DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 15

Ausschliessungen


EINLEITUNG

 

Die in den letzten Jahren um den Begriff der Kultur, bzw. der Kulturen entstandenen wissenschaftlichen und politischen Diskussionen legen es nahe, von einer kulturwissenschaftlichen Wende zu sprechen. Diese Wende hat nun auch Bereiche der Philosophie erfaßt. Die geläufig werdende Rede von einer "interkulturellen Philosophie" stellt ein Indiz dafür dar und macht zugleich die besondere Problemlage offenbar, in die die Philosophie durch den Anspruch einer kulturellen Relativierung gerät. Denn die westliche Philosophie ist aufs engste mit dem Projekt der Aufklärung verbunden. Zu beiden gehört der Anspruch auf Universalität und Universalisierung. Die Philosophie befindet sich aus diesem Grund in einem Verhältnis des Ungleichgewichtes zu anderen, zu nicht "aufgeklärten" Kulturen. Das zeigt sich etwa darin, daß die westlichen Philosophinnen und Philosophen bei allem Entgegekommen doch die Definitionsmacht über das, was ganz allgemein und universal unter "Kultur" zu verstehen sei, nicht aus der Hand geben - ja, selbst wenn sie es wollten, es nicht können. Beschrieben werden immer die "anderen". Und gerade sogenannte postmoderne Kulturtheorien haben deutlich gemacht, wie schwierig oder fast unmöglich es ist, den Aporien der Moderne zu entkommen.

Je mehr wir uns in der Vorbereitung dieses Heftes mit dem Thema beschäftigten, desto deutlicher änderte sich die Richtung der Fragestellung. Der Begriff der "Interkulturalität" führte uns schließlich zurück zur Frage nach den Bedingungen, unter denen wir von einer Kultur ausgehen, die wir als "unsere" bezeichnen.

Anstatt eine "interkulturelle Philosophie" zu konstruieren, führt die PHILOSOPHIN mit dem Themenschwerpunkt "Ausschließungen" deshalb die Aufmerksamkeit auf "unsere", die westliche Kultur selbst zurück. Dabei stellt sich die Frage nach der Einheit dieser Kultur mit besonderer Dringlichkeit. Denn sie führt schnell zur Entdeckung, daß diese Einheit auf mannigfaltigen Auschließungspraktiken beruht. Sie betreffen, wie in den Aufsätzen gezeigt wird, nicht nur das Verhältnis der Geschlechter und den Ausschluß des Weiblichen, sondern in gleichem Maße den Ausschluß der Armen, der Homosexuellen und das Faktum des Antisemitismus.

Gerade der Blick auf die Geschichte des Antisemitismus macht deutlich, wie wenig die Frauen selbst, auch die kritischen und politisch engagierten unter ihnen, vor Ausschließungspraktiken, die im Bereich kultureller Norm und Normalität liegen, - und sie individuell nicht betreffen -, gefeiht sind. Eine ganz persönliche Angelegenheit haben Mechthild Bereswill und Leonie Wagner ihren Aufsatz treffend überschrieben, in dem sie ihre Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt zum Antisemitimus in der bürgerlichen Frauenbewegung 1900 -1918 vorstellen. Denn "eine persönliche Angelegenheit" sei, so die Meinung der führenden Mitglieder des "Bundes Deutscher Frauenvereine" das Problem, das Bertha Pappenheim stellvertretend für den "Jüdischen Frauenbund" an Helene Lange nach deren Festvortrag anläßlich des 50-jährigen Bestehens des "Allgemeinen deutschen Frauenvereins" im Jahre 1915 herantrug: daß der "Jüdische Frauenbund" in der Aufzählung der konfessionellen Frauenvereine von Lange explizit verschwiegen worden war. Unter Hinzuziehung bisher unbeachteter und unveröffentlichter Quellen zeigen die Autorinnen, wie die jüdischen Frauen bereits während des Ersten Weltkrieges von der deutschen Frauenbewegung mittels Einschluß ausgeschlossen wurden, wie ihnen das Recht auf Selbstbezeichnung und Sichtbarmachung verwehrt wurde - um die nationale und kulturelle deutsche Einheit nicht zu gefährden.

