Survey in der Chora von Milet

Ansprechpartner: Prof. Dr. Hans Lohmann

hans.lohmann@ruhr-uni-bochum.de

Ähnlich wie in Athen hat auch in Milet die Erforschung der Chora nicht mit der seiner Metropole Schritt gehalten. Das Schwerpunktprogramm der DFG »Historische Grundlagenforschung in Kleinasien« erlaubte zwischen 1992 und 1999, die Forschungen Theodor Wiegands auf der Milesischen Halbinsel wieder aufzunehmen. Im Zuge dieses interdisziplinären Projektes, das einen extensiven Survey über 280 qkm mit naturwissenschaftlichen Begleituntersuchungen zur Paläogeographie und zum Paläoenvironment der Milesia verband, wurde unter Beteiligung einer größeren Zahl von Studierenden die Siedlungsgeschichte und Siedlungsstruktur im Umfeld der Metropole Milet vom Neolithikum bis in die osmanische Zeit untersucht. Bisher sind mehrere Vorberichte erschienen (s. u.). Die Abschlußpublikation steht noch aus.

Ergebnisse

Menschliche Siedlungstätigkeit im Gebiet des südlichen Ionien hat seit dem späten Chalkolithikum zu tiefgreifenden Veränderungen der natürlichen Umwelt und zur vollständigen Verlandung des Latmischen Golfes geführt sowie gravierende und irreparable Umweltschäden durch Entwaldung und Erosion hinterlassen. Im Laufe einer mehr als fünftausendjährigen Siedlungsgeschichte Milets und der Milesia hat das Verhältnis von Stadt und Land mehrere Phasen höchst unterschiedlicher Ausgestaltung durchlaufen. Für die älteste faßbare Besiedlungsphase, das Spät-Chalkolithikum, zeichnet sich vielleicht eine gewisse Vorrangstellung der Siedlung(en) im späteren Stadtgebiet ab. Ob Milet in der Frühen Bronzezeit bereits zu einem protourbanen Zentrum aufgestiegen war, ist an Hand der spärlichen Befunde derzeit nicht zu entscheiden, eine überörtliche Funktion mit Ausstrahlung weit ins Umland darf indes für die mittelminoische Zeit als sicher gelten, für die sich starker minoischer Einfluß, ja sogar minoische Präsenz klar abzeichnen. Hingegen ist das mykenische Milet ein Handelszentrum, das Hinterland wird anscheinend nicht kolonisiert.
Eine mindestens dreistufige Siedlungshierarchie, eine Streusiedlungsstruktur, und 'weltweite' wirtschaftliche Verflechtungen — auch mit den Karern des Hinterlandes — kennzeichnen die archaische Zeit, die große Blütezeit Milets und der Milesia. Zwar steht Milet politisch, kulturell und wirtschaftlich an der Spitze, aber auch das Land verfügt vor allem in seinen Kleinstädten und seinen Heiligtümern (S 328) über Kristallisationspunkte von Urbanität und Kultur. Diese Strukturen erweisen sich als erstaunlich stabil und erlauben eine rasche Erholung nach der Katastrophe von 494 v. Chr. Mit dem Hellenismus wächst der Druck auf die Ressourcen, mit der milesischen Hochebene werden die letzten Landreserven mobilisiert. Immer noch spielt das Land eine wichtige Rolle für die Stadt. Dies ändert sich in der römischen Kaiserzeit, in der die Besiedlung des Landes stark zurückgeht. Wie sich die große städtische Bevölkerung des kaiserzeitlichen Milet eigentlich ernährte, bleibt unklar. Mit der frühbyzantinischen Renaissance kehrt sich das Verhältnis um, jetzt scheint die Milesia geradezu ein Übergewicht gegenüber der Stadt zu gewinnen (S 175, S 255). Dieser Eindruck hängt entscheidend von der Datierung der früher für justinianisch gehaltenen Stadtmauer ab, deren Verlauf das Stadtgebiet drastisch reduziert. Doch erfolgte dieser Schritt möglicherweise erst in mittelbyzantinischer Zeit, als sich die Besiedlung ganz auf die Stadt zurückzog, die indes ihren urbanen Charakter noch nicht völlig völlig verloren hatte. Der Versuch, im 12. / 13. Jh. erneut die Kontrolle über das Land zu gewinnen, bleibt Episode, von der heute nur noch einige byzantinische Turmburgen (S 66) zeugen. Die seldschukische Landnahme hinterläßt im Umland Milets keine Spuren während die Stadt ihr Gesicht grundlegend wandelt. Die neue Bautätigkeit im islamischen Milet folgt nicht mehr dem alten sog. hippodamischen Raster, Milet ist eine orientalische Siedlung geworden. Nur der Name ‘Balat’ (von sto Palati) erinnert noch an früher.

Veröffentlichungen

Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1990, 1992 und 1993, Archäologischer Anzeiger 1995, 293-333.

Zur Siedlungsarchäologie der griechischen Polis. Geographische Rundschau 10, 1996, 562-567.
Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1994 und 1995, Archäologischer Anzeiger 1997, 285-311.

Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1996 und 1997, Archäologischer Anzeiger 1999, 439-473, Kartenbeil.

Der Neue Pauly 8 (2000) 166-167 s.v. Milesia.

Milet und die Milesia. Eine antike Großstadt und ihr Umland im Wandel der Zeiten, in: F. Kolb (Hrsg.), Chora und Polis. Schriften des Historischen Kollegs 54 (München 2004) 325‑360.

Die Chora Milets in archaischer Zeit, in: J. Cobet V. von Graeve – W. D. Niemeier – K. Zimmermann (Hrsg.), Frühes Ionien: Eine Bestandsaufnahme. Panionion-Symposion Güzelçamlı 26. September 1. Oktober 1999, Milesische Forschungen 5 (Mainz 2007) 363 392.

Altfluren oder Pingenfelder?, in: E. Winter (Hrsg.), Vom Euphrat bis zum Bosporus. Kleinasien in der Antike. Festschrift für Elmar Schwertheim zum 65. Geburtstag, Asia Minor Studien 65, 1 (Bonn 2008) 409 422, Taf. 51 52.