.

Die einzelnen Feste und Feiertage, lat. feriae, unterscheiden sich laut Rüpke hinsichtlich der Spezifizierung der drei Kriterien „Datum“, „Zuordnung zu genau einer Gottheit“ und „Gültigkeit für eine bestimmte Personengruppe“ voneinander (1995, 491). Die Durchführung von Ritualen und Opfern sowie das Niederlegen alltäglicher Aktivitäten bilden dagegen Elemente, die die meisten feriae gemeinsam hatten (Harmon 2006). Die feriae umfassen im Wesentlichen die feriae privatae, zu denen Hochzeiten, Geburten etc. zählten, und feriae publicae, die Teil der öffentlichen Religion waren (Harmon 2006).

Ein Großteil der Feste weist klare Zusammenhänge mit der griechisch-römischen Mythologie auf und kann damit als Teil der Erinnerungskultur verstanden werden (Beck and Wiemer 2009, 36), aber auch politische und sozialpsychologische Motive sind für die Einführung eines bestimmten Festes denkbar (Rüpke 2001, 73). Die Teilnahme an den öffentlichen Festen war für die Bürger Roms selbstverständlich, auch dann, wenn sie einem speziellen Kultverein angehörten (Rüpke 2001, 24).

Die Römer terminierten die öffentlichen Feiertage ebenfalls in einer Art Kalender. In den sogenannten Fasti waren die dies fasti, Tage die jeweils für bestimmte öffentliche Handlungen vorgesehen waren, gelistet. Dazu zählten zunächst vor allem Gerichtstage, aber eben auch die feriae publicae (Rüpke 2006a). Entsprechend der vielen verschiedenen Variationen römischer Kulte gab es viele verschiedene Fasti, allerdings keine die für das gesamte Römische Reich verbindlich waren (Behrwald 2009, 150).

Daraus lässt sich schon ableiten, dass die einzelnen Feste unterschiedlich wichtig und unterschiedlich populär waren. Versucht man nun der Frage nachzugehen, welche Bedeutung ein Fest haben konnte und wie es in der Bevölkerung begangen wurde, liegt es nahe den Blick auf ein bestimmtes Fest zu richten und womöglich eines, das besonders populär und damit besonders weit verbreitet war. Ein solches Fest waren die Saturnalien.

Die Saturnalien

Offiziell wurde das Fest des Saturn am 17. Dezember eröffnet und erstreckte sich über etwa drei (König and König 1991, 72) bis sieben Tage (Dolansky 2011, 491) in der Zeit nach der Aussaat und Schlachtung des Viehs, wodurch die ausschweifenden Feierlichkeiten überhaupt erst zu bewerkstelligen waren (Maurer 2004, 68). Während der Feiertage blieben Gerichte als öffentliche Einrichtungen geschlossen (König and König 1991, 72).

Überreste des Saturntempel auf dem Forum Romanum. Bildquelle: https://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/detail/736303

Den Auftakt der Saturnalien bildete wahrscheinlich das öffentliche Ritual (Dolansky 2011, 491), das sacrificum publicum, vor dem Saturntempel (König and König 1991, 72). Zu diesem Anlass organisierten die Senatoren ein Opfer für den Gott Saturn, gefolgt von einer öffentlichen Speisung, einer convivium publicum, die aus der Staatskasse finanziert wurde (Livius XXII, 1, 19).

Mittelpunkt des Fests waren jedoch die Feierlichkeiten im Privaten, an denen die gesamte familia, die Hausgemeinschaft, zu der auch der Sklavenstand zählte, teilnahm (Dolansky 2011, 491).
Der populärste und älteste Brauch während der Saturnalien war die Inversionspraktik, die auch beim Festmahl sichtbar wurde. Die hierarchischen Konventionen waren aufgehoben. Beispielsweise speisten Hausherren, Freie und Sklaven entweder zusammen oder die Hausherren aßen nach ihren Sklaven (Dolansky 2011, 492–93). Nach dem Festmahl, oder währenddessen, konnten Geschenke ausgetauscht werden, bevor Hausherren, freie Männer und Sklaven am Abend gemeinsam tranken, spielten und diskutierten (Dolansky 2011, 492).

Eine Wandmalerei aus Pompeji zeigt Römer beim Würfelspiel. Bildquelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Saturnalia#/media/File:Pompeii_-_Osteria_della_Via_di_Mercurio_-_Dice_Players.jpg

Die Saturnalien spielten auf das Goldene Zeitalter an (König and König 1991, 72), in dem unter der Herrschaft des Gottes Saturn alle Menschen gleich waren (Dolansky 2011, 496), keine Trennung in Herren und Sklaven existierte und die Menschen nicht arbeiten mussten, um zu überleben (Maurer 2004, 68). Dementsprechend war das Fest bestimmt durch Ausgelassenheit und Überschwang, was es zu einem Exportschlager der römischen Festkultur werden ließ (Rüpke 2006b, 73–74).

