Gedächtnis



Therapie

Bei der Therapie von Gedächtnisstörungen steht vor allen Dingen die Bewältigung von Alltagsanforderungen im Vordergrund. Die Verbesserung der Leistungen in Gedächtnistests ist hierbei eher nebensächlich beziehungsweise bei einem Teil der Patienten nicht realistisch. Eine Therapie kann meist die Störung nicht vollständig heilen, sondern versucht, die Gesamtsituation des Patienten zu verbessern. Der Erfolg einer Therapie ist grundsätzlich von mehreren Faktoren abhängig.

Art und Ausmaß der Gedächtnisstörung
Die Auswirkungen von leichten Störungen sind leichter auszugleichen als die Auswirkungen schwerer Beeinträchtigungen. Eine retrograde Amnesie wird zudem anders behandelt als eine anterograde Amnesie oder eine Alzheimer-Störung. Außerdem ist zu berücksichtigen, wie viel Zeit seit der Schädigung vergangen ist, da manche Therapien z.B. nur unmittelbar nach der Schädigung noch Verbesserungen des Zustandes bewirken können, andere Therapien jedoch auch später eingesetzt werden. Dennoch ist ein früher Anfang der Therapie wichtig, um eine schnellstmögliche Verbesserung erzielen zu können.

Mit der Störung verbundene Defizite
Je nach Art der Beeinträchtigung können zudem auch Bereiche außerhalb der für das Gedächtnis zuständigen Hirngebeite betroffen sein, was weitere Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann. Dann muss die Therapie so angelegt sein, dass auch diese Störungen mitberücksichtigt werden.

Das Störungsbewusstsein des Patienten
Während der Untersuchung wird zunächst festgestellt, ob sich der Patient seiner Gedächtnisprobleme bewusst ist, da ansonsten nicht damit zu rechnen ist, dass er an der Aufnahme einer Therapie interessiert ist.

Die persönliche Verarbeitung des Patienten und der Umgang mit der Beeinträchtigung
Gedächtnisstörungen sind sowohl für Patienten als auch für Angehörige schwer zu verkraften. Einige Patienten reagieren mit depressiven Symptomen auf die Veränderung. Dies sollte vom Therapeuten berücksichtigt werden. Ein Patient, der zunächst in ein schwarzes Loch fällt, muss erstmal motiviert werden, etwas an seinem Zustand zu verändern.

Unterstützung von Angehörigen und anderen Bezugspersonen
Bei vielen Therapiemethoden ist die Mithilfe der Angehörigen oder Bezugspersonen gefragt.

Es gibt drei verschiedene psychologische Therapieansätze:

  • Funktionstherapie
  • Kompensationstherapie
  • Integrative Behandlungsmethoden

Funktionstherapie
Die Funktionstherapie zielt auf eine Wiederherstellung oder Verbesserung von beeinträchtigten Gedächtnisfunktionen ab. Hier wird davon ausgegangen, dass sich geschädigte Hirnbereiche durch Erholung zum Teil wieder erholten können z.B. durch Neubildung von Nervenzellen. Dabei wird vor allem computergestütztes Gedächtnistraining eingesetzt. Das Training basiert auf wiederholtem und intensivem Üben (mehrmals täglich über viele Wochen). Neue Strategien werden dabei nicht vermittelt. Bei stabilen Gedächtnisstörungen werden Funktionstherapien als nicht effektiv eingestuft. Gerade für Patienten mit schweren amnestischen Störungen ist davon abzuraten, da der Patient durch Misserfolge nicht demotiviert werden sollte.

Kompensationstherapie
Unter dem Begriff der Kompensationstherapie sammeln sich verschiedene Methoden zur Bewältigung individueller Alltagsanforderungen. Für die Therapieplanung und die Auswahl von Inventionen sind folgende Faktoren zu beachten: Anwendungsziele, Anwender und die Differentielle Indikationsstellung.
Patienten mit leichten Störungen sollen lernen, für die eigene Anforderungssituation passende Bewältigungsstrategien auszuwählen und anzuwenden. Mit zunehmendem Schweregrad der Störung werden Methoden eingesetzt, die das Gedächtnis im Alltag entlasten sollen. Dazu gehören eine entsprechende Gestaltung der Umwelt sowie der Einsatz von externen Hilfsmitteln.
Es gibt drei Methodenkategorien der Kompensationstherapie.