Die Sehnsucht nach Einheit und Eindeutigkeit und die Gewalt, die in ihrem Namen den Fremden, den Frauen, den Schwarzen und den Juden angetan wurden, ist eines der Hauptthemen der Philosophin Sarah Kofman. In allen ihren über zwanzig Büchern - am eindringlichsten jedoch in den "Erstickten Worten", dem Buch, das sie dem Gedächtnis an ihren in Auschwitz gestorbenen Vater gewidmet hat - mahnt Sarah Kofman die Opfer an, die der wahnhafte Wunsch nach Unversehrtheit, Einheit und Unsterblichkeit fordert. Dabei ist Sarah Kofman davon überzeugt, daß der Kreislauf der Gewalt nur unter der Bedingung durchbrochen werden kann, daß die ursprüngliche Ambivalenz, die allen Oppositions- und Identitätsbildungen vorausgeht, Anerkennung findet. Unter dem Titel In unendlicher Distanz zu sich selbst stellt Astrid Deuber-Mankowsky Sarah Kofmans Denken der radikalen Alterität und ihre Praxis der Dekonstruktion vor, die nicht zuletzt eine Dekonstruktion der Trennung von Leben und Philosophie ist.

Obwohl die Armutsforschung zur Zeit Konjunktur hat, wird Armut doch selten als kulturelles Phänomen untersucht. Nur wenn der kulturelle und historische Kontext mitberücksichtigt wird, kann Armut jedoch, wie Teresa Orozco in ihrem Beitrag zeigt "als Resultat von Auschließungen und nicht als deren Ursache" begriffen werden. So wird in den aktuellen politischen Diskussionen um den Abbau des Sozialstaates der Rekurs auf die solidarischen Verteilungsstrukturen der Länder ohne Sozial- und Rechtsstaat im europäischen Sinne zur Falle für die von der Verarmung Betroffenen hier. Wie, so fragt sie gegen die Strategie des Ausspielen der Kulturen auf Kosten der Armen, erfahren jedoch die Armen selbst ihre Situation? Am Beispiel von Mexiko zeigt die Autorin, wie bis anhin ein hochkompliziertes System von Verwandtschaftsbeziehungen die fehlenden sozialstaatlichen Leistungen auffing und zugleich macht sie eindringlich deutlich, daß mit dem jüngsten neoliberalen Deregulierungsmaßnahmen auch diese solidarischen sozialen Systeme an ihre Grenzen gekommen sind.

Ebenso wie die politische Strategie des Ausspielens der Kulturen gegeneinander, so führt auch die vieldiskutierte Behauptung des US-amerikanischen Publizisten und Politikers Samuel P. Huntingten vom anstehenden "Kampf der Kulturen" zu einer wachsenden Skepsis gegenüber dem Begriff der Kultur selbst. Ersetzt das Konzept der Kulturalisierung aber tatsächlich jenes der Biologisierung und schließt damit nahtlos an neorassistische Tendenzen an, wie das der Philosoph Andrey Taguieff behauptet? Nur, so hält ihm Mona Singer entgegen, wenn Kulturen essentialisiert werden. Im Anschluß an die Thesen von Stuart Hall entwirft sie in ihrem Aufsatz "Fremdwahrnehmung. Unterscheidungsweisen und Definitionsmacht" ein Konzept von kultureller Identität, das, anstatt auf einer ungeschichtlichen Einheitserfahrung zu basieren, seine Realität in den materiellen und symbolischen Effekten der "großen" Geschichte und "kleinen" Geschichten hat. Anstelle von einer essentialisierenden Politik, fordert sie eine Politik der kulturellen Positionierung, in der auch die Position des Geschlechts angemessene Berücksichtigung findet. "Wohin sie auch immer geht", zitiert Mona Singer Trinh T. Minh-Ha, "muß sie ihre Identitätspapiere vorweisen". Lakonisch weist Trinh T. Minh-Ha mit dieser kurzen Satz darauf hin, daß von kultureller Idenität zu schweigen sich nur die leisten können, deren Staatsbürgerschaft die Zugehörigkeit zur "richtigen" Kultur sichert: zu jener, von der aus man ohne Aufwand alle anderen besuchen kann.

Was auch in der feministischen Diskussion im Allgemeinen viel zu wenig Berücksichtigung erfährt, stellt die Juristin Susanne Baer in ihrem Beitrag "Geschlecht und Nation. Perspektiven feministischer Ansätze in der Rechtswissenschaft zu Fragen der Staatsangehörigkeit" dar: der, - wenn er einmal wahrgenommen ist - nicht mehr ignorierbare Beitrag des Rechts an der Bildung der nationalen Einheit. Die Nationen werden, wie Susanne Baer zeigt, überhaupt erst durch das Recht konstituiert: "Recht stellt", so die Autorin, "die ihnen zugrundeliegende Homogenität eher her als daß es auf sie reagiert, denn an der staatlichen Einheitsbildung haben Verfassungsrecht, das Recht der Staatsbürgerschaft und Ausländer- und Asylrecht entscheidenden Anteil." Das Staatsangehörigkeitsrecht nimmt dabei aus einsichtigen Gründen eine Schlüsselfunktion ein: es liefert die Kriterien, die über nationale Zugehörigkeit, über Identität und Fremdheit entscheiden. Freilich setzt die Erkenntnis sowohl der Möglichkeit als auch der Art, wie Recht soziale Realität konstruiert, ihrerseits einen feministischen, bzw. einen "outsider"-Blick voraus. Die Erfahrung, nicht Rechtssubjekt, sondern rechtlichen Ausschlußverfahren unterworfen zu sein, wird, wie Baer ausführt, in feministischen-juristischen Ansätzen zum Ausgangspunkt für eine neue Sichtweise auf das Recht, die ganz und gar nicht mit dem traditionellen juristischen Selbstverständlich übereinstimmt und das Recht seinerseits in einen kulturellen Entstehungskontext einbindet. So wird der Beitrag zugleich zu einem überzeugenden Plädoyer an die feministischen Kolleginnen, das Recht nicht so links liegen zu lassen.