Auch wenn die griechisch-römischen Saturnalien teilweise mit dem christlichen Weihnachtsfest in Verbindung gebracht werden, unterschied sich dessen Charakter doch erheblich von der Besinnlichkeit, die für die Weihnachtsfeiertage so zentral ist. Überschwang und Exzess erinnern eher an karnevalistische Zustände. Deshalb sei hier betont, dass die Saturnalien nicht aufgrund eines mit Weihnachten vergeichbaren Charakters, sondern aufgrund ihrer möglicherweise vergleichbaren Popularität Gegenstand dieser Ausarbeitung sind. Zudem betrafen die Saturnalien in gewissem Maße auch Gruppen, wie Sklaven, Frauen und Kinder, die i.d.R. nicht Teil des öffentlichen römischen Lebens waren.

Und was wissen wir nun bezüglich der Erwartungshaltung der Römer? Verlangten diese, dass römische Feste wie die Saturnalien von allen, also auch von Menschen anderer kultureller und religiöser Herkunft, gefeiert wurden?

Ein Zitat aus dem Briefwechsel zwischen Seneca und Licilius könnte etwas Licht in diese Angelegenheit bringen:

Ob man nichts von seinen täglichen Gewohnheiten ändern müsse oder ob wir, um nicht den Anschein zu erwecken, wir mißbilligten das Brauchtum unseres Volkes, vergnügter tafeln und die Toga ausziehen sollten. […] Den sichersten Beweis seiner Charakterstärke erhält man, wenn man sich auf Lockungen, die zur Ausschweifung verführen, entweder nicht ganz einläßt oder durch sie nicht von seinen Grundsätzen abbringen läßt. Letzteres verlangt viel mehr Energie […], ersteres mehr Augenmaß: Sich nicht abzusondern, nicht unangenehm aufzufallen, aber auch nicht mit allen gemein zu machen […] (Seneca, Briefe an Lucilius 18, 1-4)

Hieraus geht hervor, dass die Verweigerung der Teilnahme oder der entsprechenden Bräuche durchaus negativ auffallen konnte. Wobei hier wohl weniger der religiöse als viel mehr der gesellschaftliche Aspekt eine Rolle spielte. Möglicherweise wurde die Verweigerung römischer Bräuche hier als Verweigerung römischer Traditionen und damit als Ablehnung der römischen Kultur als Ganzes empfunden, was letzten Endes auch die Loyalität gegenüber dem Römischen Reich infrage stellen könnte.

Insgesamt lassen sich aus den zusammengetragenen Erkenntnissen nur Vermutungen über mögliche Erwartungshaltungen der Römer anstellen. Die geschieht vor dem Hintergrund fehlender Informationen darüber, wer an welchem Fest teilgenommen und wer welches Fest wie gefeiert hat.

Die herausragende Bedeutung des religiösen Praktizierens für die römische Gesellschaft legt die Annahme nahe, dass sich Nicht-Praktizieren bzw. die Ablehnung des Praktizierens negativ auf die gesamte Stadtgemeinschaft auswirken konnte. Dies wiederum würde heißen, dass die Römer durchaus Interesse daran gehabt haben sollten, dass möglichst niemand den öffentlichen römischen Kult verweigerte.

Obwohl die persönliche religiöse Haltung hier eher zweitrangig war, war es nicht gerne gesehen, wenn fremde oder neue Kulte hinter verschlossenen Türen stattfanden und sich damit einer gewissen Kontrolle entzogen. Dies gab Anlass zu Spekulationen über mögliche Verschwörungen und erweckte Misstrauen und Skepsis.

Geselligkeit war eine wichtige Eigenschaft. Für die Römer einer Stadtgemeinschaft scheint es dementsprechend nicht unerheblich gewesen zu sein, dass sich die dort lebenden Menschen offen und aktiv in die Gesellschaft integrierten und damit Loyalität zeigten. An den römischen Festen und Bräuchen teilzunehmen war eine entsprechende Möglichkeit, zu zeigen, dass man sich mit dem Römischen Reich, seinen Werten, seiner Kultur und Religion identifizierte.

Conclusio: Und was hat das mit der Situation im heutigen Westeuropa zu tun?