  • Veränderung der Umwelt zur Reduzierung der Gedächtnisanforderungen
  • Lerntheoretisch fundierte Methoden
  • Gedächtnishilfen

1. Veränderung der Umwelt zur Reduzierung der Gedächtnisanforderungen
Ziel: Das Erlangen von mehr Selbständigkeit im Alltag und Unterstützung in Alltagsroutinen Indikation: geeignet für jeden Schweregrad, vor allem für schwere Gedächtnisstörungen
Anwender: Angehörige, Therapeut
Methoden: Das Sichtbarmachen von Informationen steht im Vordergrund. Dazu können Räume so gestaltet werden, dass dem Patienten ersichtlich ist, in welchem Raum er sich befindet, z.B. durch eine unterschiedliche Wandfarbe. Hinweisschilder und Symbole unterstützen das Erkennen von Gegenständen oder den Gebrauch von Funktionsobjekten. Handlungen werden in Routinen eingebaut, wie die Einnahme von Medikamenten vor den Mahlzeiten. Wichtige Gegenstände wie Schlüssel und Brille werden an bestimmten Orten abgelegt. So kann der Patient im Alltag auch ohne den Rückgriff auf Gedächtnisinhalte selbständig sein.

2. Lerntheoretisch fundierte Methoden
Lerntheoretisch fundierte Methoden lassen sich in drei Bereiche einteilen. Es gibt Methoden, die sich auf das Lernen und Abrufen von Informationen beziehen, Methoden für die Problemlösefähigkeit sowie Strategien, die das implizite Gedächtnis betreffen.
a) Internale Enkodierungs- und Abrufstrategien
Ziel: Vermittlung domänenspezifischen Wissens und Erarbeitung komplexer Information
Indikation: domänenspezifisches Wissen kann auch bei schweren Störungen angewendet werden während die Erarbeitung komplexer Information bei leichten Störungen geeignet ist
Anwender: Therapeut, Angehörige, Patient
Methoden: Visualisierung von Informationen, Kategorisieren, Anknüpfen an vorhandenes Wissen
Bei der Visualisierung von Informationen stellt man sich gelesene oder gehörte Information bildlich vor. Das Lernen von Informationen ist effektiver, wenn man multimodal lernt, also durch verschiedene Erscheinungsformen der Information.
Durch Kategorisieren und Strukturieren von Informationen fällt es leichter, sich an diese zu erinnern. Bei Einkaufslisten kann man sich an den Kategorien von Lebensmitteln orientieren, verschiedene Gemüse- und Obstsorten untereinander schreiben und dann erst mit der nächsten Kategorie weitermachen.
Beim Anknüpfen an vorhandenes Wissen kann man zu lernende Informationen in größeren Zusammenhängen vorstellen oder Eselsbrücken bilden. Schon das Nachdenken über die Bedeutung eines Wortes hilft, es sich besser merken zu können.
Ein weiteres Beispiel ist die PQRST-Technik. Es steht für P= Preview (Übersicht), Q= Question (Frage), R = Read (Lesen), S = State (Rekapitulieren), T = Test (testen). Der Text wird zunächst Überflogen, um eine Übersicht zu gewinnen. Dann werden mögliche Fragen zum Text formuliert. Im nächsten Schritt wird der vollständige Text gelesen um auf die formulierten Fragen antworten zu können. Beim Rekapitulieren werden die wichtigsten Aspekte formuliert. Zuletzt werden die vorformulierten Fragen beantwortet und dabei geprüft, ob die wichtigsten Informationen gemerkt wurden. Diese Technik ermöglicht eine gründliche Verarbeitung der Informationen.

