MENSCHEN

Schnurrbärtig, mit Säbeln und Riemenpeitsche bewaffnet, adrett uniformiert - die Kosaken von heute posieren wie ihre Vorfahren aus der Zeit vor der Oktoberrevolution. Das Bild von Kosakenchören drängt sich ins Bewußtsein... Aber die im Gefolge der Perestroika wiederbelebte Kosakenbewegung kämpft erfolgreich gegen das Image von Folkloregruppen. Mehrere neu gegründete,


Kosaken-Vorfahren: ein Bild aus Privatsammlung, photographiert bei Dielektaufnahmen im Dorf Frolow

auf territorialer wie gesamtrussischer Ebene operierende Vereinigungen vertreten die Interessen der Kosaken und setzen sich für die Wiederbelebung ihrer Traditionen und ihres Einflusses auf allen Ebenen ein. Diesen Bestrebungen wird auch in der Politik Rechnung getragen: 1994 wurde im Präsidialamt ein Rat für Angelegenheiten der Kosaken geschaffen; auf niederen Verwaltungsebenen gibt es mittlerweile viele vergleichbare Gremien.

Die Kosaken verstehen es, sich Gehör zu verschaffen. Das liegt sicher vor allem daran, daß sie aus ihrem Selbstverständnis heraus eine ernst zu nehmende militärische Kraft mit eigenen, effektiven Strukturen bilden. Kampfeinsätze einzelner Personen oder ganzer Verbände in verschiedenen Regionen Rußlands, aber auch außerhalb des Territoriums des "Mutterlandes", in Moldawien oder in der Kraina, belegen die Aktualität dieses Selbstverständnisses. Mittlerweile existieren auch wieder Kosakenformationen in der regulären russischen Armee.

Nach dem Erlaß des russischen Präsidenten zur Rehabilitierung repressierter Völker (1991), in dem die Kosaken ausdrücklich erwähnt wurden, fanden einige die Idee von den Kosaken als Volk bestätigt; andere sehen sich als eigenständige ethnische bzw. soziale Schicht (soslowije) mit traditionell militärischen Aufgaben in Grenzgebieten, einer damit einhergehenden spezifischen Kultur- und Wirtschaftsform sowie einem eigenen Moralkodex.

1916 gab es 4,4 Mio. Kosaken. Heute schwanken die Angaben zwischen 10 und 30 Mio.; von den offiziellen Kosakenverbänden  werden  laut "Moskowskije nowosti" (16, 1996, S.4) 25 Mio. angegeben. Staatliche Stellen gehen von 5 Mio. aus.  Das Donheer (Donskoje woisko; Kosakengemeinschaften nennen sich Heer) galt und gilt als die größte Kosakengemeinschaft. Es streitet für die Errichtung des Gebietes der Donkosaken in den historischen Grenzen. Dieses Gebiet war seit 1770 autonomer Bestandteil des Russischen Reiches und bestand bis 1920. Heute leben am Don und seinen Nebenflüssen allein im Gebiet Rostow ca. 1,5 Mio. Menschen, die sich als Kosaken bezeichnen. Sie legen Wert auf die Unterscheidung von den "inogorodnyje", Leuten anderer Herkunft. Letztere machen aber allein im Gebiet Rostow mehr als zwei Drittel der Bevölkerung aus. Dieser Teil betrachtet die Bestrebungen nach kosakischer Selbstverwaltung mit Mißtrauen.

Längst nicht alle, die sich heutzutage als Kosaken begreifen, führen ein ländliches Leben. Im Gegenteil, viele sind Städter, arbeiten als Lehrer, Ärzte, Wissenschaftler. Die Identität eines Kosaken wird heute - nach mehr als 70 Jahren der Unterdrückung - vor allem von seinem Selbstverständnis und Traditionsbewußtsein bestimmt. Entscheidend ist, ob die Vorfahren Kosaken waren; Bedingung ist das russisch-orthodoxe Glaubensbekenntnis. Aber neben den Alteingesessenen (rodowyje kasaki) gibt es auch Ernennungen zum Kosaken. Nichtkosaken werden - je nach Verdienst des zu Ehrenden - entsprechende militärische Ränge verliehen. Führende Hauptleute unterstreichen, daß - wie früher - auch Nichtrussen in die Kosakengemeinschaften aufgenommen werden können. Bedingung ist eine Probezeit und die Konvertierung zum russisch-orthodoxen Glauben.

Marion Krause
Letzte Änderung: 18.5.2000