Die Betrachtung der beiden unterschiedlichen Kontexte zeigt: Kulturkontakte und daraus entstehende Konflikte sind kein Phänomen der globalisierten modernen westlichen Welt. Vorurteile gegenüber Fremdem, Unbekanntem oder Neuem hat es auch in der Antike gegeben und auch dort waren sie Grundlage für Angst, Misstrauen und Skepsis. Der Vergleich von Moderne und Antike verdeutlicht auch noch einmal, dass sich Vorurteile nicht nur gegen eine bestimmte Religion oder Kultur, sondern gegen alles Fremde richten können. Um Konflikte, die durch Kulturkontakte entstehen können, aufzulösen, lohnt es sich daher möglicherweise das „Problem“ nicht beim „anderen“ zu suchen, sondern den Blick mehr auf die inneren Haltungen und Vorstellungen einer Gesellschaft, eines Systems oder eines Individuums zu richten.

Literaturverzeichnis

Attia, Iman. 2009. Die "Westliche Kultur" Und Ihr Anderes: Zur Dekonstruktion von Orientalismus Und Antimuslimischem Rassismus. Kultur Und Soziale Praxis. Bielefeld: Transcript.
Beck, Hans, and Hans-Ulrich Wiemer. 2009. “Feiern Und Erinnern Eine Einleitung.” In Feiern Und Erinnern: Geschichtsbilder Im Spiegel Antiker Feste, edited by Hans Beck and Hans-Ulrich Wiemer, 9–54. Studien Zur Alten Geschichte 12. Berlin: Verl. Antike.
Behrwald, Ralf. 2009. “Festkalender Der Frühen Kaiserzeit Als Medien Der Erinnerung.” In Feiern Und Erinnern: Geschichtsbilder Im Spiegel Antiker Feste, edited by Hans Beck and Hans-Ulrich Wiemer, 141–66. Studien Zur Alten Geschichte 12. Berlin: Verl. Antike.
Dolansky, Fanny. 2011. “Celebrating the Saturnalia: Religious Ritual and Roman Domestic Life.” In A Companion to Families in the Greek and Roman Worlds, edited by Beryl Rawson, 488–503. Chichester, West Sussex, U.K.; Malden, MA: Blackwell Publishing Ltd.
Harmon, Daniel P. 2006. Feriae.” Der Neue Pauly.
Isaac, Benjamin. 2006. The Invention of Racism in Classical Antiquity. Princeton/Oxford: Princeton University Press.
Kloft, Hans. 2010. Mysterienkulte der Antike: Götter, Menschen, Rituale. Fourth. C. H. Beck Wissen 2106. München: Beck.
Knoblauch, Hubert. 2009. Populäre Religion: Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft. Frankfurt/New York: Campus Verlag.
König, Angelika, and Ingemar König. 1991. Der römische Festkalender der Republik: Feste, Organisation und Priesterschaften. Universal-Bibliothek Reclam-Wissen 8693. Stuttgart: Reclam.
Lomas, Kathryn, Andrew Gardner, and Edward Herring. 2013. “Introduction.” In Creating Ethnicities and Identities in the Roman World, edited by Kathryn Lomas, Andrew Gardner, and Edward Herring, 1–10. Bulletin of the Institute of Classical Studies. Supplement 120. London: University of London Press.
Maurer, Michael. 2004. Proglomena zu einer Theorie des Festes.” In Das Fest: Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, 19–55. Köln: Böhlau.
Mogahed, Dalia, and Zsolt Nyiri. 2007. “Reinventing Integration: Muslims in the West.” Harvard International Review 29 (2): 14–18.
Paiva Bondioli, Nelson de. 2017. “Roman Religion in the Time of Augustus.” Numen 64 (1): 49–63. https://doi.org/10.1163/15685276-12341449.
Pollack, Detlef. 2013. Öffentliche Wahrnehmung des Islam in Deutschland.” In Islam und die deutsche Gesellschaf, edited by Dirk Halm and Hendrik Meyer, 89–118. Islam und Politik. Wiesbaden: Springer.
Price, Simon. 2012. “Religious Mobility in the Roman Empire.” The Journal of Roman Studies 102: 1–19.
Rüpke, Jörg. 1995. Kalender und Öffentlichkeit: die Geschichte der Repräsentation und religiösen Qualifikation von Zeit in Rom. Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 40. Berlin: de Gruyter.
———. 2001. Die Religion der Römer: Eine Einführung. München: C.H. Beck.
———. 2006a. Fasti.” Der Neue Pauly.
———. 2006b. Zeit und Fest: eine Kulturgeschichte des Kalenders. München: Beck.
Schrode, Paula. 2015. Islam und Rassismus in Deutschland.” In Neue alte Rassismen?, edited by Gesine Drews-Sylla and Renata Makarska, 45–68. transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839423646-003.

  1. Esra Ayari ist freie Autorin und Masterstudentin der Germanistischen Linguisitik.↩︎

  2. vgl. www.zeit.de/campus/↩︎

  3. vgl. www.ndr.de/kultur/↩︎