So wie der Begriff der Nation ist auch das Konzept der Staatsbürgerschaft, wie wir sie heute kennen, eine relativ junge Erfindung. Die Philosophiehistorikerin Simone Zurbuchen, zeichnet die Entstehung der republikanischen Idee der Staatsbürgerschaft im 18. Jahrhundert nach. Dabei knüpft sie an die Renaissance an, die der Republikanismus seit dem Fall der Mauer erlebt, und erinnert an die in dieser neuen Begeisterung unterschlagenen Auschließungspraktiken, auf denen die Einheit der vaterländischen Republik ruht: Sie betreffen Geschlecht, Nation und Religion. Geschlechtsspezifische Merkmale des Begriffs veranschaulicht die Autorin an der Gegenüberstellung von heroischer "männlicher" Tugend der Antike und "verweiblichten" Sitten der modernen Handelsgesellschaft; die Zuordnung von Merkmalen nationaler Kulturen verfolgt sie an der Kritik der französischen Hofkultur und zeigt dabei die Entstehungsgeschichte des Mythos Schweiz; und religiöse resp. konfessionelle Untertöne des republikanischen Diskurses legt sie anhand des Auschlußes der Atheisten aus Vaterland und Republik frei. Dabei wird die Brisanz unmittelbar deutlich, wenn man mit Simone Zurbuchen bedenkt, daß "der Begriff 'Atheismus' als Etikette fungierte, die potentiell auf jeden angewandt werden konnte, der aufgrund nonkonformistischen Denkens oder Verhaltens in Verdacht geriet, die gesellschaftliche Ordnung zu bedrohen".

Genau darin - in der Pervertierung der gesellschaftlichen Ordnung - sieht freilich unsere Interviewpartnerin Teresa de Lauretis nicht nur den politischen, sondern auch den ganz persönlichen Gewinn des manchmal so hart und trocken erscheinenden Geschäftes der Theoriebildung. "Leidenschaftliche Fiktion" nennt sie ihre Theorie des lesbischen Begehrens, in der das Vermögen der Phantasie einen hervorragenden Platz einnimmt. Gegen die Geringschätzung der subjektiven Befindlichkeit beim Nachdenken, plädiert sie in ihrem Buch über das lesbische sexuelle Begehren für eine lustvolle Besetzung der Theorie: " So wie wir heute gender als konstruiert verstehen, können wir auch anfangen, Sexualität und sexuelles Begehren als durch private und öffentliche Phantasien, Repräsentationen und Praktiken konstruiert zu verstehen, die jede individuelle Person, jedes Subjekt betreffen, sich auf es auswirken und jeden individuellen Körper berühren." Aus dieser Perspektive erscheint die "Ödipustheorie" der Psychoanalyse als Phantasie Freuds, als die Phantasie, die seine Ansicht vom Leben am dominierendsten prägte, ja die als leidenschaftliche Fiktion die Erfindung der Psychoanalyse überhaupt ermöglichte. Damit aber kann die Ödipuserzählung, durch eine andere Phantasie abgelöst werden, ohne dass dadurch die Psychoanalyse widerlegt wäre. De Lauretis knüpft an Freud an und setzt anstelle dessen leidenschaftlicher Fiktion ihre eigene Theorie des perversens Begehren, die, wie sie uns sagt, eine "genauso leidenschaftliche Fiktion" ist, aber eben eine, "die mein Leben und mein Begehren weit besser repräsentiert, als es der Ödipuskomplex tut." Wie fein kulturelle Unterschiede anschlagen zeigt übrigens die Geschichte der schwierigen Übersetzung ihres Buches ins Deutsche. Für Teresa de Lauretis wird sie erneut zum Beweis dafür, daß die Aufgabe der Übersetzung eine unmögliche ist und trotzdem nie aufgegeben werden kann. Vielleicht ist diese Haltung auch die einzig adäquate in der Frage des Umgangs mit kulturellen und individuellen Differenzen.

 

Die Herausgeberinnen