Das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat und die Konzentration im Ruhrbergbau

1893 vereinigten sich 98 Zechen des Ruhrgebiets zum Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikat, „um unter diesen für die Zukunft eine ungesunde Konkurrenz auf dem Kohlenmarkte auszuschließen“. So umstritten das Kartellwesen auch bei den Zeitgenossen war, der Großteil sah in diesen unternehmerischen Zusammenschlüssen die beste Möglichkeit, um den konjunkturellen Schwankungen und mit diesen einhergehenden Krisen der freien Marktwirtschaft zu begegnen. 1945 wurde dieses Kartell von den alliierten Besatzungsmächten, die in ihm eine unerlaubte Zusammenballung wirtschaftlicher Macht sahen, zerschlagen. Doch bereits 1915 war an einen freiwilligen Zusammenschluss der Zechenbesitzer nicht mehr zu denken. Konnten bis zu diesem Zeitpunkt die immer wieder entflammenden internen Verteilungskonflikte noch durch Abänderung der vertraglichen Bestimmungen entschärft und die Zechenbesitzer zur Verlängerung des Syndikatsvertrages bewegt werden, sahen Mitglieder wie Hugo Stinnes und August Thyssen nun in den Kartellen ein überkommenes Relikt, das der deutschen Wirtschaft nur noch zum Nachteil gereichte. Allein der Eingriff des Staates in die Erneuerungsverhandlungen des Syndikats, der in den Kartellen ein kriegswirtschaftlich notwendiges Element sah, hielt es zusammen.

Die Fragen, die sich hieraus zwingend ergeben, sind, warum zu diesem Zeitpunkt eine einvernehmliche Lösung der Konflikte nicht mehr möglich war und welche Faktoren diese Entwicklung gefördert hatten. Aufgrund der Tatsache, dass eine Verlängerung des Syndikatsvertrages nur durch den Eingriff des Staates in die Selbstverwaltung der Wirtschaft erreicht wurde, erscheint es sinnvoll, das Jahr 1915 als eine erste Zäsur in der Geschichte des RWKS zu betrachten.

Der Ausgangspunkt der Untersuchung ist die These, das sich das deutsche System der sozialen Marktwirtschaft auf den Pfeilern ‚soziale Partnerschaft’ und ‚unternehmerische Koordinierung’ gründet, welche wiederum auf dem spezifischen historisch akkumulierten Vertrauen und der Fähigkeit zur Soziabilität und zur Netzwerkbildung seiner Akteure beruhten. Diese Faktoren wiederum seien ausschlaggebend für das strukturell niedrige Niveau der Transaktionskosten und grundlegend für die Leistungsfähigkeit dieses korporativen Systems sowie die deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt, da durch die historisch gewachsenen Erfahrungen mit Institutionen und Organisationen die Handlungsspielräume erfolgversprechender wirtschaftspolitischer und unternehmerischer Strategien abgesteckt würden. Kartelle bildeten hierbei eines der tragenden Elemente.

Der theoretische Ansatzpunkt für die angestrebte Untersuchung ist Oliver Williamsons transaktionskostenspezifischer Law, Economics, and Organisation-Ansatz, demzufolge ein langfristiger Vertrag als Handlungsrahmen verstanden werden muss, dessen Lücken die vertragsschließenden Parteien zur Verfolgung ihres Eigeninteresses nutzen werden und somit eine Änderung der bestehenden institutionellen Rahmenbedingungen und eine soziale Anpassung an geänderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstände bewirken. Weiterhin postuliert dieser Ansatz, dass „[j]edes Problem, das direkt oder indirekt als Vertragsproblem formuliert werden kann, […] sich sinnvoll unter dem Aspekt der Transaktionskosteneinsparung untersuchen“ lässt. Er erlaubt es somit nicht nur, die Kartell- und Syndikatsbildung als institutionenökonomisches Vertragsproblem zu analysieren, sondern auch Fragen der horizontalen und vertikalen Konzentration als ein eben solches zu betrachten. Ziel dieser Arbeit ist eine Analyse der Konzentrationsbewegung im Ruhrbergbau. Diese Bewegung an sich ist unumstritten, doch fehlen gerade für den so bedeutenden Sektor der Montanindustrie Untersuchungen über Strukturen, Strategien und Prozesse der maßgeblichen Akteure.

Die im Bergbau-Archiv vorhandenen, bisher aber noch nie systematisch ausgewerteten Quellen zu diesem bedeutenden Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte bieten die Möglichkeit, die skizzierte Problemstellung im Rahmen des umrissenen theoretischen Rahmens eingehend zu untersuchen, und somit Licht auf die strukturellen Prozesse der oft beschriebenen Konzentrationsbewegung der deutschen Wirtschaft zu werfen.

