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Christoph Eggersglüß (Weimar)
"Agents of Subtopia". Stell(en)vertreter an Englands Straßenrändern um 1955

1955 machte sich ein vermutlich heiter angetrunkener junger Mathematiker und ehemaliger Royal Air Force Pilot im Auto auf, über die von Stahl, Beton, Baukatalogen und eifrigen Stadtverwaltungen veränderten Nachkriegslandschaften zu urteilen. Auf einem Road Trip entlang der englischen Infrastruktur beschäftigte sich der angehende, jugendlich aufbrausende Architekturkritiker Ian Nairn mit einem eigentümlichen Gesetz der Straße: Ecken, Kreuzungen, topologische Junctions und visuelle Disjunctions. Der ,angry young man' griff Poller, Schilder, Zäune und Laternen an, sollte sie mit Kamera und Schreibmaschine zerlegen und die Artefakte der zumeist suburbanen Transitdörfer in der begleitenden Publikation, in einem Sonderheft der Architectural Review unter dem Titel Outrage , theorieweisend "agents of Subtopia" nennen. Der Versuch, Straßen regierbar zu machen, sie ohne anwesendes, menschliches Personal zu verwalten und ihr Treiben aus der Ferne zu regulieren, hatte zu einem visuellen Durcheinander der Dinge an ihren Rändern geführt, das es alsbald zu erschließen und zu lichten galt.

Nairn und der Graphiker Gordon Cullen widmeten sich sodann in einem Folgeheft der eigentlich beabsichtigten Counter-Attack auf die überbordende Unübersichtlichkeit der Straßenbilder. Sie warnten vor Zersiedelung und drohender Differenzierungslosigkeit von Stadt und Land, machten Vorschläge, das heterogene Verwirrspiel der Artefakte zu ordnen und in Typologien zu überführen. Doch lieferten die beiden Hefte damit nicht allein Ansätze für die visuelle Erforschung und Gestaltung langweiliger, vorzeigbarer Townscapes . Zwischen den Zeilen und Spalten ihrer Photographien, Zeichnungen, Karten und Kurztexte untersuchten Nairn und Cullen die Ästhetik der (Un)Ordnung einer künstlichen Polizei: Sie stellten hässliche Stellvertreter, mustergültige Agentensysteme, Akteur-Netzwerke avant la lettre. Sie schauten sich die Auswüchse einer Delegationswut der nicht am Ort befindlichen ,Vorschreiber' gebauter Vorschriften an, verfolgten und verbanden Topologie und Topographie der stummen Wächter mittels Photographie, Stift und Papier.

Christoph Eggersglüß ist Stipendiat am Graduiertenkolleg "Mediale Historiographien" (Erfurt-Weimar-Jena) und forscht unter dem Arbeitstitel An/Architecture zu Medien und Technophänomenen des Regierens sowie Figuren und Infrastrukturen der Delegation an den Rändern fabrizierter Geschichte(n).

Eggersglüß, Christoph: "Bastlergeschichte(n). Was es heißt, Tinkerer zu sein", in: Anthropotechniken, eject - Zeitschrift für Medienkultur, 1 (2011), S. 35-49.