Der Erfolg der genannten Methoden hängt von der Umsetzung der gelernten Strategien in den Alltag ab. Im Therapiekontext werden erlernte Strategien meist selbständig und sicher eingesetzt, im Alltag jedoch kaum umgesetzt. Der Einsatz im Alltag benötigt Zeit, Anstrengung und Kreativität,und die wiederholte Erprobung in Alltagssituationen ist unerlässlich. Nützlich ist es, den Therapiekontext den Alltagssituationen so weit wie möglich anzupassen oder direkt in der natürlichen Umgebung zu üben.
b) Problemlösestrategien bzw. Training metakognitiver Leistungen
Ziel: Selbständiger Einsatz von Kompensationsstrategien im Alltag, Verbesserung der Problemlösefähigkeit
Anwender: Patient
Indikation: Leichte Störungen
Methoden: Patient soll zunächst sein Verhalten in schwierigen Alltagssituationen protokollieren, in denen Gedächtnisprobleme auftreten. Dadurch bekommt der Therapeut zusätzlich einen Einblick in die individuellen Strategien des Patienten. Die Aufzeichnungen werden gemeinsam analysiert und passende Bewältigungsstrategien erarbeitet. Im nächsten Schritt erprobt man die Strategien. Der Patient kann dann bewerten, inwiefern die eingesetzten Strategien für ihn nützlich sind. In Gruppensitzungen lernen die Patienten spezifische Techniken zur Verbesserung der Gedächtnisleistung und allgemeine Regeln im Umgang mit der Gedächtnisstörung. Diese Methode ist vor allem sinnvoll, da man Strategien nicht nur lernt, sondern auch ausprobiert und den individuellen Gewohnheiten anpassen kann.
c) Das implizite Gedächtnis betreffende Strategien
Ziel: Vermittlung domänenspezifischen Wissens
Anwender: Therapeut, Patient, Angehörige
Indikation: schwere Störungen
Methoden: z.B. Chaining (Verkettung), Errorless Learning

3. Gedächtnishilfen
Ziel:Unterstützung der Verbesserung der Gedächtnisleistungen durch externe Hilfsmittel
Anwender: Patient, Angehörige
Indikation: für alle Gedächtnisstörungen hilfreich
Methoden: Kalender, Notizzettel, Wecker- und Alarmfunktion im Mobiltelefon, Organiser,  Tagebücher,
Es wird unterschieden zwischen retrospektiven und prospektiven Gedächtnishilfen. Retrospektive Gedächtnishilfen sind Smartphones, Tagebücher, Gesprächsprotokolle oder systematische Zusammenstellungen von berufsrelevantem Wissen, in denen zuvor Gelerntes zusammengestellt wird. Prospektive Gedächtnishilfen werden zur Erinnerung an Termine oder andere in der Zukunft liegende Ereignisse eingesetzt. Der effektive Einsatz hängt maßgeblich davon ab, ob der Patient (aber auch Angehörige) das Hilfsmittel akzeptiert und es den Bedürfnissen entsprechend angemessen ist. Außerdem sollte der Einsatz des Hilfsmittels trainiert werden. Der Patient muss abrufen können, was er erinnern wollte. Dies kann mit einem Alarmsignal signalisiert werden.
Die Auswahl des Hilfsmittels sollte auf den Schweregrad der Beeinträchtigung, die individuellen Anforderungen sowie auf das Behandlungsziel abgestimmt sein.

Integrative Behandlungsmethoden
Der Schwerpunkt von integrativen Behandlungsmethoden liegt auf der Bewältigung des Geschehenen und den damit einhergehenden Veränderungen im Leben des Patienten.
Ziele: Entwicklung realistischer Wahrnehmung und Bewertung der eigenen Gedächtnisleistung
Anwender: Therapeut, Angehörige, Patient
Indikation:
Methoden: Es werden vor allem verhaltenstherapeutisch Methoden eingesetzt: Verhaltensmodifikation und Identitätsstärkung
Bei der Verhaltensmodifikation geht es um das Anpassen von Verhaltensweisen. Es wird überprüft, wann Gedächtnisbeeinträchtigungen Einfluss auf den Alltag des Patienten haben und wie Situationen oder der Einsatz von Gedächtnishilfen optimiert werden können. Eine Verminderung von störenden Verhaltensweisen muss bei einigen Patienten vorgenommen werden. Ständiges Nachfragen belasten beispielsweise Angehörige sehr. Es wird analysiert, in welchen Situationen Fragen auftauchen und welche Verhaltensweisen in diesen Situationen angebracht sind.
Bei der Identitätsstärkung geht es darum, beim Patienten Akzeptanz für die neue Lebenssituation zu schaffen und die veränderte Leistungsfähigkeit ins Selbstbild zu integrieren. Auch Erwartungen und Lebensziele müssen an die neue Situation angepasst werden. Negative Verarbeitungsstile sollen erkannt und aufgefangen werden.


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