Das Kohlensyndikat, das nur der Endpunkt einer in den 1840er Jahren einsetzenden Syndizierungsbewegung des Ruhrbergbaus war, setzte für seine Mitglieder Förderquoten und Preise fest und übernahm den Verkauf der Bergwerksprodukte. Es garantierte so den in ihm vereinigten Zechen einen geregelten Absatz und einen sicheren Profit. In den ersten Jahren seines Bestehens umfasste es nur die reinen Zechen, d. h. jene, welche ihre gesamte Produktion an den Markt brachten. Diese Phase des ‚Syndikats der reinen Zechen’ stand noch unter dem Vorzeichen der horizontalen Konzentration.

Mit der Aufnahme der Hüttenzechen 1904 und der Erweiterung des Geschäftszweckes von der reinen Verkaufstätigkeit des Syndikats hin zum Erwerb von Grubenfeldern sahen sich einige seiner Mitglieder schon auf dem Weg zum „Montantrust“. Da die Hüttenzechen aber den Eisen- und Stahlunternehmen, denen sie gehörten, zur Deckung ihres Bedarfs an Kokskohlen dienten und diese nur die hierzu nicht benötigten Kohlen an den Markt brachten, erhöhten sie das Konfliktpotential des Syndikats noch. Aufgrund der hohen Wettbewerbsintensivität des Eisen- und Stahlsektors war es für diese Unternehmen undenkbar, sich den Einschränkungen des Kohlensyndikats zu unterwerfen. Da alle außerhalb des Syndikats stehenden Hüttenzechen zusammen in den zehn Jahren seit der Gründung des Syndikats ihre Förderung um ca. 100% erhöht hatten und sie 1903 ca. 14% der Syndikatsförderung erreicht hatten, war das RWKS gezwungen, diese zum Beitritt zu bewegen, wollte es die Vermeidung der Konkurrenz weiter bewirken und seinen Fortbestand sichern. Dies gelang aber nur unter erheblichen Konzessionen. Insbesondere die von den Hüttenzechen erzwungene Freigabe des Selbstverbrauches sollte das Verhältnis zwischen den Zechengruppen schwer belasten. Diese Zugeständnisse hatten zur Folge, dass die reinen Zechen im Vergleich zu den Hüttenzechen erheblich schlechter gestellt waren. Hieraus resultierte ein immer größer werdendes Konfliktpotential zwischen den beiden Zechengruppen. War es schon vor der Aufnahme der Hüttenzechen eine Meisterleistung des Managements gewesen, die divergierenden Interessen der reinen Zechen, die aus der Vielzahl der unterschiedlichen Kohlensorten resultierten, in Einklang zu bringen, so wurde der Ausgleich der Interessendifferenzen zwischen den beiden Wirtschaftssektoren, der nun noch hinzu kam, nahezu unmöglich. Die Eisen- und Stahlunternehmen begannen, sich nach und nach weitere Zechen anzugliedern, um sich in ihrem Selbstverbrauch möglichst unabhängig von Zukäufen zu machen, wodurch der Absatz der reinen Zechen weiter schrumpfte. Während sich der rechnungsmäßige Absatz der Hüttenzechen zwischen 1904 und 1909 verdoppelte, stieg jener der reinen Zechen nur noch geringfügig an. Um ihren Fortbestand zu sichern, gliederten sich viele große reine Zechengesellschaften nun Hüttenwerke an, um in den Genuss der Vorteile des Hüttenzechenstatus zu kommen, darunter auch die Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft, die mit Emil Kirdorf zugleich den Vorsitzenden des Aufsichtsrats und des Präsidiums des Syndikatsbeirats stellte.

Diese Entwicklung führte zu so starken Konflikten zwischen den Zechengruppen, dass 1909 ein Zusatzvertrag geschlossen wurde, in dem sich die Hüttenzechenbesitzer widerwillig zur Kontingentierung ihres Selbstverbrauchs verpflichteten. Mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg wurden die Kartelle für den Staat im Rahmen einer funktionierenden Kriegswirtschaft, in welcher der Kohle ein zentraler Platz zukam, ein so wichtiges Instrument, dass er eine Auflösung des RWKS durch Verordnungen unterband. Der 1915 erfolgte Beitritt der bisher außerhalb des Syndikats stehenden fiskalischen Zechen unter der Zubilligung von Sonderrechten, die dem Fiskus u. a. ein Vetorecht in der Preisfestsetzung garantierten, ließ einen auf freiwilliger Kooperation beruhenden Fortbestand des RWKS für die Zukunft vollends illusorisch werden.